Kritik an Mineralölkonzernen Lässt sich die Macht der Ölmultis brechen?
Um die Gewinne von Ölkonzernen anzapfen zu können, plant Wirtschaftsminister Habeck eine Verschärfung des Kartellrechts. Wo ist das Problem? Was bedeutet der Schritt - und was wird er bewirken?
Seit Monaten leiden deutsche Autofahrer unter den hohen Spritpreisen. Der Tankrabatt, der die Kosten zumindest etwas abfedern sollte, hat seinen Zweck vielen Experten zufolge nicht erfüllt. "Die Steuersenkung landet zum großen Teil bei den Mineralölkonzernen und kommt zu wenig bei den Autofahrern an", heißt es etwa vom ADAC. Denn Fakt ist: Ursprünglich sollte Benzin um bis zu 35 Cent und Diesel um bis zu 17 Cent günstiger werden.
Auch der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, erklärte die Steuersenkung mit Verweis auf Mitnahmeeffekte durch die Ölkonzerne als gescheitert. Um diese Übergewinne abzuschöpfen, stand zuletzt eine Besteuerung im Raum. "Die Übergewinnbesteuerung scheint in der Koalition nicht mehrheitsfähig zu sein, also nutzen wir jetzt das Kartellrecht", kündigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) heute im Deutschlandfunk an. Was hat es damit auf sich?
Was plant Habeck?
"Möglichst schnell" will Habeck Vorschläge für ein schärferes Kartellrecht vorlegen. Denn es sei noch nie gelungen, die Übergewinne abzuschöpfen. "Wir machen ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen. Wir gehen quasi zurück zur Uridee der sozialen Marktwirtschaft", so der Vizekanzler. Wettbewerb sorge für günstige Preise, die gut für die Verbraucherinnen und Verbraucher und damit das ganze Land seien.
Laut einem Positionspapier des Bundeswirtschaftsministeriums soll es noch in diesem Jahr eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geben. Das Ziel: mehr Eingriffsmöglichkeiten für das Kartellamt, um gegen Mineralölkonzerne effektiver vorgehen zu können. Theoretisch sei das Kartellamt nach Paragraph 34 des GWB zwar schon jetzt in der Lage, Gewinne abzuschöpfen, sagte Habeck. Allerdings sei das nur möglich, wenn es einen konkreten Nachweis für ein Kartell - also etwa geheime Preisabsprachen oder andere machtmissbrauchende Verhaltensweisen - gebe.
Haben Ölkonzerne eine zu große Marktmacht?
Im Deutschlandfunk-Interview bezeichnete Habeck die Mineralölbranche als einen "vermachteten Markt, der wie ein Kartell funktioniert". "Wir haben nur 12 Raffinerien in Deutschland, die Kraftstoff herstellen. Diese sind oft verflochten miteinander, sodass es ein sehr konzentrierter Markt ist", erklärt Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE), im Gespräch mit tagesschau.de. Auch am Tankstellenmarkt gebe es tendenziell ein marktbeherrschendes Oligopol um die Konzerne BP (Aral), Phillips 66 (Jet), ExxonMobil (Esso), Shell und Total. "Zwei Drittel der Tankstellen gehören diesen fünf Großen", so der Experte.
Zum Teil seien diese auch selbst die Betreiber der Raffinerien - also an der Stelle, an der Steuerreduzierung greifen soll. "Es ist also naheliegend, dass dort Marktmacht missbraucht wird. Das ist in oligopolistischen Branchen, also bei unvollständigem Wettbewerb, durchaus vorhersehbar", sagt Haucap. DIW-Chef Marcel Fratzscher formuliert es noch direkter: Das Problem mit den Mineralölkonzernen sei nicht, dass diese per se Gewinne erzielten, "sondern dass sie ihre Marktmacht zulasten der Konsumenten missbrauchen", sagte er der "Augsburger Allgemeinen".
Das Finanzministerium hat nach Angaben von Minister Christian Lindner allerdings keine offiziellen Erkenntnisse über ungewöhnlich hohe Gewinne von Energiekonzernen durch den umstrittenen Tankrabatt. "Das können wir zur Stunde gar nicht sagen", sagte der FDP-Chef der "Welt". "Wir haben hier im Bundesministerium der Finanzen keine amtliche Erkenntnis, dass es zu besonders hohen Gewinnmargen bei den inländischen Mineralölgesellschaften käme." In dieser Frage sei das Kartellamt gefordert. Und hier liegt genau das Problem.
