Krise bei Volkswagen Welche Verantwortung tragen die Großaktionäre?
VW steckt in einer beispiellosen Krise. Tausende Mitarbeiter bangen um ihre Jobs. Von Management-Fehlern ist die Rede. Haben auch die Eigentümer, also die Großaktionäre, eine Mitverantwortung?
Es reicht ein Blick auf den Aktienkurs, um zu erkennen: An der Börse begleitet man die Entwicklung von Volkswagen schon länger mit Skepsis. Aktien von Volkswagen verlieren seit dem Hoch im April 2021 kontinuierlich an Wert. "Die Börse ist knallhart in ihrer Beurteilung und wenn man wie bei VW sieht, dass der Aktienkurs seit drei Jahren fällt, dann ist das ein klares Votum: Man ist nicht einverstanden, man muss etwas ändern", sagt Aktienmarktexperte Robert Halver von der Baader Bank.
Zu lange habe Volkswagen die chinesische Konkurrenz unterschätzt, zu spät auf E-Mobilität umgestellt. Die Modelle der Kernmarke VW seien zu teuer, die Produktionskosten in Deutschland zu hoch - so die gängige Kritik an der Konzernstrategie. Von Management-Fehlern ist die Rede. Aber haben auch die Eigentümer, also die Aktionäre, eine Mitverantwortung? In gewisser Weise schon, sagt der langjährige Automobilanalyst Jürgen Pieper mit Blick auf die Aktionärsstruktur von Volkswagen. Ganz vorne: die Eigentümer-Familien Porsche und Piech.
Mischt sich die Eigentümerfamilie zu viel oder zu wenig ein?
Die Familien des Unternehmensgründers kontrollieren von ihrem Stammsitz, dem österreichischen Zell am See, das große VW-Imperium. Über die Porsche Holding halten sie mehr als 50 Prozent der Stammaktien von VW und haben somit über den Aufsichtsrat Einfluss auf die Entscheidungen im Konzern. Doch diesen Einfluss vermisste Branchenkenner Pieper in der Vergangenheit zu häufig. "Die Familie hält sich total zurück. Ich denke nicht nur in der Öffentlichkeit, was ja in Ordnung ist. Sondern auch intern hört man nie, dass eine Art Druck ausgeübt wird, der ja manchmal erforderlich ist, sondern man lässt das Ganze doch sehr vor sich hertreiben und das trägt sicher sehr zu der Misere bei."
Aktionärsvertreter Mark Liebscher von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, SdK, hingegen hält eine Einflussnahme der Familie eher für schädlich: "Die verfolgen nur ein langlaufendes Eigeninteresse als Familie, aber nicht das Interesse, das Unternehmen voranzubringen."
Land Niedersachsen kann Entscheidungen von VW blockieren
Schaut man auf die Aktionärsstruktur von Volkswagen, so gibt es einen weiteren Großaktionär, der sich - vielleicht ein bisschen zu stark - in die Geschicke des Konzerns einmischt. Jedenfalls nach Ansicht von Aktionärsschützer Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Das Land Niedersachsen ist mit 20 Prozent am VW-Konzern beteiligt und somit zweitgrößter Einzelaktionär bei Volkswagen. Es hat zudem eine sogenannte Sperrminorität, das heißt: Ein Bundesland kann Entscheidungen dieses Weltkonzerns blockieren.
Das gebe es in keinem Land auf der Welt, sagt Aktionärsschützer Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, kurz DSW. "Ich sehe da einen Konflikt, wenn sich der Staat, sprich die Politik an einem Unternehmen beteiligt." Da müsse auf politische Befindlichkeiten Rücksicht genommen werden, so Nieding. "Mit der Folge, dass das Unternehmen vielleicht nicht so schnell, so klar reagieren kann wie es reagieren müsste." Auch gelten aus Sicht von Nieding wegen der Einflussnahme des Bundeslands VW-Werke in Niedersachsen als sakrosankt - sie sind nach Einschätzung des Aktionärsschützers von einer möglichen Schließung ausgenommen. Selbst dann, wenn es unternehmerisch sinnvoll wäre, etwa weil ein Werk nicht voll ausgelastet ist. So eine Einflussnahme des Staates ist aus Börsensicht eher bedenklich - getreu dem Motto: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer.
