Streit über Standort Wolfsburg Schlagabtausch bei VW
Versöhnlichere Töne, aber auch harsche Kritik: Betriebsratschefin Cavallo hat Konzernchef Diess vor Beschäftigten in Wolfsburg vorgeworfen, die Belegschaft zu verunsichern. Der Top-Manager dringt weiter auf mehr Produktivität.
Der Streit zwischen Konzernchef Herbert Diess und Vertretern der Belegschaft über die Zukunft des Volkswagen-Konzerns ist bei einer Versammlung in Wolfsburg nochmals offen zutage getreten. "Hier ist nicht ein Mensch zu viel an Bord", sagte Betriebsratschefin Daniela Cavallo nach Angaben eines Sprechers vor den Beschäftigten. Diess solle seine Spekulationen über einen Stellenabbau beenden, diese seien "inhaltlicher Unfug" und verunsicherten die Belegschaft. "Den Wandel gibt es nur mit VW-Kultur", so Cavallo.
In einer Aufsichtsratssitzung im September hatte der Konzernchef mit Äußerungen über den möglichen Abbau von bis zu 30.000 Arbeitsplätzen in Deutschland für Aufruhr gesorgt. "Mit einem Federstrich, als wäre es nichts, stellen Sie einfach eine Zahl von 30.000 in den Raum. Und brauchen fast 48 Stunden, um sich endlich mal dazu zu äußern - und dann zu sagen: Ach, war alles nicht so gemeint", sagte Betriebsratschefin Cavallo. Diess sei offenbar nicht klar, dass er damit bei Mitarbeitern Angst ausgelöst habe. Cavallo kritisierte zudem, dass VW kein Konzept zur Bekämpfung der Chipkrise habe. Allerdings gehe es dem Betriebsrat nicht um Personen. "Das Einzige, was uns interessiert, sind Lösungen für die anstehenden Herausforderungen." Zuvor war bekannt geworden, dass die Belegschafts-Vertreter im Aufsichtsrat einen Misstrauensantrag gegen Diess gestellt haben.
Keine Zusicherung für weiteres Elektro-Modell
VW-Chef Diess bemühte sich um Schadensbegrenzung, schwor die Beschäftigten aber zugleich auf einen harten Wettbewerb in der Autoindustrie ein. Der US-Hersteller Tesla benötige für die Produktion eines Elektroautos zehn Arbeitsstunden, bei Volkswagen seien es im Werk in Zwickau über 30 Stunden. Der 63-Jährige appellierte an die Belegschaft, bei nötigen Veränderungen im Konzern an einem Strang mit dem Management zu ziehen. "Nur gemeinsam machen wir Volkswagen zukunftssicher", sagte Diess.
Die vom Betriebsrat verlangte Zusicherung zum Bau eines weiteren Elektroautos im Stammwerk Wolfsburg gab Diess nicht. Die dort produzierten Modelle mit Verbrennungsmotor lasten den Standort dauerhaft nicht aus. Der Konzernchef kündigte an, dass Werk "wieder zum Aushängeschild für Autoproduktion" zu machen, ohne Details zu nennen. Der Konzern müsse seine Produktivität steigern und den Umbau beschleunigen. Diess wiederholte seine Prognose, dass die Zahl der Jobs innerhalb der kommenden zehn bis 15 Jahre sinken werde.
"Und fehlen schlicht die Teile"
Als wichtige Weichenstellung gelten die Verhandlungen bei VW über einen Plan für die Zukunft des Wolfsburger Werks bis zum Ende des Jahrzehnts ("Vision 2030"). Die für Mitte November angesetzte Investitionsplanung für die kommenden fünf Jahre war zuvor auf den 9. Dezember verschoben worden.
Betriebsratschefin Cavallo widersprach Diess' Darstellung, dass VW verglichen mit Tesla weniger produktiv sein. Pro Kopf würden im Hauptwerk noch "sehr viel mehr Fahrzeuge" gebaut. "Die Wahrheit ist: Nicht das Werk oder die Beschäftigten sind ineffizient", so Cavallo. "Uns fehlen schlicht die Teile, mit denen wir unsere Autos bauen können." Auch Betriebsrat und Belegschaft wollten den Wandel.
Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte, das Management dürfe nicht noch Sorgen schüren. "Die Aufgabe des Unternehmens in diesen Zeiten ist es, Perspektiven zu geben", sagte der SPD-Politiker. Niedersachsen ist zweitgrößter VW-Eigner nach der Familienholding Porsche SE. IG-Metall-Chef Jörg Hoffmann betonte auf der Veranstaltung, für den Schwenk zur Elektromobilität brauche Volkswagen eine motivierte Belegschaft: "Ein Trainer, der keinen Zugang zur Mannschaft hat, verliert das Spiel auf dem Platz."