Einzelhandel und Ernährung Ist veggie wirklich teurer?
Vegetarische und vegane Lebensmittel sind ein stark wachsender Markt. Das hat auch mit der Preispolitik der Discounter zu tun. Aber noch ist das Geschäft eine Nische, in der vor allem Jüngere kaufen.
Wenn Amelie Kirn und Stella Prillwitz einkaufen gehen, dann sucht man Wurst und Fleisch vergeblich im Einkaufskorb. Die beiden angehenden Ernährungstherapeutinnen haben sich in ihrer Würzburger Wohngemeinschaft für eine pflanzenbasierte Ernährung entschieden. Schon seit mehr als zwei Jahren sind sie voll dabei.
Mittlerweile kaufen sie auch weniger Fleischersatzprodukte und stellen zum Beispiel Burgerpatties einfach selbst her. Für den Übergang zur fleischlosen Ernährung seien die ständig neu auf den Markt kommenden Produkten aber eine gute Alternative. "Es gab einen großen Wandel in den Supermärkten, die Auswahl wird immer größer", hat Stella Prillwitz festgestellt.
Und sie liegt mit ihrer Einschätzung richtig. Die Produktion vegetarischer und veganer Ersatzprodukte hat in den vergangenen Jahren extrem zugelegt. Während 2019 noch rund 60.400 Tonnen davon erzeugt wurden, sind es 2023 bereits 121.600 Tonnen gewesen und damit mehr als doppelt so viele.
Alle Kunden sollen angesprochen werden
In der Anfangszeit der Burger ohne Fleisch waren die Produkte häufig teurer als ihr Vorbild aus Fleisch. Doch auch das hat sich geändert. "Ich habe nicht wirklich das Gefühl, dass ich mehr Geld investieren muss für meine vegane Ernährung", sagt Amelie Kirn. Besonders seit die Discounter Lidl und Aldi das Versprechen abgeben, dass pflanzliche Produkte sich am Preis der tierischen Erzeugnisse orientieren und ihnen auch in Geschmack und Konsistenz ähneln sollen, gibt es kaum mehr einen spürbaren Unterschied.
Natürlich ist die Preisstrategie auf ein verändertes Marketing zurückzuführen. Ziel des Handels ist es nun, pflanzliche Lebensmittel allen Kunden schmackhaft zu machen und nicht wenigen ausgewählten. Der Plan scheint aufzugehen. Denn mit dem Angebot wächst auch die Nachfrage nach veganen oder vegetarischen Alternativen stetig - abzulesen am Umsatz. Dieser lag noch 2019 bei 272,8 Millionen Euro und ist bis 2023 auf 583,22 Millionen Euro angestiegen.
Fleischesser als Zielgruppe
Und nicht nur im Lebensmitteleinzelhandel hat sich das Motto verändert, auch in der veganen Gastronomie gilt Vergleichbares. Im südhessischen Darmstadt beispielsweise hat 2020 die erste Filiale der Schweizer Kette Tibits eröffnet. Konzept ist ein veganes und vegetarisches Buffet, ein Restaurant mit Selbstbedienung also. In Darmstadt sogar mehr als das, das Restaurant ist gleichzeitig die Firmenkantine der Biosupermarktkette Alnatura.
Sascha Falk, bei Tibits in Darmstadt verantwortlich für den Bereich Sales & Management, weist auf eine weitere Besonderheit hin: "98 Prozent unserer Gäste sind eigentlich Fleischesser und keine Vegetarier oder Veganer." Die Kundschaft komme also nicht, weil sie die Entscheidung zur eigenen Ernährung nur in eine Richtung getroffen habe, sondern aus anderen Gründen. Dabei helfe eben auch das Buffet-Konzept. "Die Leute, die sonst vielleicht nicht vegetarisch essen, sehen die Speisen vorher und riskieren keine ganze Portion." So probierten viele einfach mal nach Lust und Laune neue Dinge aus.
Qualität kostet aber doch
Gezahlt wird bei Tibits nach Gewicht. 3,70 Euro pro 100 Gramm ist nicht gerade preiswert, weiß auch Sascha Falk. Das liegt seiner Ansicht nach aber nicht daran, dass es nur vegane und vegetarische Produkte gibt, sondern an der Qualität der Ware. "Wir kaufen nur Bio-Lebensmittel ein." Zudem verzichte man komplett auf Convenience-Produkte und habe eine verhältnismäßig hohe Zahl an Köchen und Köchinnen in der Küche.
Dieselbe Herangehensweise haben auch Sarah und Pascal Barget gewählt: Qualität hat ihren Preis. Die beiden kommen aus Kalbach bei Fulda und haben vor eineinhalb Jahren ihr eigenes Start-up "Hasenzähnchen" gegründet. Sie bieten in ihrem Online-Shop Nussmus an sowie vollwertige und vegane Alternativen zu herkömmlichen Backmischungen von Waffeln, Muffins oder auch Pfannkuchen. "Wir haben uns als Zielgruppe eigentlich Eltern gesetzt mit jungen Kindern, die einen vollen Alltag haben und gerne schnelle Alternativen zubereiten wollen, aber unsere Kunden, die dann letztlich bei uns kaufen, sind auch ganz andere Leute."
Je jünger, desto weniger Fleisch
Für die jungen Gründer gut: Überraschend viele Menschen interessieren sich für andere Ernährungsweisen, und mehr und mehr wissen zu schätzen, was ein vollwertiges Produkt ist. Auch offizielle Zahlen aus dem Ernährungsreport des Bundesernährungsministeriums bestätigen, dass mehr Menschen auf Standards wie Bio- oder Tierwohllabel achten - und auch zu vegetarischen und veganen Alternativen greifen. Hier allerdings ist klar erkennbar, dass sich vor allem Jüngere für die Ersatzprodukte entscheiden.
Beim Start-up "Hasenzähnchen" werden die Produkte im eigenen Heim per Hand hergestellt - ein Grund dafür, dass auch hier die Backmischungen tendenziell teurer sind als herkömmliche Produkte. "Wir haben höhere Einkaufskosten und nur kleine Mengen", sagt Pascal Barget. Ihr Umsatz liegt aktuell im mittleren fünfstelligen Bereich, für ein komplettes Einkommen als Familie und das Aufgeben des Alltagsjobs reicht das noch nicht. Das bestätigt einmal mehr: Noch ist das Marktsegment Veggie eine Nische, aber eine, die stetig größer wird.