IEA-Chef spricht von Wendepunkt Geht die fossile Ära bald zu Ende?
Der beschleunigte Ausbau Erneuerbarer Energien zeigt nach Ansicht des Chefs der Energieagentur IEA, Fatih Birol, Wirkung: Die IEA sieht die Welt jetzt am Beginn des Endes des fossilen Zeitalters.
Nach Ansicht der internationalen Energieagentur IEA steht das Ende der globalen fossilen Ära bald bevor. Noch vor dem Jahr 2030 soll die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas und Kohle den Höhepunkt erreicht haben. Die neuen Einschätzungen basieren auf neuen Projektionen des Jahresberichts für 2023 der IEA, der im kommenden Monat vorgestellt wird.
"Historischer Wendepunkt"
"Wir erleben den Anfang vom Ende der Ära der fossilen Brennstoffe und wir müssen uns auf die nächste Ära vorbereiten", sagte IEA-Chef Fatih Birol der "Financial Times" ("FT") über die Prognosen. Das zeige, dass Klimapolitik funktioniere. Als Grund für den Rückgang nennt die IEA das schnelle Wachstum Erneuerbarer Energien wie Solar- und Windenergie. Auch das Elektroauto trage einen Teil dazu bei. Birol spricht diesbezüglich von einem "historischen Wendepunkt".
Gleichwohl fordert der IEA-Chef die politischen Entscheidungsträger zu weiteren Anstrengungen auf, um die Energiewende zu beschleunigen und die Emissionen weiter zu reduzieren.
Alte Prognose überholt
In ihren Energieausblick vor einem Jahr hatte die IEA noch das Jahr 2030 als möglichen Wendepunkt avisiert. Der in den vergangenen zwölf Monaten global vorangetriebene Ausbau Erneuerbarer Energien habe dafür gesorgt, dass die alte Prognose mittlerweile aus Sicht der IEA überholt ist.
Birol unterstreicht in der "FT" vor allem die Rolle Chinas. Er beobachtet dort "strukturelle Veränderungen" und einen Wandel der Wirtschaft von der Schwerindustrie zu weniger energieintensiven Industrien und Dienstleistungen.
Birol zufolge sei in den vergangenen zehn Jahren etwa ein Drittel des weltweiten Wachstums der Erdgasnachfrage und zwei Drittel des Wachstums der Ölnachfrage auf China zurückzuführen gewesen. Das dürfte sich ändern: "Solar-, Wind- und Atomkraft werden das potenzielle Wachstum der Kohle in China übertreffen."
Erneuerbare Energien ausbauen
Nach Statista-Angaben sei China zwar der größte CO2-Emmitent der Welt und baue weiter neue Kohlekraftwerke. Das Land sei laut einer IEA-Prognose aber weltweit auch führend in Bezug auf den Ausbau Erneuerbarer Energien.
Danach soll die installierte Leistung bei regenerativer Energie allein in diesem Jahr um 170 Gigawatt steigen. Das entspreche fast der Hälfte aller weltweit zugebauten Kapazitäten. Insgesamt käme China dann auf eine Nennleistung von über 1.400 Gigawatt oder 35,5 Prozent der weltweit installierten Leistung.
Hierzulande sind Erneuerbare Energien im vergangenen Jahr bereits für 46,2 Prozent des Bruttostromverbrauchs verantwortlich gewesen. Und bis 2030 plant die Bundesregierung, dass 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien kommen sollen.
Der Anteil soll sich danach in weniger als zehn Jahren fast verdoppeln. Die Ausbaugeschwindigkeit müsse sich dafür sogar verdreifachen, schreibt die Bundesregierung. EU und USA bauen ihre vorhandenen Kapazitäten ebenfalls aus.
Von der Gelddruckmaschine zu "stranded assets"
Birol stellte in der "FT" darüber hinaus fest, dass neue Projekte für fossile Brennstoffe Gefahr liefen, zu sogenannten "stranded assets" zu werden. Damit sind Investitionen gemeint, die sich für den Investor nicht rechnen, weil deren Marktwert aufgrund veränderter Rahmenbedingungen drastisch sinkt. Neue Großprojekte für fossile Brennstoffe würden nicht nur große Klimarisiken bergen, sondern auch große finanzielle Risiken, so Birol.
Gleichzeitig räumte er aber ein, dass einige Investitionen in die Öl- und Gasversorgung weiterhin erforderlich seien, um den eventuellen Förderrückgang bestehender Felder zu kompensieren.
OPEC und Ölmultis warnen
Mit diesen Thesen machen sich die IEA und Birol nicht überall beliebt. Das Ölkartell OPEC hatte sich im April zur These eines baldigen Nachfragehöhepunkts im Jahr 2030 geäußert.
"Wenn irgendetwas zu künftigen Preisschwankungen an den Ölmärkten führen wird, dann sind es die wiederholten Aufrufe der IEA, nicht mehr in Öl zu investieren, wohl wissend, dass alle datengestützten Aussichten den Bedarf an mehr von diesem kostbaren Rohstoff voraussehen, um das globale Wirtschaftswachstum und den Wohlstand in den kommenden Jahrzehnten anzukurbeln, insbesondere in den Entwicklungsländern", hatte OPEC-Generalsekretär Haitham Al Ghais festgestellt.
Auch große Öl- oder Gasproduzenten warnen, dass zu geringe Investitionen in die Öl- und Gasversorgung das Risiko zukünftige Energiekrisen erhöhten, wenn sich die IEA-Prognosen als zu optimistisch erwiesen, schreibt die "FT".