Erstmals nach Brexit gestiegen Exporte nach Großbritannien vor Comeback?
Erstmals nach dem Brexit könnten die deutschen Ausfuhren nach Großbritannien in diesem Jahr wieder wachsen. Eine Trendwende ist das laut DIHK aber nicht. Derweil steigt die britische Inflationsrate auf ein 40-Jahres-Hoch.
Die deutschen Exporte nach Großbritannien stehen nach Jahren des auch Brexit-bedingten Niedergangs vor einem Comeback: Sie könnten in diesem Jahr erstmals seit 2015 wieder wachsen. Von Januar bis August verkauften die deutschen Unternehmen Waren im Wert von 48 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich - ein Plus von 11,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das geht aus der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) hervor.
Hält der Aufwärtstrend bis Jahresende an, wäre das der erste Anstieg nach sechs Jahren schrumpfender Ausfuhren in Folge. Im vergangenen Jahr betrug der Wert deutscher Exportwaren nach Großbritannien nach Angaben von Destatis 66,7 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 2015 hatte er noch bei 89 Milliarden Euro gelegen.
Aussichten laut DIHK weiter trüb
Die Negativserie begann mit dem Jahr des Brexit-Referendums 2016, bei dem sich eine knappe Mehrheit der Briten für einen EU-Abschied aussprach, der mittlerweile vollzogen ist. Trotz der nun positiven Entwicklung sieht der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) keinen Grund zum Jubeln, da der Brexit und die jüngsten Turbulenzen um die britische Landeswährung Pfund die Geschäfte erschwerten.
"Das ist alles andere als eine Trendwende im deutsch-britischen Handel zum Guten", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier heute gegenüber Reuters. "Im UK-Geschäft sind die Aussichten der deutschen Wirtschaft weiterhin trüb." Der erstmals seit Jahren wieder steigende Export in das Vereinigte Königreich sei nur ein Zeichen für die enorm aufgetürmten Kosten, welche die Unternehmen versuchten weiterzugeben, so Treier.
"Der Brexit sorgt vielmehr nach wie vor für Planungs- und Rechtsunsicherheit bei international aktiven deutschen Unternehmen." Insbesondere die mittelständische Wirtschaft sehe sich von der neu aufkommenden Regelungsdichte belastet. Auch die britischen Pläne zum Abweichen von EU-Regeln und Standards - etwa im Datenschutz, bei Lebensmitteln oder in der Chemie - erhöhen laut DIHK die Kosten und die Unsicherheit für deutsche Unternehmen im UK-Geschäft.
Britische Inflation auf 40-Jahres-Hoch
"Hinzu kommt das Beben und die Verwirrung in den Kapitalmärkten und der britischen Wirtschaft insgesamt, ausgelöst durch zunächst angekündigte, dann teils zurückgenommene Konjunktur- und Steuerpakete", sagte Experte Treier. "Die damit verbundenen Wechselkursschwankungen verstärken die Unsicherheiten in den deutsch-britischen Geschäftsbeziehungen."
Zu Wochenbeginn hatte der neue Finanzminister Jeremy Hunt den größten Teil der wirtschaftspolitischen Pläne von Premierministerin Liz Truss gekippt. Dies gilt auch als Versuch, einen dramatischen Vertrauensverlust der Anleger einzudämmen, die an der Tragfähigkeit der zunächst erwogenen schuldenfinanzierten Finanzplanung zweifelten. Die Ankündigung hatte die Börsen in die schwersten Turbulenzen seit Jahren gestürzt, das Pfund auf ein Rekordtief zum Dollar fallen lassen und die Renditen der britischen Staatsanleihen massiv in die Höhe getrieben.
Für viele Ökonomen kamen die Steuersenkungspläne des ehemaligen Finanzministers Kwasi Kwarteng zur Unzeit. Die heftig gestiegenen Energiepreise hatten die Inflation im Vereinigten Königreich zuletzt nach oben getrieben. Im September stiegen die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat erneut um 10,1 Prozent, wie das Statistikamt ONS heute mitteilte. Im Vormonat waren sie auf 9,9 Prozent zurückgegangen, nachdem sie im Juli bereits den Wert von 10,1 Prozent erreicht hatten. Die britische Teuerung steht derzeit auf dem höchsten Stand seit Beginn der Erfassung im Jahr 1997. Zuletzt war die Inflation im Jahr 1982 höher gewesen.
Bedeutung des Handelspartners nimmt ab
Die schwierige wirtschaftliche Lage in dem Vereinigten Königreich könnte auch den Handel mit Deutschland belasten. "Die deutsche Außenwirtschaft befindet sich ohnehin angesichts der globalen Krisen in einem schwierigen Fahrwasser", sagte DIHK-Fachmann Treier. "Reduzierte Planbarkeit im Geschäft mit Großbritannien, einem unserer wichtigsten Handelspartner, kommt jetzt leider noch hinzu."
In der Rangfolge der wichtigsten Handelspartner Deutschlands belegte Großbritannien im vergangenen Jahr Platz zehn. Im Jahr des Brexit-Referendums 2016 war das Land noch der fünftwichtigste Handelspartner. Wichtigster Partner ist die USA. Das Exportvolumen mit den Vereinigten Staaten befindet sich aktuell auf Rekordkurs.
Schon im August hatten die Ausfuhren die Marke von 100 Milliarden Dollar überschritten, so früh wie bei keinem anderen Land zuvor. Insgesamt wuchsen die deutschen US-Exporte in den ersten acht Monaten um 27,2 Prozent zum Vorjahreszeitraum auf 100,2 Milliarden Euro.