Prof. Dr. Justus Haucap ist Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE).
An welche Grenzen stößt das Kartellamt?
"Wenn ein Unternehmen mit Verstößen gegen Kartellrecht Gewinne macht, kann das Bundeskartellamt die grundsätzlich abschöpfen", erläutert Rupprecht Podszun, Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf gegenüber tagesschau.de. Das habe die Behörde jedoch noch nie getan - die Vorschrift sei in der Praxis völlig zahnlos geblieben. Die Bußgelder, die für illegale Preisabsprachen und andere wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen verhängt werden sind, sollen demnach ahnden oder strafen, nicht aber den Gewinn abschöpfen.
Das Problem: Das Kartellamt müsse zum einen nachweisen, dass es zu einem Kartellrechtsverstoß gekommen ist. Das gelinge bei den Mineralölkonzernen derzeit nicht. Zum anderen müsse es Beweise für Übergewinne geben. "Dazu müsste man klären, welche Gewinne bei Wettbewerb entstanden wären und welche Gewinne tatsächlich entstanden sind", so der Rechtsprofessor. Das zu berechnen, sei äußerst schwierig.
Experte Haucap verweist auf eine weitere Schwierigkeit: "Letztlich sind nur eindeutige Absprachen verboten. Solange die Konzerne lediglich das Verhalten der Nachbarn kopieren und sich stillschweigend wie ein Kartell benehmen, ist das völlig legal." Deshalb sei der Ansatz von Habeck richtig, in Fällen von Wettbewerbsdefiziten, ohne dass Marktmissbrauch nachgewiesen werden kann, zu alternativen Lösungen zu greifen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Das Wirtschaftsministerium benennt in ihrem Positionspapier drei Maßnahmen. Erstens: "Missbrauchsunabhängige Entflechtung ermöglichen, um Wettbewerb auf verfestigen Märkten zu schaffen". Demnach seien nur wenige Mineralölkonzerne am Markt aktiv, sodass alles in der Hand weniger liege - von der Ölförderung über den Transport und die Raffinerie bis hin zur Tankstelle. Unabhängig von einem nachgewiesenen Verstoß gegen das Kartellrecht sollen solche oligopolistische Strukturen in Zukunft unter bestimmten Bedingungen entflechtet werden können, um mehr Wettbewerb zu schaffen und damit Verbraucher zu schützen.
"Wir unterscheiden zwischen der vertikalen Entflechtung, das heißt wer Raffinerien betreibt, darf keine oder nur wenige Tankstelle betreiben, sowie der horizontalen Entflechtung, wobei ein Unternehmen allgemein nur einen gewissen Marktanteil an Raffinerien haben darf", sagt Wettbewerbsökonom Haucap. Bei Missbrauchsverfahren sei das sogenannte "Unbundling" gerade in der Energiewirtschaft in den vergangenen Jahren bereits häufig umgesetzt worden. Einen Markt künftig auch ohne Verdacht auf Marktmissbrauch zu entflechten, sollte aus Sicht von Haucap unter bestimmten Kriterien wie systematischen Wettbewerbsdefiziten durchaus in Betracht gezogen werden.
Podszun sieht das ähnlich: "Die Entflechtung ist juristisch sehr schwierig. Wenn Märkte aber dauerhaft stark vermachtet sind, ist es vielleicht das einzige, was sinnvoll hilft." Allerdings müsse in der Mineralölwirtschaft erst herausgefunden werden, wo genau es hake. "Braucht es eine vertikale Trennung, sodass nicht die ganze Wertschöpfungskette in einer Hand liegt? Oder eine horizontale, sodass mehr Wettbewerber aktiv werden? Das wäre zu prüfen", so der Kartellrechtsexperte.
Und was ist mit den Gewinnen?
