Wohnungskrise Wie Normen und Vorschriften die Baupreise treiben
Nicht nur Zinsen und Materialkosten lassen Baukosten weiter steigen: Unzählige Vorgaben und Richtlinien kommen noch dazu. Sind all die Vorschriften wirklich notwendig - oder vor allem Preistreiber?
Im Dortmunder Kronprinzenviertel entstehen mehr als 700 neue Wohnungen - aber wie bezahlbar die Mieten am Ende sein werden, wird sich erst noch zeigen. Denn die Kosten für den Bau explodieren. Und das aus Sicht von Bauunternehmer Dirk Salewski auch, weil immer höhere Standards vorgeschrieben sind, zum Beispiel für sehr dicke Wände und Decken.
Bauen für unter 17 Euro Miete pro Quadratmeter ist so kaum noch möglich. Denn sehr dicke Wände und Decken brauchen fast doppelt so viel Material. Und doppelt so viel Material kostet auch doppelt so viel Geld, wie auch Nicht-Fachleuten schnell einleuchtet. Und die steigenden Preise für Zement, Beton und Stahl verschärfen die Situation weiter.
Alles muss genormt sein
Viele Baunormen kommen zwar von der EU aus Brüssel, doch die deutschen Vorgaben setzten regelmäßig noch einen drauf. Schon vor fast zehn Jahren hat die sogenannte "Baukostensenkungskommission" die steigenden Anforderungen kritisiert. Geändert hat das sich seitdem nichts.
Über 3.900 gelten allein für das Bauwesen: Von der Treppenhöhe über den Lärmschutz bis zur Dachschräge. Das alles läuft beim Deutschen Institut für Normung zusammen. Der eingetragene Verein ist beauftragt, die Prozesse zu organisieren: transparent und im öffentlichen Interesse. 33.500 Normen vermessen unser gesamtes Leben.
Hier ist alles ganz genau geregelt. Und wie Normen entstehen, ist natürlich auch festgelegt - nämlich in Arbeitsausschüssen. Dort diskutieren Experten aus Wirtschaft, Forschung, Verbraucherschutz, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Gutachtern und der öffentlichen Hand so lange, bis das Ergebnis für alle passt.
Normen, die sich widersprechen
Die Zahl der Normen nimmt seit Jahren zu, auch zu den 3.900 im Bauwesen gibt es immer wieder Ergänzungen. Architektinnen wie Christine Edmaier beklagen, dass sich Bauzeit und Kosten dadurch immer weiter erhöhen. Erst recht, da es eine ganze Reihe von Normen gebe, die miteinander in Konflikt stünden.
Theoretisch müssten Architektinnen wie sie all diese Normen kennen. Aber jeder wisse, dass das völlig unmöglich sei. Ein Beispiel ist die Norm für Barrierefreiheit - ein sinnvolles Ziel für alle. Aber ein ebenerdiger Eingang birgt Probleme, weil er dazu führen könnte, dass Wasser ins Haus läuft. "Das kann ich kompensieren durch eine Regenrinne, die genau vor dem Eingang angeordnet ist", erklärt die Architektin.
Doch das berge neue Probleme: "Damit das ganz sicher ist, müsste ich diese Rinne eigentlich auch noch an die Kanalisation anschließen. Und ich müsste sie möglichst auch noch beheizen. Außerdem wird noch empfohlen, dass ich ein Vordach bauen muss und dass das Gefälle vom Haus weggehen soll. Das sind alles sogenannte Kompensationsmaßnahmen dafür, dass ich etwas nicht einhalte", erläutert Edmaier.
Normen kommen von der Industrie
Eigentlich sind Normen nur Empfehlungen, aber aus Haftungsgründen werden sie häufig verpflichtend - quasi durch die Hintertür. Edmaier war lange in der Architektenkammer tätig und ist dadurch mit den Abläufen vertraut: "Der Normungsprozess in Deutschland ist einer, der hauptsächlich von der Bauindustrie oder überhaupt von der Industrie ausgeht."
Und wenn es eine neue Norm gibt, dann schafft die Industrie teure Möglichkeiten, sie einzuhalten. "Das ist vielleicht auch ein wichtiger Aspekt bei den Normen: dass nämlich diese hohen Anforderungen regelmäßig mit sehr komplizierten und teuren Produkten der Bauindustrie dann eben auch erfüllt werden können, die wir dann auch einsetzen müssen", sagt Edmaier.
Intransparente Ausschüsse
Während in den Arbeitsausschüssen die Experten der Bauindustrie so lange diskutieren, bis eine gemeinsame Lösung erreicht ist, sind die übergeordneten sogenannten Lenkungsgremien die erste Anlaufstelle bei Konflikten und bei der Frage der Besetzung. Doch auch für diese Gremien ist die Besetzung der Arbeitsausschüsse nicht transparent genug - sie wissen teilweise selbst nicht, wer genau bei einer bestimmten Norm mitentschieden hat.
Der Dortmunder Bauunternehmer Salewski erklärt, dass die Wohnungswirtschaft in den Ausschüssen oft unterrepräsentiert ist, auch wenn sie die Ergebnisse am Ende bezahlen müsse: "Das liegt an dem System, dass jeder, der das Geld und das Personal hat, sich in einen Ausschuss einzukaufen. Und alle Leute, die das Geld und das Personal nicht haben, kaufen sich eben auch nicht ein." Darin sieht er das Kernproblem: "Die Großen können’s, und die Kleinen fallen hinten rüber."
Kartellrecht als Entschuldigung
Aber warum werden die teilnehmenden Institutionen und Personen nicht öffentlich bekanntgegeben? Auf Nachfrage von plusminus erklärt Daniel Schmidt vom Deutschen Institut für Normung (DIN), "dass Unternehmen auch teilweise nicht bereit sind, Ross und Reiter zu benennen. Weil dort auch entsprechende Ängste bestehen, dass man kartellrechtlich angreifbar sein kann. Beziehungsweise dem Vorwurf ausgesetzt ist, seine Interessen eben ungenügend umgesetzt zu haben." Außerdem könnten Teilnehmende von außen beeinflusst werden, wenn die involvierten Institutionen oder Personen bekannt wären.
Der Kartellrechtsexperte Christian Kersting von der Universität Düsseldorf kann der Argumentation des DIN nicht folgen: "Aus kartellrechtlicher Sicht ist Transparenz wichtig. Das wird in den Leitlinien der Kommission immer wieder betont". Deshalb sei es "sehr sinnvoll", wenn eine Organisation wie das DIN "Ross und Reiter" nenne - also sagt, wer an dieser Normungsarbeit beteiligt sei.