Fragen und Antworten zum Bahn-Tarifkonflikt Es geht um mehr als nur um mehr Geld

Stand: 04.05.2015 12:49 Uhr

Beim Lokführerstreik geht es auch um Geld - aber die Gewerkschaft GDL will vor allem weitere Berufsgruppen vertreten. Welche Rolle spielt die Konkurrenzgewerkschaft EVG? Und warum will die Regierung ein neues Gesetz? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wer streitet um die Vertretungsmacht?

Bei der Deutschen Bahn konkurrieren die Gewerkschaften GDL und EVG miteinander. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vertritt nach eigenen Angaben etwa 210.000 Mitarbeiter. Laut Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sind bei ihr etwa 34.000 Menschen organisiert.

Die Lokführer-Gewerkschaft strebt die Vertretungsmacht für das "gesamte Zugpersonal" an. Die Definition dieser Beschäftigtengruppe ist allerdings umstritten. Nach GDL-Definition zählen dazu neben den rund 20.000 Lokführern etwa 8800 Zugbegleiter, 2500 Gastronomen in den Speisewagen, 3100 Lokrangierführer sowie 2700 Instruktoren, Trainer und Zugdisponenten. Von diesen insgesamt mehr als 37.000 Mitarbeitern sind nach GDL-Angaben 19.000 bei ihr Mitglied.

Die EVG bezeichnet die Zusammenstellung "gesamtes Zugpersonal" als willkürlich und bezweifelt zudem die Zahlenangaben der Konkurrenzgewerkschaft. In der EVG sind demnach etwa 5000 Lokführer organisiert. Dazu kämen 65 Prozent der Zugbegleiter und 75 Prozent der Lokrangierführer. Das wären bei diesen beiden Berufsgruppen zusammen 9860 Beschäftigte.

Welche Gewerkschaft verhandelt für wen?

Die Gewerkschaften leiten aus dem Organisationsgrad ihr Verhandlungsmandat für die jeweiligen Berufsgruppen ab. Wer stärker ist, soll in Tarifverhandlungen das Sagen haben. Die Frage ist jedoch, welche Organisationseinheit dabei betrachtet wird: Ein Betrieb, ein Unternehmen im Konzern, eine Berufsgruppe? Je nach Definition hätte mal die EVG, mal die GDL das Recht für Verhandlungen.

Was will die Bahn?

Die Bahn will Tarifkonkurrenz vermeiden. Sie befürchtet, andernfalls könnte die Zahl der Streiks zunehmen. Und sie befürchtet, dass konkurrierende Gewerkschaften ihre Forderungen immer höher schrauben, um für ihre Mitglieder ein besseres Ergebnis zu erzielen, als es die Konkurrenzgewerkschaft für "deren" Beschäftigte erreichte. Für die Beschäftigten einer Berufsgruppe sollen ihrer Meinung nach die selben Bedingungen gelten - beispielsweise bei der Zahl der Urlaubstage und der Wochenstunden, den Arbeitsbedingungen und natürlichen bei den Löhnen.

Wäre eine Kooperation von EVG und GDL möglich?

In vielen Konzernen und Unternehmen sind die Beschäftigten in mehreren Gewerkschaften organisiert, die sich abstimmen. Die Arbeitnehmervertreter können Tarifgemeinschaften eingehen, wie sie im öffentlichen Dienst etwa ver.di mit der Gewerkschaft der Polizei oder die Bildungsgewerkschaft GEW und der Beamtenbund praktizieren.

Als weitere Option können sich Gewerkschaften absprechen, um jeweils bestimmte Arbeitnehmergruppen in einem Unternehmen zu vertreten.

