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Produktion im Ausland Warum deutsche Firmen gerne in Polen investieren

Stand: 03.05.2023 08:17 Uhr

Für viele ausländische Investoren ist Polen mit Abstand das attraktivste Land in Ostmitteleuropa - trotz Kritik an der Regierungspolitik. Auch immer mehr deutsche Firmen zieht es zum Nachbarn.

Im Januar 2023 tritt der polnische Premierminister Mateusz Morawieki beim Weltwirtschaftsforum in Davos vor die Presse und verkündet eine Art wirtschaftspolitische Agenda: "Der Wiederaufbau der Lieferketten, gestützt auf Europa, auf Zentraleuropa, ist für uns eine große Chance. Polen hat die Chance, davon zu profitieren, weil wir aufgeschlossen sind für Investoren. Das ist eine große Sache."

Gut vernetzter und günstiger Produktionsstandort

Und die "große Sache" scheint zu funktionieren. 2022 verzeichnete das Land erneut einen Rekord mit etwa 3,7 Milliarden Euro an ausländischen Investitionen. Gerade erst kündigte Bosch an, gut 250 Millionen Euro in ein Wärmepumpen-Werk im polnischen Dobromierz zu investieren. Und auch Mercedes-Benz hat Ende vergangenen Jahres verkündet, in Polen E-Transporter zu bauen - Investitionsvolumen: mehr als eine Milliarde Euro.

Nicht mehr wegen niedriger Kosten, sondern weil es in Polen qualifizierte Fachkräfte gibt, sagt Ewa Łabno-Falęcka, die Sprecherin von Mercedes-Benz in Polen. "Unisono sind wir der Meinung, dass Polen ein attraktives Land ist, was Humankapital anbelangt", so Łabno-Falęcka. "Wir haben Rekordzahlen von Studenten. Dieses Jahr haben wir fast 50.000 IT-Studenten. So etwas kann kein europäisches Land vorweisen. Das ist mittlerweile für alle deutschen Investoren inklusive uns sehr sehr wichtig."

Anfragen bei der Auslandshandelskammer verdoppelt

Gut 9500 Firmen mit mindestens einem deutschen Eigentümer sind bereits in Polen, und es werden mehr. Was lange logisch aussah - ein gut vernetzter, aber günstiger Produktionsstandort in direkter Nachbarschaft zu Deutschland -, ist nach der Covid-Pandemie, mit einem Krieg im Nachbarland Ukraine und hoher Inflation in Polen nicht mehr selbstverständlich.

Die Stimmung hat sich verschlechtert. Trotzdem verzeichnet die deutsche Auslandshandelskammer (AHK) in Warschau fast doppelt so viele Anfragen interessierter Unternehmen wie im Vorjahr. Auch weil viele gerade nach Covid nicht mehr - oder zumindest nicht mehr nur - auf China setzen wollen, sagt AHK-Geschäftsführer Lars Gutheil. "Sehr viele Unternehmen wollen in vertrautere Gefilde in der Europäischen Union und setzen auf die Standortstärken, die Polen hat: also die Nähe zum deutschen Markt und einen relativ großen Arbeitskräftepool, der auch sehr gut qualifiziert ist."

Förderung, Branchen und Regionen

In einer Studie mehrerer deutscher Auslandshandelskammern steht Polen 2022 als das bei Investoren beliebteste Land in Ostmittel- und Osteuropa da. Nicht zuletzt, weil die EU im Rahmen der sogenannten regionalen Konvergenz teils üppige Steuervergünstigungen für ausländische Unternehmen erlaubt. Grob gilt: je höher die Arbeitslosigkeit und je schwächer die Infrastruktur in einer Region ist, desto mehr Anreize darf ein Land wie Polen für Investoren setzen. So soll auch strukturschwächeren Regionen eine Angleichung an den EU-Durchschnitt ermöglicht werden. 

In der Folge nehmen immer mehr deutsche Unternehmen auch den Osten Polens in den Blick. Wer im Westen rund um Wrocław, Poznań oder Katowice bauen möchte, muss inzwischen mit größerer Konkurrenz rechnen - unter anderem aus Deutschland. Denn gerade für die deutschen Autobauer ist der gut erschlossene polnische Südwesten mit seiner Nähe zum heimischen Markt, aber auch zu den Werken in Tschechien attraktiv. So wird Mercedes-Benz seine E-Transporter in Niederschlesien bauen. Aber auch Produzenten von Haushaltsgeräten, Elektronik, Möbeln und metall- und kunststoffverarbeitende Unternehmen entscheiden sich laut AHK oft für Polen. Obwohl inzwischen häufig Gehälter erwartet werden, die dem deutschen Markt recht ähnlich sind - Stichwort: Inflation.

"Politisch manchmal turbulent"

In einer Studie mehrerer deutscher AHK steht Polen 2022 als das bei Investoren beliebteste Land in Ostmittel- und Osteuropa da - nicht zuletzt wegen EU-Fördergeldern. "Sehr interessant ist, dass seit Jahren eigentlich die Mitgliedschaft in der EU der positivste aller Faktoren ist, die wir abfragen, während gleichzeitig die lokale Wirtschaftspolitik sehr kritisch gesehen wird", so AHK-Geschäftsführer Gutheil.

Gut 150 deutsche Firmen in der Region wurden befragt. Fast 70 Prozent beurteilen die Arbeit der polnischen Regierung als negativ und die "politische und soziale Stabilität" in Polen als gering. Politisch sei es in Warschau manchmal turbulent, sagt auch Mercedes-Benz-Sprecherin Łabno-Falęcka. Aber wirtschaftlich laufe die Zusammenarbeit. Und den Rechtsrahmen gebe ohnehin die EU vor.

 

Martin Adam, ARD Warschau, tagesschau, 25.04.2023 15:19 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 25. April 2023 um 09:41 Uhr.