Mica-Minen in Indien Kinderarbeit für Glanz und Glitzer
Für viele Industrien ist das Mineral Mica essentiell. Er sorgt für glänzende Autolacke und schimmernden Lidschatten und dient als Leitmaterial in Elektronik. Doch allzu oft steckt hinter dem Mica-Abbau Kinderarbeit.
Täglich begibt sich der 10-jährige Neeraj in Lebensgefahr. Bis zu acht Stunden sucht der Junge, der im nordostindischen Bundesstaat Jharkhand lebt, nach Mica. Die Erde über den brüchigen Sandstein-Höhlen könnte jederzeit über ihm zusammenstürzen. Erst kürzlich sei das einer Frau passiert, die in einer Höhle neben ihm gearbeitet habe. Eine Möglichkeit der Rettung habe es nicht gegeben.
Vielfache industrielle Anwendung
Aus Indien kommen über die Hälfte der weltweiten Mica-Exporte. Der Rohstoff, der oftmals unter problematischen Bedingungen abgebaut wird, kommt unter anderem in Autolacken, Zahnpasta und Elektroprodukten vor. Beliebt ist Mica aber auch in der Kosmetikindustrie. Das Mineral sorgt für einen Glitzereffekt auf der Haut. Und auch wenn es inzwischen künstliche Alternativen gibt, setzen die allermeisten Firmen noch immer auf die natürliche Variante des Micas.
Neeraj ist zehn Jahre alt und riskiert sein Leben bei der Arbeit in einer Mica-Mine. Täglich acht Stunden lang schürft er das glitzernde Mineral.
Entstehung eines Schwarzmarkts
Bis in die 1990er-Jahre hinein galt die Stadt Koderma in Jharkhand noch als Hauptstadt des Micas. Das Mineral wurde damals noch größtenteils in legalen Minen abgebaut. Nach und nach wurden diese Minen von der Regierung geschlossen; teils weil sie versiegt waren, teils weil erhebliche Sicherheitsmängel bestanden. "Unsere Existenzgrundlage war innerhalb weniger Monate verschwunden", sagt Surya Barnawal, der früher selbst jahrzehntelang im Exportgeschäft tätig war.
Die Folge daraus war die Entstehung eines Schwarzmarkts, wie es ihn bis heute noch immer gibt. Leidtragende sind Familien, die in größter Armut leben. Sie und ihre Kinder suchen täglich mit bloßen Händen nach Mica - in Minen, die schon vor langer Zeit geschlossen wurden. Immer wieder passieren dabei verheerende Unfälle. Der Lohn für die harte Arbeit: fünf bis acht Cent für ein Kilo Mica. Am Ende des Tages kommen die Familien so auf etwa ein bis zwei Euro.
Exporteure profitieren
Wer profitiert, sind einige mächtige Menschen. Zuerst sogenannte Zwischenhändler, die zu den Minen fahren und den Menschen dort das Mica abkaufen. Sie verkaufen es dann für das Fünf- bis Sechsfache des Einkaufspreises an die großen Exporteure weiter, für 30 bis 35 Cent pro Kilo. "Wir wissen nichts von Kinderarbeit in den Minen", sagt uns ein Zwischenhändler, der anonym bleiben will. Ein zweifelhafte Aussage, zumal wir den Mann am Vormittag noch selbst an den Minen gesehen haben.
Während unserer Recherchen versuchen wir, auch mit denen in Kontakt zu kommen, die das Mica in die Welt exportieren und am meisten daran verdienen. Je nach Qualität verkaufen sie das Kilo Mica für bis zu 50 Euro: etwa das Tausendfache von dem, was die Familien und Kinder in den Minen bekommen. Doch auch auf mehrfache Nachfrage ist niemand bereit, sich öffentlich dazu äußern. Zu groß ist die Sorge um das lukrative Geschäft und schlechte Presse.
Die schmalen Schächte der Mica-Minen sind stark einsturzgefährdet. Es kommt immer wieder zu tödlichen Unfällen.
Die Politik sieht weg
Handeln könnte vor allem die Politik. Man wisse von den problematischen Bedingungen, sagt Sayeed Naseen von der lokalen Regierung. Zurzeit arbeite man daran, die Zulassungsverfahren für den Betrieb von legalen Minen zu vereinfachen. "Dadurch erhoffen wir uns, dass dort bessere Arbeitsbedingungen entstehen und faire Löhne gezahlt werden", so Naseen. Das Problem: Für die Mica-Händler funktioniert das Geschäft hervorragend so, wie es ist. Die Kosten sind niedrig, die Gewinne hoch. Ihr Anreiz, etwas zu ändern, ist äußerst gering.
So sind es vor allem Organisationen wie "Satyarthi", die versuchen, den Menschen in der Region zu helfen. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Schulen in entlegenen Orten zu bauen, Lehrer dafür zu gewinnen und die Eltern davon zu überzeugen, dass es für die Kinder existenziell sei, zur Schule zu gehen. "Wir stoßen zwar immer wieder an Grenzen", sagt Govind Khannal, der für "Satyarthi" als Projektmanager arbeitet, "aber wir haben es schon geschafft, viele Eltern zu überzeugen." Immer mehr Kinder würden nun regelmäßig die Schule besuchen.
Kaum Aussicht auf Änderung
Auch internationale Großkonzerne haben mit der "Responsible Mica Initiative" ein Projekt gegründet, mit dem sie den nachhaltigeren Anbau von Mica fördern wollen. Noch immer aber ist es so gut wie unmöglich, die Lieferkette des Glitzerrohstoffs nachzuvollziehen. Noch immer arbeiten zahlreiche Kinder viele Stunden täglich in den illegalen Minen und suchen nach Mica. Weil ihre Familien ohne ihre Mithilfe verhungern würden, gibt es für sie keine echte Chance, den ewigen Kreislauf aus Kinderarbeit und Armut zu durchbrechen.