Finanzamts-Zins verfassungswidrig Was das Karlsruher Urteil für Steuerzahler bedeutet
Sparer kennen Zinsen schon lange nicht mehr, die Finanzbehörden dagegen schon. Jahrelang hielten sie an einem hohen Steuerzins fest - wogegen sich nun das Bundesverfassungsgericht stellt. Was sind die Folgen?
Was sind überhaupt Steuerzinsen?
Finanzamtszinsen gibt es sowohl bei Steuernachzahlungen als auch bei -rückzahlungen. Sie werden fällig, wenn sich die Festsetzung um mehr als 15 Monate verzögert, also ein Teil der Steuern erst im Nachhinein entrichtet wird oder die zu viel gezahlten Abgaben zu lange beim Fiskus liegen. Bei einer Erstattungen profitiert somit der Steuerzahler, bei Nachzahlungen der Staat.
Durch die Steuerzinsen will der Fiskus gewährleisten, dass alle Betroffenen gleichmäßig belastet werden. Sie sollen die Liquiditätsvorteile und damit Gewinne ausgleichen, die in der Zeit mit dem Geld hätten erwirtschaftet werden können. Anders als der Säumniszuschlag werden die Finanzamts-Zinsen daher nicht als Bestrafung gesehen. Sie gelten bei der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer.
Wie hoch sind die Steuerzinsen?
Der einheitliche Zinssatz wurde bereits 1961 festgelegt und seitdem nicht mehr verändert. Er beträgt monatlich 0,5 Prozent, das heißt sechs Prozent pro Jahr.
Warum ist das ein Problem?
Nach Ansicht der Kritiker hat der vergleichsweise hohe Zinssatz im Jahr nichts mit der Realität am Kapitalmarkt zu tun. Es würden Gewinne abgeschöpft, die so im Moment gar nicht zu erzielen seien.
Denn nach der Finanzkrise senkte die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins in den vergangenen Jahren immer weiter. Der Einlagesatz liegt seit 2014 im negativen Bereich - aktuell steht er bei minus 0,5 Prozent. Damit müssen Banken Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Der Leitzins zur Versorgung der Institute mit Liquidität liegt seit März 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent.
Diese niedrigen Zinsen geben die Geldhäuser an die Einleger weiter. Selbst Negativzinsen werden immer beliebter: Nach einer Auswertung des Vergleichsportals Verivox verlangten im Juli 367 Banken und Sparkassen negative Zinsen von ihren Privatkunden, die Geld auf Giro- oder Tagesgeldkonten parken. Das sind doppelt so viele wie noch zu Jahresbeginn.
Welche Auswirkungen haben die hohen Steuerzinsen?
Bei privaten Steuerzahlern sind die Summen recht klein. Dennoch ist der Zins für verspätete Mitteilungen unverhältnismäßig hoch. Für alle, die nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind, konnte sich das Warten sogar lohnen. Sie müssen ihre freiwillige Erklärung erst vier Jahre nach Ende des jeweiligen Jahres abgeben und konnten somit ab dem 16. Monat Zinsgewinne erzielen - auch wenn diese wiederum in der nächsten Steuererklärung angegeben werden müssen.
Härter trifft es Unternehmen, die hohe Steuerbeträge bezahlen. Sie mussten bisher drastische Nachforderungen fürchten. In Karlsruhe klagten daher zwei Firmen, deren Gewerbesteuer nach einer Steuerprüfung deutlich nach oben korrigiert worden war. In dem einen Fall erhöhten sich die zu zahlenden Zinsen dadurch von 423 Euro auf mehr als 194.000 Euro. Auch im zweiten Verfahren geht es um einen sechsstelligen Betrag.
Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?
Das Bundesverfassungsgericht erklärte die jährliche Verzinsung von Steuerschulden für verfassungswidrig. Die Richter des Ersten Senats halten den Zinssatz spätestens seit 2014 für "evident realitätsfern". Um den Staatshaushalt keinen allzu großen Unsicherheiten auszusetzen, ordnen sie Korrekturen aber nur für neuere Bescheide seit 2019 an. An Zinsen, die vorher festgesetzt wurden, wird nicht mehr gerüttelt.
Schon zuvor sei die Gesetzeslage in Bundestag und Bundesrat kritisiert worden, erklärt Leo Kohz von der ARD-Rechtsredaktion. Doch die Bundesregierung habe sich gegen alle Veränderungsvorschläge gestellt - bis jetzt. Denn nun bekommt der Gesetzgeber bis spätestens Ende Juli 2022 Zeit, um den Steuerzins neu zu regeln.
Eine konkrete Höhe oder Obergrenze nennt das Gericht nicht. Offensichtlich muss er aber deutlich gesenkt werden. Im Gespräch ist auch die Einführung einer Bandbreite, in der sich der Steuerzins nach Änderungen des Zinsniveaus bewegen kann. Das Finanzministerium will das Problem schnell angehen. Man werde "zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder zügig die Vorbereitungen treffen, um die Entscheidung des Verfassungsgerichts umzusetzen", erklärte Staatssekretär Rolf Bösinger.
Was bedeutet das für Steuerzahler?
Wer seit 2019 Nachzahlungszinsen gezahlt oder Erstattungszinsen bekommen hat, dürfte von den nachträglichen Änderungen betroffen sein. Voraussetzung ist, dass der Steuerbescheid noch nicht rechtskräftig ist. Das dürfte allerdings in vielen Fällen so sein, denn wegen der unklaren Rechtslage hatten die Finanzämter seit Mai 2019 die Zinsen in sämtlichen Bescheiden nur vorläufig festgesetzt. Wie viele Steuerzahler aber wirklich betroffen sind, ist unklar.
Aber: Wer zu viel Zinsen gezahlt hat, wird wohl Geld zurückbekommen. Umgekehrt gilt aber auch: Wer sich über eine Steuererstattung mit üppiger Verzinsung gefreut hat, muss möglicherweise etwas zurückzahlen. Um welche Beträge es geht, lässt sich noch nicht sagen. Das hängt davon ab, auf welche Höhe der Zinssatz für die Zukunft festgesetzt wird.
Besonders groß war die Freude über das Urteil bei den Unternehmen. Oft sei die Zinsbelastung höher als die nachzuzahlende Steuer gewesen, sagte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI). Das habe die Firmen bestraft. Die vom Verfassungsgericht geforderte Neuregelung gebe endlich mehr Planungssicherheit.