Hohe Inflation Second Hand wird erste Wahl
In Zeiten hoher Inflation ändert sich das Konsum- und Kaufverhalten vieler Menschen - auch zu Weihnachten. Kunden stöbern nach bereits Benutztem in gutem Zustand: Second Hand liegt im Trend.
Es ist spätabends. Die Kinder schlafen inzwischen, und Carina Burkhardt aus Mainz hat jetzt Zeit einzukaufen. Sie klappt ihren Laptop auf und schaut gezielt nach Second Hand-Ware. "Vor Jahren bin ich noch regelmäßig auf Flohmärkten unterwegs gewesen. Heute suche die Sachen online. Die Auswahl wächst ständig", erzählt sie.
"Eine Wertschätzung für die Waren"
Die 36 Jahre alte Sportlehrerin kauft viel gebrauchte Kleidung für ihre Kinder - Hosen, Pullis, Jacken oder auch Schuhe -, aber auch für sich und ihren Mann. "Auch Elektroartikel sind für uns interessant. Neulich habe ich hier in Mainz einen Thermomix bekommen - für 500 statt für 1500 Euro. Ich bin ich einfach nicht bereit, diesen Neupreis zu bezahlen. Zudem muss es auch nicht die neueste Version sein."
Das Thema Nachhaltigkeit sei in ihrer Familie wichtig, erzählt Burkhardt: "Es geht um eine Wertschätzung für die Waren. Soll ich Sachen, die ich nicht mehr brauche, aber noch in Ordnung sind, wegwerfen? Vielleicht kann das noch jemand gebrauchen - oder ich die benutzten Sachen von anderen."
Fast neuwertig - und viel günstiger
Die anhaltend hohe Teuerung habe ihr Interesse an Second Hand nochmal verstärkt. Zwar gehe es ihrer Familie finanziell gut, aber auch sie müsse strenger kalkulieren: "Unser drittes Kind ist unterwegs. Ein Paar Winterschuhe kosten 90 Euro. Die werden bei Kindern nur drei, vier Monate getragen. Ich finde im Netz leicht fast neuwertige Schuhe - und das zu günstigen Preisen."
Und wie sieht es mit Weihnachtsgeschenken aus? Burkhardt nickt und lacht: "Selbstverständlich! Da sind auch Spielsachen mit dabei. Aber welche genau, das kann ich vor dem 24. aber nicht verraten!"
Auch Geschenke aus zweiter Hand
Mit ihrer Einstellung und ihrem Kaufverhalten liegt Carina Burkhardt im Trend. Das zeigt eine aktuelle Umfrage, die der Handelsverband Deutschland (HDE) und der Online-Händler Sellpy durchgeführt haben. Etwa 40 Prozent aller Befragten zeigen sich danach offen, Geschenke aus zweiter Hand zu kaufen. Vor allem das Thema Nachhaltigkeit sei bei Second Hand für die Kunden wichtig.
Zudem spiele die Teuerung zunehmend eine Rolle. "Auch vor dem Hintergrund der derzeitigen Wirtschaftslage werden bestehende Verhaltensmuster beim Geschenkeinkauf überdacht. Das Weihnachtsgeschäft wird vielschichtiger", schildert HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.
Hohe Akzeptanz für gebrauchte Geschenke
Bei den 25- bis 44-Jährigen gibt laut Erhebung ein Drittel der Befragten an, sogar schon mindestens einmal ein Second Hand-Produkt unter den Weihnachtsbaum gelegt zu haben. Vor allem Frauen und ältere Menschen freuten sich mehr über Second Hand als über Neuware. Zudem könne sich sogar jeder Zweite vorstellen, etwas Gebrauchtes an Weihnachten zu verschenken.
"Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung", erklärt Olaf Roik. Er ist beim HDE für Wirtschaftspolitik zuständig. "Durch ein Geschenk bringe ich auch eine Wertschätzung zum Ausdruck. Weihnachten ist emotional nochmal etwas Besonderes. Second Hand ist auch hier kein Randthema mehr."
Über das Weihnachtsgeschäft hinaus traut der HDE dem Markt für Gebrauchtes noch viel Potenzial zu. Das Geschäft laufe vor allem im Netz. Der Handelsverband stützt sich dabei auf eine aktuelle Hochrechnung: Danach geben Verbraucher in diesem Jahr online rund 7,5 Milliarden Euro für gebrauchte Kleidung, Elektro und Bücher aus. Das sind rund 67 Prozent mehr als 2020.
Second Hand-Kette auf Expansionskurs
In Mainz gibt es in der Innenstadt inzwischen auch mehrere Second Hand-Läden für Kleidung. Ein Geschäft in der Fußgängerzone gehört zur Kette "Resales", die bundesweit inzwischen 46 Niederlassungen hat. Der Laden liegt in Laufdistanz zum Dom und konnte sich gegenüber direkter Konkurrenz wie dem großen Warenhaus der Stadt etablieren. "Die Entwicklung in Mainz wie auch in ganz Deutschland zeigt, dass Second Hand grundsätzlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Das gilt auch für Kleidung", erklärt Geschäftsführer Thomas Böschen. Resales ist ein Unternehmen der Texaid-Gruppe in der Schweiz.
Die Kette bekommt ihre gebrauchte Kleidung über eigene Sammelcontainer und durch die Zusammenarbeit mit Kommunen und karitativen Einrichtungen. Im thüringischen Apolda ist das zentrale Sortierwerk der Firma. Nach Firmenangaben gehen dort täglich rund 350.000 Kleidungsstücke durch die Prüfung und dann in den Versand. Ein großer Teil davon werde zum Verkauf exportiert - nach Ost- und Südeuropa, in den Nahen und Mittleren Osten wie auch Afrika. Immer mehr Ware bleibe aber in Deutschland.
"Das Image hat sich gewandelt"
Das Weihnachtsgeschäft sei für Resales nicht relevant. Insgesamt beobachtet Böschen aber seit Jahren einen Mentalitätswandel: "Unsere Kette hatte von Anfang an seine Stammkunden, die auf ihr Geld achten müssen. Second Hand war früher aber noch mit einem Makel behaftet. Unsere Käufer im Laden wollten meist lieber neutrale Tüten ohne unser Logo", erinnert sich Böschen.
"Danach wird inzwischen kaum noch gefragt. Das Thema Nachhaltigkeit hat einiges geändert. Viele kaufen bewusst Gebrauchtes, um die Umwelt zu schonen. Das Image hat sich gewandelt." So müsste die Ware nicht in langen Lieferketten rund um den Globus transportiert werden, erklärt Böschen. Auch Ressourcen würden geschont: Nach Angaben der Textilbranche sind für die Produktion von einem Kilo Baumwolle 1200 Liter Wasser nötig. Das Umweltbundesamt spricht dagegen von bis zu 10.000, und andere Organisationen wie die Stadtwerke Erfurt oder die Umweltschutzorganisation WWF sogar von 11.000 Litern.
"Gleichzeitig registrieren wir, dass sich durch die Inflation die Nachfrage nochmal erhöht hat. Viele Kunden haben real weniger im Geldbeutel und müssen daher auch bei der Kleidung noch genauer kalkulieren", bilanziert Böschen. Aufgrund der Teuerung und der zunehmenden Debatte über den Umweltschutz plant er das Filialnetz in Deutschland auszubauen. "Wir gehen derzeit von zehn Neueröffnungen pro Jahr aus. Das könnten aber auch mehr werden."