Die Hürden der Vorteilsabschöpfung durch das Kartellamt "sollen mit den Änderungen des Wettbewerbsrechts gesenkt werden", heißt es im Positionspapier. Konkrete Details nennt das Ministerium nicht. "Ich habe den Eindruck, dass sie dafür noch auf Ideensuche sind", sagt Haucap. Der prinzipielle Gedanke der Abschöpfung von Übergewinnen sei vernünftig, damit die Konzerne keinen Anreiz mehr haben, diese überhaupt einzufahren.
Faktisch sei die Umsetzung aber viel schwieriger als die Entflechtung, zumal jedes Verfahren womöglich einen großen Rechtsstreit nach sich ziehen würde. Bei einer Entflechtung könne stattdessen einmal sauber getrennt werden und die Branche sei wieder sich selbst überlassen, so der Experte.
Was ist noch geplant?
Die sogenannten Sektoruntersuchungen will das Wirtschaftsministerium "schlagkräftiger ausgestalten". Auch das begrüßt der Düsseldorfer Ökonom Haucap, der von 2006 bis 2014 Mitglied der Monopolkommission war. Diese hatte bereits 2012 eine Sektoruntersuchung im Raffinerie- und Großhandelsbereich gefordert, die zwar eingeleitet, aber kurze Zeit später wieder eingestellt wurde.
2013 wurde stattdessen eine sogenannte Markttransparenzstelle für Kraftstoffe einberufen. "Die Markttransparenzstelle ist eigentlich nichts anderes als ein Informationsportal. Sie hilft Verbrauchern, Tankstellenpreise zu vergleichen", so Haucap. Das sei zwar wichtig, um einen Preiswettbewerb bei den Tankstellen zu erzeugen. Für die Raffinerien sei das aber unbedeutend. Weitere Untersuchungen seien dringend nötig, um mehr Klarheit über die Probleme im Markt zu erhalten.
Helfen die Maßnahmen in der aktuellen Situation?
Eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts wird die hohen Spritpreise in naher Zukunft nicht senken. Das betont auch das Ministerium. Es gehe nicht darum, nun kurzfristig agieren zu können, sagte eine Sprecherin der Nachrichtenagentur dpa. Aber die Ankündigung einer Novelle könne ein Signal an den Markt sein.
"Bis das Gesetz diskutiert und verabschiedet ist, dauert es sicher noch eine Weile", sagt Jurist Podszun. Auch er sieht in der Maßnahme eher eine "Drohkulisse, die den Unternehmen zeigt: Treibt es nicht zu bunt, das Kartellamt kann auch anders." Der Wirtschaftsminister balanciere auf einem schmalen Grat: Einerseits sei es wichtig, dass das Kartellrecht wieder kraftvoller werde. Andererseits könne ein starker staatlicher Eingriff auch unternehmerische Initiative erschrecken. Viel hänge davon ab, auf welche Weise das Bundeskartellamt neue Instrumente einsetzt.
Ökonom Haucap hält die Verschärfung für "genau den richtigen Weg". "Wir müssen eine vernünftige Lösung finden, die nicht nur für drei Monate gilt - wie der Tankrabatt." Generell sei das Kartellamt nicht zu unterschätzen, wie etwa Verfahren gegen Facebook oder Amazon zeigten. "Es ist nicht so, dass sich Unternehmen freuen, wenn das Kartellamt vorbeikommt." Es ergebe Sinn, die Institution weiter zu stärken und ihr mehr Einfluss zu geben.
Was sagen die Ölkonzerne?
Die Mineralölwirtschaft lehnt die Kartellrechtspläne des Wirtschaftsministers ab. "Überlegungen, Unternehmen in Zukunft ohne Nachweis von Verstößen zu sanktionieren oder gar zerschlagen zu wollen, halten wir für sehr problematisch und sind aus Sicht betroffener Unternehmen nicht nachvollziehbar", sagte der Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Fuels und Energie, Adrian Willig. "Die Verärgerung über gestiegene Kraftstoffpreise können wir sehr gut verstehen", so Willig weiter. Die Energiesteuersenkung werde allerdings weitergegeben.
Unabhängig von der zum 1. Juni gesenkten Energiesteuer auf Benzin und Diesel seien in den vergangenen Wochen die Preise für Kraftstoffe weltweit gestiegen. Das mache sich auch an den Tankstellen in Deutschland bemerkbar.