Kinder- und Jugendschutz Reichen die Altersgrenzen bei Computerspielen?
Seit 30 Jahren prüft die Selbstkontrolle der Gaming-Industrie, ob Computerspiele junge Menschen gefährden. Doch die Spiele haben sich seitdem stark verändert. Wie verlässlich ist die Altersfreigabe?
Für die Schülerinnen und Schüler des Informatikkurses an der Marie-Reinders-Schule in Dortmund ist heute ein guter Tag. Die Zehntklässler dürfen im Unterricht zocken. Normalerweise ist das Tabu, aber Informatiklehrer Peter Haken möchte gerne wissen, für welche Spiele sich die Jugendlichen interessieren. Vor allem die Jungs entscheiden sich für "Ballerspiele". "Man wird ein bisschen hibbeliger, unruhiger, aufgeregter", sagt Nico Reinke. "Es macht einfach Spaß und es ist ein toller Zeitvertreib".
Beeinflusst würde er von den Spielen nicht, ist er überzeugt. Genau so sieht es Mitschüler Daniel Faust. Die Altersangaben auf den Spielen findet er oft übertrieben. "In manchen Spielen ist das wichtig, weil es da Inhalte gibt, die man nicht sehen soll. Aber oft ist es einfach Quatsch. Minecraft zum Beispiel wäre ab 12 (ab 6 Jahren, Anm. d. Red.). Aber da gibt es doch gar keinen aggressiven Inhalt, der jemandem schaden könnte", so seine Überzeugung.
Im Informatikkurs an der Marie-Reinders-Realschule in Dortmund dürfen die Schüler ausnahmsweise mal zocken.
Unabhängige Sachverständige prüfen Spiele
Für die Altersangaben ist die "Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle" zuständig, bekannt als USK. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Einrichtung der Gaming-Industrie, die aber nach eigenen Angaben unabhängig und nach Vorgaben des Jugendschutzgesetzes arbeitet. Seit 30 Jahren bewertet sie nun Spiele und gibt eine Empfehlung für welches Alter, welches Spiel geeignet ist.
Die Einschätzungen treffen unabhängige Sachverständige, die in ihrer Arbeit direkt mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, etwa aus der Medienpädagogik. Hat ein Anbieter ein Spiel eingereicht, wird es intensiv getestet, gespielt und einem Prüfgremium präsentiert. "Eine Rolle spielen beispielsweise Aspekte wie die Darstellung von Gewalt, wie düster die Atmosphäre im Spiel ist, aber auch Nutzungsrisiken wie ungesicherte Kauffunktionen oder Kommunikationsmöglichkeiten", erklärt USK-Geschäftsführerin Elisabeth Secker.
Gefahr durch Zusatzfunktionen bei Spielen
Dabei gehe es nicht darum, den Jugendlichen etwas verbieten zu wollen. "Ziel des Jugendschutzes ist ein gesundes Aufwachsen von jungen Menschen mit Medien. Manche Inhalte können gerade in der Entwicklung befindliche Kinder- und Jugendliche verstören, ängstigen oder nachhaltig beeinträchtigen", so Secker.
Die Jugendschützer müssen sich inzwischen ein deutlich breiteres Bild machen. Gefahren drohen auch durch immer mehr Zusatzfunktionen in den Spielen. Online-Chats sind beispielsweise dazu da, dass die Spieler untereinander kommunizieren können. Doch es bestehe die Gefahr des Missbrauchs, warnt die EU-Initiative klicksafe.
"Reale Gefahren sind Cybermobbing, Hassrede, sexuelle Belästigung oder die Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs (Cybergrooming) über die Chatfunktion in Spielen. Cybergrooming kann im Grunde überall stattfinden, wo Kontaktmöglichkeiten bestehen. Besonders Spiele, von denen bekannt ist, dass Kinder und Jugendliche sie nutzen, sind für Täterinnen und Täter interessant", so Deborah Woldemichael, Leiterin der EU-Initiative klicksafe bei der Medienanstalt Rheinland-Pfalz.
