EZB-Urteil und die Folgen "Ein ziemlicher Paukenschlag"
Das Bundesverfassungsgericht setzt der EZB Grenzen. Kurzfristig sehen Ökonomen keine dramatischen Folgen - doch die EZB werde weniger handlungsfähig. Nun könnte auch eine Klage gegen das Corona-Programm drohen.
Das Bundesverfassungsgericht hält die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank in Teilen für verfassungswidrig. Dieses Urteil sei "brisant" und ein "ziemlicher Paukenschlag", sagt Clemens Fuest, Präsident des Münchener ifo-Instituts. Es werde die Handlungsspielräume der EZB zwar nicht wegnehmen, aber eingrenzen. Die Zentralbank werde etwa begründen müssen, warum sie den massiven Aufkauf von Staatsanleihen für verhältnismäßig hält. Dafür hat sie jetzt drei Monate Zeit.
Wirtschaftsexperten erwarten deshalb zunächst keine großen Konsequenzen aus dem Urteil: "In den nächsten Monaten wird es sicherlich erstmal weitergehen wie bisher", sagt Christian Odendahl vom Think Tank Centre for European Reform.
Druck auf italienische Staatsanleihen
Für Lucas Guttenberg vom Jacques Delors Centre in Berlin wirft das Urteil mehr Fragen auf als es Antworten liefert. Es führe zu einer Unsicherheit darüber, was die EZB eigentlich dürfe. Bislang hat die Zentralbank durch den Kauf von Staatsanleihen Nachfrage für Schuldscheine der Eurostaaten geschaffen. Dadurch hat sie dazu beigetragen, die Zinsen zu senken, die Staaten für ihre Schulden zahlen müssen.
Guttenberg befürchtet, dass jetzt beispielsweise die Zinsen auf italienische Staatsanleihen steigen könnten, weil Investoren sich nicht sicher sein können, ob die Zentralbank auch in Zukunft in großem Stil Anleihen kaufen darf und wird. Nach dem Urteil stiegen die Zinsen auf italienische Staatsanleihen bereits leicht an.
Neue Klage gegen Corona-Programm?
Volkswirt Odendahl befürchtet, dass das aktuelle Corona-Programm der EZB in Gefahr sein könnte. Im Urteil des Verfassungsgerichts ging es zwar ausdrücklich noch nicht um dieses Programm, die Argumentation könnte aber ähnlich sein: "Das Bundesverfassungsgericht hat im Prinzip die Tür aufgemacht zu einer neuen Klage gegen das Corona-Programm der EZB." Diese Unsicherheit könne wiederum dazu führen, dass das Anleihekaufprogramm für Investoren weniger glaubwürdig werde.
Kurzfristig werde sich die EZB von einer möglichen Klage aber nicht hemmen lassen: "Dazu ist die aktuelle Krise zu groß und zu gewichtig. Deswegen glaube ich, dass die EZB weitermachen wird wie bisher", sagt Odendahl.
Eurozonen-Reform gefordert
Im äußersten Fall könnte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeuten, dass die Bundesbank nicht mehr bei den EZB-Programmen mitmachen dürfte. Eine akute Gefahr für den Fortbestand der Eurozone sieht ifo-Forscher Clemens Fuest aber auch dann nicht. Selbst wenn die Bundesbank keine Staatsanleihen mehr kaufen würde, könnten andere Zentralbanken die Anleihen - beispielsweise von Italien - aufkaufen. "Bis zu einer wirklichen Destabilisierung des Euroraums wäre es ein sehr, sehr weiter Weg", so Fuest.
Die drei Ökonomen sind sich aber einig darin, dass jetzt die Politik gefordert ist. Wenn die Europäische Zentralbank sich weniger um die Stabilisierung der Eurozone kümmern könne, dann müssten die Staaten der Eurozone diese Aufgabe übernehmen. Über mögliche Wege dahin, etwa gemeinsame Staatsanleihen oder einen größeren ESM-Rettungsfonds, wird in der EU erbittert gestritten.