Einmischung des Landes "schädlich"
Mark Liebscher von der SdK geht sogar noch einen Schritt weiter. "Aus Unternehmersicht müssen Werke, die nicht profitabel arbeiten und zu hohen Kosten arbeiten, geschlossen werden." Mit Blick auf Volkswagen hält er die Einflussnahme des Landes sogar für schädlich und nennt einige Beispiele. So sei die Frage zu stellen, warum Volkswagen über den Haustarif so viel mehr bezahle als im Flächentarifvertrag.
Als weitere Folge von zu starker Einflussnahme nennt Liebscher die gescheiterte Idee der gemeinsamen Entwicklung eines günstigen Elektro-Autos mit einem französischen Hersteller. Dies sei am Nein des VW-Betriebsrats gescheitert, weil dieser vorausgesetzt hatte, dass das Auto in Deutschland produziert werden solle. "Wir sehen an vielen Ecken, dass dieser Staatseinfluss bei Volkswagen sehr schädlich ist für das Unternehmen."
Ist Volkswagen zu groß geworden?
Automarkt-Kenner Jürgen Pieper sieht auch in der Größe des Unternehmens ein Problem. "Volkswagen hat in den vergangen dreißig Jahren immer neue Zukäufe gemacht. Es ist eines der größten Industrieunternehmen der Welt geworden. Mit fast 700.000 Beschäftigten mit weit über 300 Milliarden Umsatz." Nach Angaben von Pieper ist Volkswagen damit so groß wie die gesamte portugiesische Volkswirtschaft. "Das Unternehmen ist in meinen Augen eigentlich unsteuerbar geworden", so Pieper.
Kritik übt Aktionärsvertreter Liebscher zudem an der Doppelrolle von Volkswagen-Chef Blume, der zugleich CEO des Luxus-Sportwagenherstellers Porsche ist - seit dem Börsengang im September 2022 nicht mehr Teil des VW-Konzerns. "Die Doppelrolle von Herrn Dr. Blume kritisieren wir als Aktionärsschützer schon sein Jahren. Das geht einfach nicht, dass er gleichzeitig bei Volkswagen und bei Porsche ist. Die beiden Unternehmen verkaufen aneinander Dienstleistungen und Waren in erheblichem Wert." Aus Sicht der SdK ist das eine schlechte Unternehmensführung, die dringend beendet werden müsse.
Verlieren Ankeraktionäre aus Katar bald die Geduld?
Der dritte Großaktionär bei VW ist das Emirat Katar, über eine Holding mit 17 Prozent an Volkswagen beteiligt. Ein sogenannter Ankerinvestor mit langfristigem Horizont. Der wiederum mischt sich nach Ansicht von Branchenkenner Jürgen Pieper zu wenig in die strategische Ausrichtung des Unternehmens ein. "Von den Investoren im Nahen Osten kommt erfahrungsgemäß sehr wenig Druck." Man sei dort in der Regel sehr langfristig orientiert, mittlerweile aber zunehmend unzufrieden, so Pieper.
Volkswagen gilt als zuverlässiger Dividendenzahler. Allein im vergangenen Jahr hat der Konzern 4,5 Milliarden Euro an die Aktionäre ausgeschüttet. Zu Recht, sagen die Experten einhellig. Schließlich hatte das Unternehmen da auch noch hohe Gewinne eingefahren. Doch könnte sich das ändern, glaubt Klaus Nieding von der DSW. "Die Krise schlägt ja jetzt erst richtig durch und das wird sicher dazu führen, dass die Dividenden-Politik eine andere wird."
Großaktionäre wollten Probleme nicht wahrhaben
Aus Sicht von Mark Liebscher von der SdK haben vor allem die großen Anteilseigner von Volkswagen die Augen vor den Problemen des Konzerns zu lange verschlossen. "Die Aktionäre haben die Geschäftspolitik und die Unternehmensführung von Volkswagen auf den Hauptversammlungen immer wieder scharf kritisiert, aber bei den Hauptaktionären wurde einfach der Kopf in den Sand gesteckt, mit dem Ergebnis, welches wir jetzt haben."
Für Aktionärsvertreter Liebscher ist die Struktur der Anteilseigner bei Volkswagen mit dafür verantwortlich, dass der Konzern in den letzten Jahren nicht die Reformen angepackt habe, die erforderlich waren. Harte Einschnitte seien nun zwingend nötig. "Da führt kein Weg dran vorbei, ob man es begrüßt oder nicht begrüßt", so Aktionärsschützer Klaus Nieding. Denn es gehe darum, Volkswagen als einen der führenden Automobilhersteller der Welt zu erhalten.