Strom- und Gaspreise Nutzen Grundversorger ihre Monopolstellung aus?
In der Ersatzversorgung zahlen Verbraucher nach Recherchen von Report Mainz oft deutlich mehr als in der Grundversorgung - obwohl die Preise an den Energiemärkten stark gesunken sind. Experten fordern Änderungen.
Für seine Mieter macht Lukas Welnowski mindestens einmal im Jahr den Preis-Check. Er schaut nach, bei welchen Versorgern er den günstigsten Gas- und Stromtarif bekommt. Der gebürtige Norddeutsche besitzt ein Mehrfamilienhaus mit einer Gaszentralheizung in Bad Sachsa im Harz, in dem mehrere Mieter leben.
Im vergangenen Winter stellte der bisherige Gasanbieter die Belieferung ein. "Mein Plan war zu dem Zeitpunkt gewesen, dass ich jetzt erst mal ganz normal in die Grundversorgung gehe, um dann in Ruhe ein besseres Angebot für die Mieter im ersten Quartal rauszusuchen", erzählt Welnowski.
Ersatzversorgung statt Grundversorgung
Doch dieser Plan ging nicht auf: Statt in die Grundversorgung stufte ihn der lokale Gasanbieter in die damals teurere Ersatzversorgung ein. Ein halbes Jahr später, im Sommer 2023, passierte das auch beim Strom.
Statt knapp 41 Cent pro Kilowattstunde (kWh) in der Grundversorgung sollten seine Mieter in der Ersatzversorgung nun knapp 82 Cent pro kWh zahlen. "Das fand ich sehr befremdlich, wie das kalkuliert wird", sagt Welnowski. "Die 82 Cent kann ich bis heute nicht nachvollziehen."
Gesetzesänderung ermöglicht Preisunterschiede
Die Ersatzversorgung, in die die Mieter von Welnowski kamen, ist ein Sonderfall der Grundversorgung. Darin landen Kunden, wenn zum Beispiel ein Anbieterwechsel vorher gescheitert war oder wenn der bisherige Versorger die Belieferung einstellt, etwa im Insolvenzfall. Die Ersatzversorgung ist auf maximal drei Monate begrenzt.
Lange Zeit war die Ersatzversorgung in Deutschland für Verbraucher kein Thema, weil die Preise identisch mit der Grundversorgung sein mussten. Doch im Sommer 2022 änderte sich das: Der Gesetzgeber beschloss eine Reform des Energiewirtschaftsgesetzes. Seitdem dürfen die Preise für Grund- und Ersatzversorgung voneinander abweichen.
Eingruppierung in oft teurere Ersatzversorgung
Und das nutzen einige Energieversorger offenbar aus, hat Julia Schröder, Energierechtsexpertin der Verbraucherzentrale Niedersachsen, beobachtet. "Nachdem es diese Gesetzesänderung gegeben hatte, werden Kundinnen und Kunden zu Unrecht in die Ersatzversorgung eingestuft", sagt sie. "Damit sind dann natürlich auch höhere Preise verbunden und höhere Kosten für die Endverbraucher."
Damals, Mitte 2022, waren die Preisunterschiede nachvollziehbar. Denn für die Ersatzversorgung kaufen die Unternehmen die Energie in der Regel kurzfristig am Markt ein - während sie für die Grundversorgung oft länger laufende Verträge mit ihren Lieferanten abschließen. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine kletterten die Energiepreise auf ein Rekordniveau, Gas und Strom waren plötzlich doppelt oder dreimal so teuer wie zuvor.
Preissturz auf den Energiemärkten
Seitdem haben sich die Energiemärkte aber wieder deutlich beruhigt. Beispiel Erdgas: Lag der Preis für die Sorte EU Natural Gas im August 2022 noch bei mehr als 200 Euro pro mmBtu (Einheit entspricht rund 26 Kubikmeter Gas), so sank er schon im Januar 2023 auf unter 30 Euro. Aktuell liegt der EU-Gaspreis bei etwa 27 Euro pro mmBtu. Im Vergleich zum Rekordhoch 2022 ist das ein Rückgang von mehr als 80 Prozent.
"Es gibt aber immer noch Versorger, die in der Ersatzversorgung hohe Preise aufrufen", sagt Verbraucherschützerin Schröder. "Da ist die Spanne zwischen den Versorgern sehr groß. Und das ist eigentlich ein totales Missverhältnis. Man ist dem wirklich ausgeliefert."
Auswertung zeigt große Preisunterschiede
Welche Versorger bis heute höhere Preise in der Ersatz- als in der Grundversorgung verlangen, haben vor kurzem Kollegen von Schröder exklusiv für das ARD-Politikmagazin Report Mainz ausgewertet. Die Ergebnisse der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz legen nahe, dass viele Grundversorger die gesunkenen Energiepreise noch nicht an ihre Kunden in der Ersatzversorgung weitergegeben haben.
Laut der Auswertung verlangen aktuell immer noch 32 Prozent aller Grundversorger in Deutschland höhere Preise in der Ersatz- als in der Grundversorgung, sowohl beim Gas als auch beim Strom. Stichtag der Erhebung ist jeweils der 15. Januar 2024 gewesen. Die Folgen können extrem teuer sein: Für einen Musterhaushalt von drei bis vier Personen haben die Verbraucherschützer bei etlichen Anbietern einen Preisunterschied zwischen Ersatz- und Grundversorgung von mehreren Tausend Euro pro Jahr ausgerechnet.
Monopolkommission sieht strukturelles Problem
Die Probleme mit der teuren Ersatzversorgung haben inzwischen die Monopolkommission auf den Plan gerufen, also das Gremium, das die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät. Dessen Vorsitzender Jürgen Kühling fordert im Interview mit Report Mainz eine Reform der Grundversorgung in Deutschland.
Das Problem sei, dass es pro Versorgungsgebiet immer nur einen Grundversorger gebe. Das sei immer derjenige, der sowieso schon die meisten Kundinnen und Kunden in einem Gebiet habe.
Forderung nach Reform der Grundversorgung
"Da sind dann sehr viele wechselunwillige Kundinnen und Kunden dabei, die man, vorsichtig formuliert, besonders preisunsensibel behandeln kann. Schärfer formuliert: Man kann sie eher ausbeuten", sagt Kühling. "Das gegenwärtige Modell führt letztendlich dazu, dass starke Marktstellungen zementiert und unterstützt werden. Eigentlich genau das Gegenteil, was wir mit Wettbewerb erreichen wollen."
Der Vorsitzende der Monopolkommission schlägt deshalb ein Ausschreibungsmodell für Deutschland vor. Nicht der größte Anbieter in einer Region solle automatisch der Grundversorger sein, sondern der günstigste. "Wir wollen, dass neue Anbieter in den Markt kommen mit besseren Preisen und Kundinnen und Kunden dann glücklicher machen."