Als dritte Möglichkeit könnte die in einem Betrieb kleinere Gewerkschaft den von der größeren Gewerkschaft ausgehandelten Tarifvertrag kopieren, also "nachzeichnen", wie es im Tarifdeutsch heißt. Das macht ver.di vielfach bei den Ärzten mit Blick auf den Marburger Bund. Auch GDL und EVG haben dies lange so gemacht. Das entsprechende Abkommen ist aber im Juni 2014 ausgelaufen und wurde nicht verlängert. Eine Neuauflage ist nicht in Sicht - zu stark konkurrieren beide Gewerkschaften um die selben Gruppen von Beschäftigten und um das Verhandlungsmandat für sie.

Folglich ist der Versuch der Bahn, gemeinsam mit beiden Gewerkschaften zu verhandeln, gescheitert. Seither verhandelt die Bahn mit beiden Gewerkschaften getrennt. Das von dem Unternehmen angestrebte identische Verhandlungsergebnis ist aber nicht in Sicht.

Welche Verhandlungspunkte sind besonders strittig?

Als überaus strittig hat sich in den Verhandlungen zwischen Bahn und GDL die Einstufung der Lokrangierführer erwiesen. Die GDL verlangt, dass diese wie Streckenlokführer entlohnt werden, da sie häufig als solche eingesetzt würden. Das lehnt die Bahn ab. Die GDL erkennt darin den Versuch, die Lokführer zu spalten, und hält dem Unternehmen Lohndumping vor.

Zudem möchte die GDL bereits erreichte Kompromisse schriftlich fixieren, um auf dieser Basis weiterzuverhandeln und wirft der Bahn vor, diesen Schritt zu verweigern. Die Bahn kontert den Vorwurf, es gebe bereits ein solches Papier, das von Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber unterschrieben worden sei - was fehle sei die Unterschrift der GDL. Die wiederum hält die Unterschrift von Weber nicht für ausreichend. Ein solches Dokument sei "nichts wert", sagt man.

Die Bahn wiederum will möglicherweise vermeiden, sich schon vor einer abschließenden Einigung gegenüber der GDL auf bestimmte Einzelergebnisse festzulegen, die dann auch im Falle eines Scheiterns der Gespräche gelten würden. Zumal sie parallel weiter mit der EVG verhandelt. Auch diese Gespräche würden durch Einzelabsprachen mit der GDL beeinflusst.

Was plant die Bundesregierung?

Die schwarz-rote Koalition hat Ende 2014 ein Gesetz zur Tarifeinheit und zum Streikrecht vorgelegt. Damit möchte sie eine Zersplitterung der Tariflandschaft verhindern und eine Zunahme von Arbeitsniederlegungen konkurrierender Gewerkschaften verhindern. Diese sollen dazu gebracht werden, miteinander zu kooperieren.

Im Kern schreibt die Regelung fest: "Es gilt der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb." Im Falle konkurrierender Gewerkschaften käme die Arbeitnehmerorganisation mit den meisten Mitgliedern in dem jeweiligen Betrieb zum Zuge.

Die Diskussion hatte durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vor vier Jahren an Fahrt gewonnen. Die Richter stärkten die Tarifvertrags-Vielfalt und die Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften. Damals wurde der Grundsatz "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag" hinfällig. Das Ministerium will diesem aufgeweichten Prinzip nun wieder Geltung verschaffen.

Das geplante Gesetz könnte nun die Handlungsmöglichkeit der GDL einschränken. Möglicherweise verlöre sie in bestimmten Ausgangslagen das Streikrecht, befürchtet sie. Die GDL hat daher bereits angekündigt, dass sie ein solches Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen würde - andere kleinere Gewerkschaften äußerten sich ähnlich. Beobachter vermuten, dass der Gesetzentwurf die Verhandlungsposition der GDL im Tarifstreit verhärtet hat. Der These nach wolle sie so viel wie möglich erreichen, bevor das Gesetz in Kraft tritt.

Der Bundestag berät derzeit über den Entwurf der Koalition und hat die erste Lesung abgeschlossen. Der Bundesrat könnte sich nach der Verabschiedung des Parlaments spätestens am 10. Juli mit dem Gesetz befassen. Es würde dann am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten.

Quellen: dpa, Reuters