Ein Teilnehmer einer Projektstudie der Netze BW lädt in seiner Garage ein E-Auto.
FAQ

Energiewende Wie kann das Stromnetz geschützt werden?

Stand: 15.03.2023 12:25 Uhr

Die wachsende Anzahl an Elektroautos und strombetriebenen Wärmepumpen stellt das Stromnetz vor neue Herausforderungen. Eine "netzorientierte Steuerung" soll Abhilfe schaffen. Doch wie genau funktioniert das?

Die steigende Nutzung von Elektroautos und strombetriebenen Wärmepumpen wirft die Frage auf, wie lokale Stromnetze vor Überlastung geschützt werden können. Das Energiewirtschaftsgesetz sieht hierfür neuerdings eine "netzorientierte Steuerung" vor.

Was ist das Problem?

Die Energiewende in Deutschland treibt den Ausbau erneuerbarer Energiequellen und die Elektrifizierung des Verkehrs- und Gebäudesektors voran. Millionen von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen sollen dazu beitragen, die CO2-Emissionen zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen.

Laut einer Stellungnahme der Deutschen Energie-Agentur an die Bundesnetzagentur werden die Stromnetze durch den schnellen Zuwachs neuer Verbraucher vor große Herausforderungen gestellt. Insbesondere die Niederspannungsnetze seien in der Regel nicht auf die Lastspitzen ausgelegt, die durch den gleichzeitigen Strombezug dieser neuen Verbraucher entstehen könnten. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sei ein Netzausbau dringend notwendig. Dieser erfordert jedoch erhebliche Investitionen und qualifiziertes Personal, welches derzeit knapp ist.

Was ist die geplante Lösung?

Um den Hochlauf von Elektroautos und Wärmepumpen zu gewährleisten, sollen Netzbetreiber durch Steuerung Kapazitätsengpässe im Stromverteilnetz vorbeugen. Dieses Ziel steht im Fokus der Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes, das der Bundesnetzagentur bundeseinheitliche Regelungen erlaubt.

Im November des vergangenen Jahres hat die Netzagentur erste Eckpunkte vorgestellt, die den Verteilernetzbetreibern ermöglichen sollen, im Bedarfsfall steuernd einzugreifen und einen sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten. Dabei sollen sie nur so viel steuern wie notwendig, um den "Komfort" der Kunden möglichst wenig einzuschränken. Es gehe um eine temporäre Reduzierung des Strombezugs aus dem Netz. Die Gegenleistung für Verbraucher: ein pauschaler Rabatt auf das Netzentgelt.

Steuerbare Wärmepumpen, private Ladestationen sowie Stromspeicher sollen insbesondere dann betrieben werden, wenn der Strompreis aufgrund einer hohen Einspeisung von erneuerbaren Energien niedrig ist. Die Steuerbarkeit soll den Netzbetreibern die Möglichkeit geben, Engpässe zu vermeiden und somit lokale Stromausfälle zu verhindern.

Was heißt das für Verbraucher?

Um Überlastungen im Stromverteilnetz zu vermeiden, sollen nach dem Konzept der Bundesnetzagentur bei drohenden Engpässen die Leistung von Wallboxen beispielsweise auf 3,7 Kilowatt reduziert werden. Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) würde dies jedoch zu einer dreifachen Ladezeit für E-Autos führen und könne "erhebliche Komforteinbußen" und Einschränkungen für Nutzer bedeuten.

Der Bundesverband Wärmepumpe gibt an, dass es bereits freiwillige Vereinbarungen gebe, um Wärmepumpen für bis zu zwei Stunden bei Spitzenauslastungen abzuschalten, ohne dass es für die Haushalte zu Komfortverlusten kommt. Nach den Eckpunkten der Bundesnetzagentur soll dies jedoch verpflichtend werden. Der Verband bemängelt jedoch das Fehlen von Detailvorgaben. Viele Hersteller geben zudem an, dass viele Wärmepumpen im Bestand technisch nicht in der Lage seien, auf eine Leistung von 3,7 Kilowatt heruntergefahren zu werden und sich in diesem Fall automatisch vollständig abschalten würden.

Was fordert die Industrie?

Ein Bündnis aus dem Bundesverband Neue Energiewirtschaft, dem Bundesverband Wärmepumpen, dem VDA und dem Verbraucherzentrale Bundesverband befürchtet massive Einschränkungen für Verbraucher. Es fordert Obergrenzen für "Notfall-Abdrosselungen" sowie weitere Maßnahmen, um eine Netzüberlastung vorbeugend zu vermeiden. Dazu zählen zum Beispiel zeitvariable Stromtarife, die Verbraucher dazu ermutigen sollen, ihre Ladevorgänge in Zeiten niedriger Netzauslastung zu verlagern und dadurch finanziell zu profitieren. Direkte Steuerungseingriffe des Netzbetreibers sollten nur als letztes Mittel eingesetzt werden, so das Bündnis.

Energieexperte Lion Hirth von der Hertie School in Berlin empfiehlt Anreize, um Verbraucher dazu zu bewegen, ihre Elektrofahrzeuge dann zu laden, wenn das Netz genügend Kapazität habe. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass Deutschland endlich entscheidende Fortschritte bei der Digitalisierung des Stromsystems mache. "Man braucht intelligente Messeinrichtungen, die das auch in Echtzeit übermitteln können. Deutschland ist hier spektakulär schlecht im internationalen Vergleich."

Was sagt die Energiebranche?

Der VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik widerspricht der Kritik des Verbände-Bündnisses, dass Netzbetreiber im Falle einer drohenden Netzüberlastung Geräte "einseitig und unbegrenzt" abdrosseln dürften. Kunden seien von Anfang an darüber informiert und erhielten dafür eine finanzielle Vergütung in Form eines reduzierten Netzentgeltes, unabhängig davon, ob sie von Steuerungsmaßnahmen betroffen seien oder nicht.

"Unbegrenzt abdrosseln" sei nicht gegeben. Der VDE betont, dass es Mindestgrenzen gebe, die nicht unterschritten werden dürften, damit Kunden ihre normalen Stromverbraucher weiterhin betreiben können. "Selbst der Ladevorgang eines E-Autos ist damit möglich, wenn auch mit reduzierter Leistung und damit längerer Ladezeit", so der VDE.

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hält die Sorge für unbegründet, dass Verbraucher zeitweise nicht mit Strom versorgt werden könnten. Die geplante Regelung gelte nur für Haushalte, die zum Beispiel eine Wallbox oder eine Wärmepumpe installiert hätten, sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. Der Haushalt selbst bleibe von einer möglichen kurzzeitigen Drosselung unberührt. "Kühlschrank, Waschmaschine und Internet laufen weiter wie bisher."

Die oberste Prämisse bleibe nach wie vor der Netzausbau, betont der Verband. "Die Möglichkeit zur kurzzeitigen Dimmung ist eine Ultima Ratio-Maßnahme, bis das Netz an den neuen Bedarf angepasst ist." Die punktuelle Steuerung ersetze den Netzausbau nicht, sondern sichere kurzfristig die Versorgungssicherheit.

Wie geht es weiter?

Am Donnerstag findet eine öffentliche Anhörung bei der Bundesnetzagentur statt, um die umstrittenen Punkte zu diskutieren. Im zweiten Quartal des Jahres will die Behörde einen konkreten Regelungsentwurf veröffentlichen und alle Betroffenen haben dann erneut die Möglichkeit, sich dazu zu äußern. Im Herbst 2023 plant die Behörde, die endgültige Regelung vorzulegen, die ab Januar 2024 in Kraft treten soll.