EU-Schuldenregeln Was plant Lindner beim Stabilitätspakt?
Christian Lindner hat seine Premiere bei den Treffen der Eurogruppe und der EU-Finanzminister. Bei einem Thema sind viele auf seine Position gespannt: Wie will er die EU-Schuldenregeln reformieren?
Europas Erwartungen an den Bundesfinanzminister sind hoch, und sie kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen. EU-Staaten im Norden wünschen sich einen Verbündeten beim Sparen. Länder aus den Süden Europas setzen darauf, dass sich der neue Berliner Ressortchef locker macht. Noch dürfen beide Seiten hoffen. Denn sechs Wochen nach Amtsantritt hat sich Christian Lindner noch nicht festgelegt, wie er sich die Reform der EU-Schuldenregeln genau vorstellt. Nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages vor gut einem Monat erklärte er: "Auch aus diesem Grund empfiehlt sich, dass die Wirtschafts- und Währungsunion sich weiter dem Stabilitätsgedanken verpflichtet in Verbindung mit Bemühungen um Wachstum und Investitionen, und in diesem Sinne wird die künftige Bundesregierung sich auch einbringen in das Gespräch über die Reform der Fiskalregeln."
Unterschiedliche Ansichten unter Freunden
Mitte Dezember besuchte Lindner seinen französischen Kollegen Bruno Le Maire in Paris - zwei Liberale, die sich Freunde nennen. Eigentlich müsste auch diese Freundschaft beim Geld aufhören. Denn Le Maire bezeichnet den Stabilitätspakt als überflüssig. Die FDP will ihn dagegen laut Wahlprogramm nach der Krise wieder vollumfänglich anwenden und Länder härter bestrafen, die ihre Haushalte nicht in Ordnung bringen. Gemeinsames Schuldenmachen wie während der Pandemie soll einmalig bleiben.
Aber so deutlich wurde der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Lindner in Paris nicht: "Was ist die richtige Fiskalpolitik angesichts des Inflationsrisikos und des Bedarfs an Investitionen im öffentlichen und privaten Bereich - dabei geht es um mehr als Debatten über Regeln, es geht um politische Maßnahmen", sagte er dort.
Frankreich und Italien haben sich schon festgelegt: Sie wollen Mitgliedsstaaten künftig das Schuldenmachen für zukunftsweisende Aufgaben erleichtern. Bestimmte Investitionen sollten bei der Berechnung der jährlichen Defizite nicht mitzählen. Die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden plädieren dagegen traditionell für strenge Regeln.
Wie streng sind die sparsamen Vier?
Diese sogenannten "sparsamen Vier" sind allerdings auch nicht mehr das, was sie mal waren: Die neue linksliberale Finanzministerin der Niederlande, Sigrid Kaag, steht für einen weicheren Kurs gegenüber hochverschuldeten EU-Partnern. In Österreich hat Gernot Blümel als Minister aufgegeben - er hatte sich im November ausdrücklich Lindner gewünscht im gemeinsamen Kampf für fiskalische Nachhaltigkeit.
Der sagte beim Dreikönigstreffen der FDP genau das, was sein Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) auf Fragen nach der Zukunft der EU-Schuldenregeln stets antwortete: "Sie haben sich bewährt auch hinsichtlich der Flexibilität ihrer Anwendung in der Krise." Tatsächlich sind die Regeln bis zum kommenden Jahr ausgesetzt, damit die EU-Regierungen ihrer Wirtschaft ohne Rücksicht auf Schulden durch die Krise helfen können.
Schulden abbauen, Klimaschutz ausbauen
Danach muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt nach breiter Überzeugung in Politik und Wissenschaft einfacher und zeitgemäß werden. Die wichtigsten Vorgaben: Das jährliche Defizit darf drei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten, die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent liegen. Das schafft nur rund ein Drittel der Euro-Staaten. Für einige ist diese Zielmarke über Jahre unerreichbar.
Für Guntram Wolff von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel ist die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wichtig, verbunden mit der Möglichkeit, die nötigen Klimainvestitionen zu tätigen: "Deshalb ein klares Plädoyer für eine Reform der Defizit- und Schuldenregeln, vor allem mit Fokus auf Klima-Investitionen. Aber ansonsten würde ich eher davor warnen, ein allgemeines Aufweichen der Regeln anzustreben, denn der Anpassungsbedarf in den nächsten Jahren ist erheblich, und die Situation sieht vielleicht gar nicht rosig aus, wenn die Zinsen erst einmal steigen."
Und was denkt der Bundesfinanzminister? Viele seiner Kolleginnen und Kollegen in der EU sind neugierig. Mit einigen hat er in den vergangenen Tagen schon gesprochen. Heute trifft er sie alle erstmals in großer Runde in Brüssel.