Spiele fallen bei Stiftung Warentest durch
Sie warnt davor, sich nicht rein auf die Altersfreigaben zu verlassen. Selbst bei kindaffinen Online-Spielen gebe es immer auch Risiken, die für Eltern auf den ersten Blick nicht so leicht erkennbar seien. So testete die Stiftung Warentest im Mai diesen Jahres 16 Spiele-Apps, die bei Kindern sehr beliebt sind. Alle Spiele sind entweder ab 0, ab 6 oder ab 12 Jahren freigegeben. Zu den getesteten Spielen gehören zum Beispiel Fortnite, Roblox und Brawl Stars. Die Ergebnisse seien teilweise erschreckend gewesen.
"In den beliebten Mobile Games fanden sich reihenweise unangemessene Inhalte, wie zum Beispiel faschistische und antisemitische Nutzernamen, Gewaltdarstellungen und beängstigende Szenen. Dazu zählten zum Beispiel Darstellungen von Amokläufen, Hassbotschaften und Sexszenen", so Woldemichael.
Anreize zum Kaufen und Suchtpotenzial
Ein besonderes Problem sei, das viele Mobile Games dazu verleiten, immer mehr zu spielen, zum Beispiel durch Belohnungen für tägliches Zocken, durch soziale Verpflichtungen gegenüber Mitspielern und durch Aufforderungen, zu bestimmten Zeiten zu spielen. Und immer mehr zu kaufen: "Lootboxen, Free-to-play, Microtransactions - es gibt viele Mechanismen, um Spielerinnen und Spieler dazu zu bringen, Geld in Spielen auszugeben. Besonders Kinder können schnell den Überblick über die tatsächlichen Kosten verlieren", so Woldemichael. Hinzu komme, dass viele Spiele die tatsächlichen Kosten mithilfe von Fantasiewährungen wie V-Bucks oder Robux verschleierten. Fast alle der 16 populären Games sind im Test durchgefallen.
USK-Geschäftsführerin Elisabeth Secker verspricht, dass die Prüferinnen und Prüfer auch diese Kriterien genau im Blick hätten. Aufgrund der schnellen Entwicklung scheint das aber nicht immer ganz einfach zu sein: "Die größte Herausforderung ist es, den Überblick über Zeit, Kosten und altersgerechte Inhalte zu behalten", sagt Secker.
Die Eltern tragen die Verantwortung
Klicksafe appelliert an Eltern, sich nicht allein auf Altersfreigaben zu verlassen, sondern sich auch selbst über die Spielinhalte, die Nutzungsrichtlinien sowie über Risiken und Sicherheitseinstellungen zu informieren. Deborah Woldemichael empfiehlt: "Begleiten Sie Ihre Kinder aufmerksam im Alltag, um mögliche Anzeichen eines exzessiven Spielverhaltens rechtzeitig zu erkennen. Schalten Sie Push-Nachrichten, die Kinder immer wieder ans Spiel erinnern, in den Handyeinstellungen aus. Begrenzen Sie die Spielzeit und achten Sie auf die Einhaltung der vereinbarten Zeiten." Wichtig sei es auch, festzulegen, ob und in welcher Höhe In-Game-Käufe vom Kind getätigt werden dürfen.
An der Marie-Reinders-Realschule in Dortmund versucht man, die Kinder schon früh zu sensibilisieren. Der Informatik-Unterricht beginnt mit der fünften Klasse. Informatik-Lehrer Peter Haken wünscht sich von vielen Eltern, dass sie mehr Verantwortung übernehmen. "Viele wissen gar nicht, was ihre Kinder auf dem Handy und am Computer machen." Die Schule könne nur unterstützen, die USK mit ihren Altersangaben eine Orientierung geben. Am Ende liege die Verantwortung und die Entscheidung, was ihre Kinder dürfen, aber bei den Eltern.