Firmengründer vom Ausland abhängig Das deutsche Start-up-Dilemma
In Deutschland entstehen immer mehr sogenannte Einhörner - also Start-ups, die eine Milliarde Dollar wert sind oder mehr. Doch die meisten sind auf Geld ausländischer Investoren angewiesen.
Was Uber, AirBnB oder Bytedance geschafft haben, davon träumen auch viele deutsche Start-ups: ein sogenanntes Einhorn ("Unicorn") zu werden, das mit mindestens einer Milliarde Euro bewertet wird. Inzwischen haben schon 17 deutsche Tech-Firmen diesen begehrten Status erlangt - unter anderem Celonis, Trade Republic, N26, Flixbus und Personio. Fünf kamen alleine in diesem Jahr neu hinzu. "2021 hat gute Chancen, in Deutschlands Wirtschaftskalender als Jahr der Einhörner einzugehen", glaubt Ex-Thyssenkrupp-Chef Gerhard Cromme, heute Mitglied des Kuratoriums des Bundesverbands Deutsche Start-ups.
Rekordinvestitionen im ersten Halbjahr
Tatsächlich sind laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft EY im ersten Halbjahr 7,6 Milliarden Euro in deutsche Jungunternehmen geflossen - so viel wie noch nie. Nach dem Dämpfer im vergangenen Jahr "sehen wir nun einen Corona-Effekt in die umgekehrte Richtung", sagt Thomas Prüver, Partner von EY. "Die Finanzierungsaktivitäten explodieren geradezu."
Doch ganz so rosig sind die Perspektiven nicht. Ein Fünftel der deutschen Start-ups klagt, dass sich die Situation im Vergleich zu 2020 verschlechtert habe. Zwar bekommen viele junge Firmen inzwischen relativ leicht Startkapital, aber für die Anschlussfinanzierung finden sie dann kaum Wagniskapitalgeber. Man spricht vom "Tal des Todes". Es sind hauptsächlich ausländische Investoren, die deutschen Start-ups die nötigen Millionenspritzen geben, damit sie am Markt endlich durchstarten können.
Fonds soll mehr deutsches Wagniskapital anlocken
Die Bundesregierung hat das Problem erkannt und einen umfänglichen Zukunftsfonds aufgelegt. Er verfügt über zehn Milliarden Euro. Gemeinsam mit weiteren privaten und öffentlichen Partnern sollen mindestens 30 Milliarden Euro an Wagniskapital mobilisiert werden, verspricht Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Laut Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat der Fonds die Grundlage dafür geschaffen, den deutschen Wagniskapitalmarkt zu stärken. Zuständig für die Umsetzung und Verwaltung des Fonds ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
KfW-Chef Günther Bräunig sieht den Zukunftsfonds als wichtiges Instrument, um den Unternehmen in der Wachstumsphase ausreichend Kapital zur Verfügung stellen zu können. "Innovative Technologieunternehmen werden durch den Fonds besseren Zugang zu Kapital erhalten, insbesondere für Wachstumsfinanzierungen", sagte er kürzlich auf einer Konferenz.
Kritik von Experten
Branchenexperten begrüßen die Einführung des milliardenschweren Fonds, halten ihn aber nicht für ausreichend, um das deutsche Startup-Dilemma zu lösen. Mit zehn verschiedenen Modulen und einer Laufzeit von zehn Jahren sei der Zukunftsfonds so konstruiert, dass er nur die ersten Finanzierungsrunden eines Start-ups abdecke, moniert Gerhard Cromme vom Bundesverband der Start-ups. Das Instrument werde nicht ausreichen, die Herausforderungen der Start-up-Finanzierung in Deutschland langfristig zu bewältigen. Cromme schlägt als Alternative ein neues europäisches Fonds-Konstrukt, den "European Next Generation Fund" vor, der vor allem Start-ups in der Phase vor einem Börsengang stabilisieren könnte.
In diesem Stadium der Finanzierungsrunde wandern viele deutsche Jungunternehmen oft in die USA oder nach Asien ab. So gingen die mit anfangs deutschen Fördergeldern finanzierten Impfstoffhersteller BioNTech und CureVac an die Tech-Börse Nasdaq und sammelten dort die nötigen Millionen ein.
Hoffnung auf Pensionsfonds und Versicherungen
Andere Experten wie der bekannte deutsche Start-up-Investor Klaus Hommels schlagen vor, die Regeln für Kapitalgeber zu lockern. Deutsche Pensionskassen und Versicherungen sollten bei ihrer Geldanlage breiter das Risiko streuen dürfen und verstärkt Geld in Aktien, Beteiligung und Start-ups investieren. Bisher ist das meiste Geld deutscher Großinvestoren in lang laufenden Anleihen geparkt, die kaum noch Zinsen abwerfen. Zu den wenigen Ausnahmen zählt die Allianz. Deren Digitaltochter Allianz X investiert über Risikokapitalfonds in junge aufstrebende Firmen, die noch in der Frühphase ihrer Entwicklung stehen.
Noch immer kommt das meiste Wagniskapital in Deutschland aus dem Ausland. Bei großen Finanzierungen von über 50 Millionen Euro sind außereuropäische Investments in der Mehrheit. Bei neun von zehn Wachstumsfinanzierungen stammen die federführenden Investoren aus dem Ausland. "Wir sind ein Land der Ideen", sagt Christine Bortenlänger, Chefin des deutschen Aktieninstituts. Wenn es aber um die Finanzierung dieser Ideen gehe, sei Deutschland ein Entwicklungsland.
Während hierzulande die Marktkapitalisierung von börsennotierten Hightech-Firmen nur sieben Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung ausmacht, sind es in den USA über 60 Prozent. Kein Wunder also, dass jedes fünfte deutsche Unternehmen, das in den vergangenen zehn Jahren an die Börse ging, dies im Ausland tat - insbesondere in den Vereinigten Staaten.