Türkische Währung Lira fällt auf tiefsten Stand seit 2005
Die Wirtschaftspolitik des türkischen Präsidenten Erdogan hat massive Folgen für die Landeswährung: Die Lira ist auf den niedrigsten Stand seit ihrer Einführung gerutscht. Sein Wahl-Herausforderer verspricht eine Währungspolitik nach gängigen Lehren.
Knapp einen Monat vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei ist die Landeswährung auf ihren bislang niedrigsten Stand abgerutscht. Gestern stand der Wechselkurs in New York zwischenzeitlich bei 19,5996 türkischen Lira für einen Dollar. So wenig wert war die neue türkische Lira seit ihrer Einführung im Januar 2005 noch nie.
Die türkische Landeswährung hat seit Ende 2021 rasch an Wert verloren. Die Regierung in Ankara beschloss daher wiederholt Stützungsmaßnahmen. Diese seien aber "gescheitert", urteilte Mike Harris von der Beratungsfirma Cribstone Strategic Macro.
Unorthodoxe Wirtschaftspolitik
Die Behörden führten eine Reihe von Maßnahmen ein, um die Türken zu ermutigen, ihre Ersparnisse vor der Wahl weiterhin in Lira zu halten, und drängten gleichzeitig die Banken, den Anteil der Lira-Einlagen zu erhöhen.
Die unorthodoxe Politik des Staatschefs Recep Tayyip Erdogan zielt darauf ab, die Exporte, die Produktion und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, indem er die Zinssätze senkt und die Kredit-, Devisen- und Anleihemärkte stark kontrolliert. Fachleute gehen davon aus, dass die weit verbreitete Erwartung einer Abwertung der Lira nach den Wahlen Besorgnis hervorruft und die Nachfrage nach ausländischen Währungen erhöht.
Lockere Geldpolitik schwächt Lira
Auch wenn die Inflation in der Türkei in den vergangenen fünf Monaten stetig zurückgegangen ist, lag sie im März noch immer bei 50,51 Prozent im Jahresvergleich. Analysten erklären den Rückgang der Inflationsrate zudem mit statistischen Effekten unter anderem bei den Preisen für Energie. Eine Ursache der hohen Inflation in der Türkei ist aber auch die andauernde Kursschwäche der Landeswährung Lira, die Fachleute vor allem auf die lockere Geldpolitik der türkischen Zentralbank zurückführen.
Im Unterschied zu anderen großen Volkswirtschaften geht die Türkei gegen den Preisanstieg nicht mit einer Anhebung der Leitzinsen vor. Vielmehr sank der Leitzins der türkischen Zentralbank seit August von 14 auf 8,5 Prozent. Dies geschah auf Druck Erdogans. Der Präsident vertritt entgegen der vorherrschenden Wirtschaftstheorien die Auffassung, dass hohe Zinsen die Inflation begünstigen.
Erdogan-Herausforderer verspricht unabhängige Zentralbank
Experten der US-Bank JPMorgan rechnen damit, dass die türkische Währung nach den Wahlen im kommenden Monat sogar noch stärken fallen könnte - auf den Kurs von 30 türkische Lira für einen Dollar. Sie fügten hinzu, dass nur eine bescheidene Rückkehr zu einer orthodoxen makroökonomischen Politik, einschließlich eines langsameren Kreditwachstums, eines geringeren Niveaus finanzieller Repression und eines gewissen Weges zur Wiederherstellung der Devisenreserven, "wahrscheinlich nicht zu Kapitalzuflüssen führen wird". Das bedeutet, dass die Lira wahrscheinlich auf einem längerfristigen Abwertungspfad bleiben werde.
Die hart umkämpften Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei am 14. Mai dürften weitreichende wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen. Erdogans aussichtsreichster Herausforderer bei der Präsidentschaftswahl, Kemal Kilicdaroglu, verspricht, im Falle seines Wahlsiegs eine Währungspolitik nach den international gängigen Lehren zu verfolgen und die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank wiederherzustellen.
Die wirtschaftlichen Probleme der Türkei schmälern Erdogans Chancen auf eine erneute Wiederwahl. In jüngsten Umfragen hat Kilicdaroglu einen leichten Vorsprung vor Erdogan.