Analyse von Fachleuten Dutzende Autobahnbrücken in bedenklichem Zustand
Bauexperten stufen zahlreiche Autobahnbrücken in Deutschland als dringend sanierungsbedürftig ein. Die am schlechtesten bewerteten Bauwerke befinden sich vor allem in vier Bundesländern.
Viele Autobahnbrücken in Deutschland sind nach einer Datenauswertung von Bauexperten in einem bedenklichen Zustand. Insgesamt 43 Autobahnbrücken mit einer Länge von mehr als 50 Metern hätten einen "ungenügenden" Zustand, heißt es in einer der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Analyse der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken. Das bedeute, die Standsicherheit, die Verkehrssicherheit oder beides seien erheblich beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben.
Die Politik und die Autobahngesellschaft des Bundes müssten jetzt handeln, erklärt Marco Götze, Vorsitzender der Bundesgütegemeinschaft. "Gerade bei Autobahnbrücken dürfen wir uns nicht darauf verlassen, dass das nächste Unglück so glimpflich verläuft wie der Teileinsturz der Carolabrücke in Dresden."
Daten von rund 3.800 Brücken
Insgesamt gibt es in Deutschland nach Angaben des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr rund 40.000 Autobahn- und Bundesstraßen-Brücken mit 52.000 Teilstücken. Die Bundesgütegemeinschaft hat jetzt nach eigenen Angaben von 3.786 Autobahnbrücken mit mindestens 50 Meter Länge diejenigen identifiziert, die deutschlandweit die schlechtesten Zustandsnoten haben. Die Untersuchung stützte sich auf die regelmäßig von der Bundesanstalt für Straßenwesen veröffentlichte Brückenstatistik.
Demnach stehen von den 100 am schlechtesten bewerteten Brücken mit einer Länge von mindestens 50 Metern die meisten in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg. Diese Länder zählen mit Niedersachsen zu den Bundesländern mit den meisten Autobahnbrücken insgesamt.
Jede zehnte Brücke "nicht ausreichend"
Die Bewertung basiert auf Zustandsnoten, die akute Schäden und Abnutzungserscheinungen angebe. Zudem gibt es den sogenannten Traglastindex, der die Leistungsfähigkeit der Brücke gemessen an Alter und Material bewertet.
Von den 3.786 Autobahnbrücken mit einer Mindestlänge von 50 Metern hätten 1.382 die Zustandsbewertung "noch ausreichend" bekommen, bei 378 werde der Bauwerkszustand als "nicht ausreichend" eingestuft. Jede fünfte von Deutschlands 100 am stärksten sanierungsbedürftigen Autobahnbrücken stehe in NRW.
Güterverkehr hat stark zugenommen
Nach Angaben der Autobahn GmbH des Bundes wurden etwa 55 Prozent aller Brückenbauwerke in Deutschland bereits vor 1985 erbaut. Bei einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von rund 70 Jahren erreichten die Brücken das Ende ihres Lebenszyklus und müssten ersetzt werden. Zudem habe die Menge des Güter- und Schwerlastverkehrs enorm zugenommen. "Ein einziger Lkw nutzt die Straße so stark ab, wie viele Tausend Pkw. Und hier leiden die Brücken besonders“, schreibt die Autobahn GmbH.
Der Verband der Bauindustrie hatte im Juli mitgeteilt, dass die zunehmende Mobilität der Gesellschaft, das Wirtschaftswachstum sowie die zentrale Lage als Verkehrsdrehscheibe in der Mitte Europas dazu geführt hätten, dass zwischen 1991 und 2022 die inländische Güterverkehrsleistung auf Straße, Schiene und Wasser um 74 Prozent zugelegt habe.
Die gestiegene Belastung habe, zusammen mit den in der Vergangenheit nicht ausreichenden Erhaltungsinvestitionen, zu einer deutlichen Qualitätsverschlechterung vor allem bei den Bundesverkehrswegen geführt, so die Bauindustrie.
400 Brücken sollen jährlich saniert werden
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte im März 2022 ein Maßnahmenpaket für eine schnellere Brückenmodernisierung vorgelegt. In den kommenden Jahren sollen 400 Brücken pro Jahr saniert werden. Überregional wurde etwa die Autobahnbrücke Rahmede an der Sauerlandlinie (A45) bekannt. Sie wurde wegen schwerer Schäden gesperrt und inzwischen gesprengt. Geplant ist ein Neubau.
"Für den Bund hat die Modernisierung seiner Brücken höchste Priorität", so Wissing kürzlich. "In einem ersten Schritt haben wir ein Kernnetz aus wichtigen Autobahnkorridoren im Blick, die durchgängig leistungsfähige Brücken benötigen." Dafür müssten zunächst etwa 4.000 Brücken modernisieren werden, was einer Fläche von 3,2 Millionen Quadratmetern oder 450 Fußballfeldern entspreche.
"Bis Ende des Jahres 2024 werden wir voraussichtlich bereits mehr als 980.000 Quadratmeter Brückenfläche modernisiert haben. Das sind umgerechnet 137 Fußballfelder und entspricht rund 30 Prozent der Gesamt-Brückenfläche, die im ersten Schritt zu modernisieren ist", sagte der Verkehrsminister.