Welthandel So hart trifft der Klimawandel die Schifffahrt
Etwa 90 Prozent des globalen Handels werden per Schiff abgewickelt. Doch schon jetzt sorgen Trockenheit und Stürme für Einschränkungen. Was die Klimakrise für Schifffahrt und Lieferketten bedeutet.
Wegen Trockenheit und einem niedrigen Wasserstand dürfen derzeit täglich nur 32 statt der üblichen 36 Schiffe den für die Weltwirtschaft bedeutsamen Panamakanal passieren. Zudem senkte die zuständige Kanalbehörde bis zum 2. September den maximalen Tiefgang für die Durchfahrt zwischen Atlantik und Pazifik. Die Maßnahmen sorgten in den vergangenen Wochen für teils lange Wartezeiten und Staus.
Da die für die globalen Lieferketten besonders wichtigen Containerschiffe schneller durch den Kanal geleitet werden und er trotz der Einschränkungen befahrbar bleibt, dürften die negativen Auswirkungen überschaubar sein, heißt es vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) und aus der Branche. Aber: Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass solche Probleme aufgrund des Klimawandels in Zukunft noch häufiger auftreten werden. Was bedeutet das für den Welthandel?
Hurrikane sorgt für zehn Prozent weniger Handel
"Auch in der Vergangenheit führten Nebel, Stürme und Reparaturen an den Schleusen bereits öfter zu längeren Wartezeiten am Panamakanal", sagt Jasmin Gröschl, Volkswirtin bei Allianz Research, gegenüber tagesschau.de. Während es allerdings früher nur einmal in 20 Jahren vorkam, dass der Kanal aufgrund von niedrigem Wasserstand den Verkehr einschränken musste, sei es inzwischen im gleichen Zeitraum schon zweimal der Fall.
Generell treten in den vergangenen Jahrzehnten immer häufiger extreme Wetterlagen auf: So gab es 1980 bis 1999 den Vereinten Nationen zufolge 3.656 Extremwettereignisse, in den darauffolgenden 19 Jahren dagegen 6.681. "In einem durchschnittlichen Monat werden mittlerweile knapp vier Prozent aller internationalen Schifffahrtsrouten durch Hurrikans - also tropische Wirbelstürme der höchsten Stufe - getroffen", berichtet Vincent Stamer, Handelsexperte beim IfW. Besonders betroffen sei dabei die wichtige West-Ost-Route zwischen Europa und Ostasien wegen des Verlaufs durch das Südchinesische Meer.
Bedingt durch den Klimawandel erwartet Stamer in den kommenden Jahrzehnten noch intensivere Stürme - mit gravierenden Folgen. Die Reedereien seien dazu gezwungen, Güter entweder verspätet zu verschiffen oder über alternative Routen und Ausweichhäfen zu lenken. Dazu komme ein Sicherheitsrisiko und ein deutlich höherer Treibstoffverbrauch. "Auf einer getroffenen Route zwischen zwei Häfen sinkt der Handel in einem Monat mit Hurricane um etwa zehn Prozent", so der Fachmann.
Steigender Meeresspiegel erhöht Risiken
Auch der Verband Deutscher Reeder (VDR) beobachtet nach eigenen Angaben eine Häufung von Extremwettereignissen. Jedoch seien etwa stärkere Stürme schon immer eine große Herausforderung für die Seeschifffahrt gewesen. Heute sei man "durch die technologischen Möglichkeiten, verlässlichen Prognosen und hohen Sicherheitsstandards moderner Handelsschiffe grundsätzlich wesentlich besser gewappnet" als in früheren Zeiten.
Doch nicht nur Stürme beeinträchtigen die Schifffahrt. "Der steigende Meeresspiegel beeinflusst die Funktionsfähigkeit von Hafenanlagen und Seehafenzufahrten, während Überschwemmungen, Dürren und niedrige Wasserstände dazu führen können, dass Schiffsstraßen unpassierbar werden", erklärt Allianz-Volkswirtin Gröschl. Zwar könne das Abschmelzen der Polareisdecken auch neue Schifffahrtsrouten eröffnen; der steigende Meeresspiegel erhöhe aber die Risiken für Schiffe und Hafenanlagen.
Das lässt Gröschl zufolge die Kosten und Versicherungsprämien steigen und schmälert außerdem die Effizienz des Handels. Dabei spiele gerade der Schiffsverkehr in der Weltwirtschaft eine entscheidende Rolle. "Der Seeweg dominiert den globalen Güterverkehr - etwa 90 Prozent erfolgen per Schiff", betont sie.
Verdorbene Lebensmittel oder stillstehende Produktion
Eine zuverlässige Befahrbarkeit wichtiger Schiffsrouten ist vor allem für Außenhandelsnationen wie Deutschland wichtig. Der Güterumschlag der deutschen Seehäfen betrug nach Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr 279,1 Millionen Tonnen. Zwei Drittel der deutschen Exporte verlassen das Land über den Seeweg.
Wenn Schiffsrouten nicht befahrbar sind, bedeute das einen höheren Zeit- und Kostenaufwand, so Gröschl. Eine ungeplante Unterbrechung könne dazu führen, dass Lebensmittel verderben oder Produktionsprozesse aufgrund fehlender Bauteile zum Stillstand kommen. Der Lieferkettendienst Everstream Analystics analysierte jüngst vier extreme Wetterereignisse der vergangenen zwölf Monate in den USA. Das Ergebnis: Sie verzögern Transporte um durchschnittlich zwei oder mehr Tage. 75 Prozent der Lieferungen werden danach sogar komplett gestrichen.
Besonders der Schiffsverkehr sei dabei anfällig, "da die Transport- und Logistikketten stark vernetzt und der Markt hochkompetitiv ist", sagt Gröschl. Der hohe Preisdruck sorge für maximale Auslastung und zeitlich enge Abläufe. Im Gegensatz zu anderen Verkehrsrouten gibt es zudem laut der Expertin nur begrenzte kurzfristige Ausweichmöglichkeiten, die oft umständlich oder kostspielig sind.
Klimaneutrale Schifffahrt als Lösung?
Forscher der Universität Oxford schätzen, dass allein durch klimabedingte Störungen an Häfen im Schnitt 81 Milliarden Dollar pro Jahr an globalem Handel und mindestens 122 Milliarden Dollar an wirtschaftlichen Aktivitäten gefährdet sind. Doch wie können sich Reedereien für die weiter steigenden Risiken wappnen? "Bei niedrigeren Wasserständen ist die Verringerung der Ladung sicherlich der einfachste Weg und auch der Einsatz kleinerer Schiffe ist möglich", erklärt Gröschl.
Ansonsten könne sich der Schiffsverkehr an den Klimawandel anpassen, indem er die Wettervorhersage verbessert, die Routenplanung sowie Hafenanlagen modifiziert und auf nachhaltigere Schiffstechnologien umsteige. Letzteres helfe nicht nur, den Klimawandel zu bekämpfen, sondern könne auch die Betriebskosten senken. Auch der VDA verweist mit Blick auf Lösungsansätze auf die Dekarbonisierung. Eine klimaneutrale Schifffahrt sei "deshalb keine Frage mehr des Ob, sondern des Wie".
Die oft riesigen Containerschiffe fahren bislang überwiegend mit Schweröl oder Marinediesel und einige auch mit flüssigem Erdgas LNG. Anfang Juli hatte sich die Weltschifffahrtsorganisation IMO erstmals auf gemeinsame Ziele für die Klimaneutralität verständigt. Die Treibhausgasemissionen sollen nun "unter Berücksichtigung der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten bis zum Jahr 2050 oder kurz danach" auf Null sinken.