Tschechien Ratlos in der Rekord-Inflation
Wie viele europäische Länder kämpft Tschechien mit einer hohen Inflationsrate, und das trotz mehrerer Leitzinserhöhungen. Nun kommt ein Kurswechsel - und ein neuer Zentralbankchef.
Tschechien leidet unter einer längst nicht mehr schleichenden Inflation. Die Teuerungsrate ist auf Rekordstand und doppelt so hoch wie im Euro-Raum. Die Tschechische Nationalbank hat deswegen die Leitzinsen in kurzer Folge drastisch angehoben, was aber unter Ökonomen umstritten ist. Das Land steuere auf eine Stagflation zu, also eine stagnierende Wirtschaft plus Inflation.
Präsident Zeman gegen noch höhere Zinsen
In dieser Situation hat nun Präsident Milos Zeman den künftigen Zentralbank-Chef berufen. Denn dass Zeman unter den vier Kandidaten für den Chefposten der Nationalbank einen Favoriten namens Ales Michl hatte, war in Prag schon länger ein offenes Geheimnis. Michl steht für das Gegenteil der bisherigen Linie: für eine Politik des billigen Geldes - um zu verhindern, dass die Wirtschaft abgewürgt wird.
Der tschechische Präsident gab ihm denn auch bei der Ernennung gleich mit auf den Weg, was er von ihm erwartet: "Ich rechne jetzt nicht mit einem starken Rückgang der Zinssätze. Es gibt derzeit aber auch keine Gründe für weitere Erhöhungen." Er habe Michl ernannt, weil der die Zinserhöhungen kritisch sehe, betonte Zeman.
Rekordinflation trotz sieben Leitzinserhöhungen
Sieben Mal innerhalb von zwei Jahren hat die Nationalbank den Leitzins angehoben, auf nunmehr 5,75 Prozent. Im Mai 2020 lag er noch bei 0,25 Prozent. Aber die Währungshüter waren sich zuletzt nicht einig: Zwei der sieben Mitglieder des Zentralbankrats waren gegen die letzte Anhebung. Zu ihnen gehörte auch Michl.
Jiri Rusnok, der demnächst scheidende Präsident der Nationalbank, verteidigte seine Linie: "Wir können nicht auf Zinserhöhungen verzichten. Sonst würden wir auf das Mandat der Tschechischen Nationalbank als Hüterin der Preisstabilität verzichten." Die ist in der Tat gefährdet, denn die Inflationsrate hat aufs Jahr gerechnet inzwischen 14,2 Prozent erreicht.
Dilemma für die Geldpolitik
Aber die Zentralbank steht vor einem Dilemma. "Dieses Zinsniveau wird sich zweifelsohne negativ auf Unternehmen und Haushalte auswirken", sagt Jakub Seidler, Chefvolkswirt beim tschechischen Bankenverband. "Die Nationalbank ist sich darüber klar, denn die Inflation muss bekämpft werden, indem die Wirtschaftstätigkeit und die Nachfrage in gewissem Maße gedämpft wird."
Jan Svejnar, Direktor des Center for Global and Economic Policy an der Columbia University in New York, hält das für riskant und vor allem den Zeitpunkt für falsch. "Es könnte zu einer Rezession führen, was unglücklich wäre, denn die tschechische Wirtschaft ist noch nicht wieder auf dem Niveau von vor der Covid-Pandemie."
Folgen am Immobilienmarkt
Auf dem Immobilienmarkt etwa ist bereits zu spüren, dass die Politik des billigen Geldes vorbei ist. Wer jetzt in Tschechien Hypotheken braucht, muss etwa fünf Prozent Zinsen einkalkulieren. Das führt zu Effekten, wie man sie hier bisher nicht gekannt hat. "Die Immobilienpreise in Prag sind bereits so hoch, dass hier eine unnatürliche Situation entstanden ist, in der Mietwohnungen rentabler sind als eine mit einer Hypothek erworbene Wohnung", erläutert Michal Skorepa von der Tschechischen Sparkasse.
Aber auch die Kredite der Unternehmen werden teurer in einer Zeit, in der sie schon mit höheren Kosten für Material, Energie und Transport zu kämpfen haben. Deshalb ist Tschechiens künftiger Nationalbank-Präsident Michl gegen die Verteuerung auch des Geldes. Die Wirtschaft dürfe nicht abgewürgt werden.
Es gibt allerdings Fachleute, die argwöhnen, dass Michls Kurs auch mit seiner Verbindung zu Ex-Premier Andrej Babis und seiner Agrofert-Gruppe zu tun hat. "Er ist der ehemalige Anlagestratege jener Bank, die die Aktivitäten von Agrofert maßgeblich finanziert hat", sagt der Wirtschaftsjournalist Tomas Lemesani, der über das Firmenimperium von Babis recherchiert hat. Nach seinen Angaben hat Agrofert umgerechnet etwa eine Milliarde Euro Schulden. Und höhere Zinsen könnten das Agrofert-Gebäude womöglich ins Wanken bringen.