Fachkräftemangel Wo die deutsche Wirtschaft von Zuwanderung abhängt
Der Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt soll auch durch Zuwanderung beseitigt werden. Von heute an tritt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz schrittweise in Kraft. Was bedeutet das für die Wirtschaft?
Fachkräfte werden in Deutschland dringend gebraucht. Die Lücke auf dem Arbeitsmarkt muss auch durch Zuwanderung geschlossen werden: Bereits jetzt ist etwa jeder siebte Arbeitnehmer in Deutschland zugewandert. Ausländische Arbeitnehmer machen rund 15 Prozent der sozialversicherten Beschäftigten aus, wie aus Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervorgeht. Damit auch künftig gut ausgebildete Fachkräfte nach Deutschland kommen, tritt von heute an das Fachkräfteeinwanderungsgesetz schrittweise in Kraft.
Das ändert sich mit dem neuen Gesetz
Neu ist die Einführung einer sogenannten Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems. Arbeitswillige Fachkräfte, die mithilfe dieses Gesetzes nach Deutschland einwandern wollen, müssen Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und einen Deutschlandbezug nachweisen.
Außerdem sinkt das Mindestgehalt: Ausländische Fachkräfte müssen künftig ein nur noch ein Bruttogehalt von rund 43.800 Euro erreichen, statt wie zuletzt 58.400 Euro jährlich. Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und eine Qualifikation sowie ein Jobangebot haben, sollen - wenn sie ihren Asylantrag zurücknehmen - eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen können. Bislang musste man dafür erst ausreisen und sich dann vom Ausland aus um ein Arbeitsvisum bemühen.
Wer als hochqualifizierte Fachkraft aus dem Nicht-EU-Ausland nach Deutschland kommt, soll künftig nicht nur den Ehepartner und die Kinder mitbringen dürfen, sondern auch Eltern und Schwiegereltern. Voraussetzung für den Familiennachzug ist aber, dass der Lebensunterhalt für die Angehörigen gesichert ist. Sozialleistungen beantragen können die Eltern nicht.
So ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt
Aktuell können Deutschlands Unternehmen rund 1,73 Millionen offene Stellen nicht besetzen. Das geht aus einer Quartalsabfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) liegt die durchschnittliche Zeit, um eine Stelle zu besetzen, derzeit bei 153 Tagen. "Wir müssen in den nächsten Jahren den demografischen Wandel abfedern. Ohne Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland werden wir unseren Wohlstand nicht halten", heißt es von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Wo Fachkräfteeinwanderung bereits gelingt
In einigen Berufsgruppen lässt sich bereits sehen, wie sinkende Zahlen deutscher Arbeitskräfte durch Fachkräfte aus dem Ausland ausgeglichen werden. Eine Auswertung der BA für die dpa zeigt dies für den Zeitraum von 2018 bis 2023 beispielsweise für das verarbeitende Gewerbe: Die Zahl der Deutschen ist dort um 285.000 gesunken, die der Zuwanderer um 202.000 gestiegen.
Auch im Finanz- und Versicherungssektor gibt es einen solchen Trend: Die Zahl der Deutschen sank um 22.000, die der ausländischen Arbeitnehmer stieg um 19.000. Hier ist ihr Anteil mit knapp sechs Prozent allerdings weiter deutlich unterdurchschnittlich. In einigen Berufen wächst dagegen sowohl die Zahl der Deutschen, als die auch der Zuwanderer kräftig, beispielsweise im Gesundheitswesen, der Information und Kommunikation oder im Bereich Erziehung und Unterricht.
Das Interesse am Gesetz
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bietet Beratungen für Menschen im Ausland an, die sich für eine Arbeit in Deutschland interessieren. Im vergangenen Jahr gab es nach Angaben des BAMF 71.409 Beratungen zur Fachkräfteeinwanderung - eine Steigerung von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Deutschland sei - trotz der schwierigen Sprache - bei Fachkräften im Ausland sehr beliebt, sagte Sekou Keita vom IAB. In Umfragen lande Deutschland häufig auf dem dritten Platz, knapp hinter Kanada und den USA. "Deutschland zehrt sehr vom Image der starken Wirtschaft mit guten beruflichen Möglichkeiten", sagte Keita.
Laut Martin Lange, Arbeitsmarktexperte am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), muss man aber auch realistisch sein und berücksichtigen, dass sowohl hoch- als auch geringqualifizierte Menschen zuwandern. Teilweise erlebten Hochqualifizierte einen "Downgrading" genannten Effekt: Sie müssten oftmals "als Hilfskräfte beginnen und wechseln mit der Zeit in Fach- oder Expertentätigkeiten", sagt Lange. Insbesondere für Ärzte oder Juristen sei es schwierig, ihre beruflichen Qualifikationen anerkennen zu lassen.