Kritik an geplantem EU-Haushalt Aufstand des Zahlmeisters Schweden
Schweden ist im Pro-Kopf-Vergleich das Land, das für seine Mitgliedschaft in der EU am meisten ausgibt. Und es hätte am meisten zu verlieren, sollte sich der jüngste Kompromissvorschlag für den EU-Haushalt durchsetzen. Das und die geplante Verwendung der Mittel stoßen auf Kritik.
Von Alexander Budde, ARD-Hörfunk Stockholm
Birgitta Ohlsson ist um deutliche Worte nicht verlegen. Der jüngste Entwurf für den Haushalt der Europäischen Union sei ein einziges Ärgernis, schimpft Schwedens Europaministerin: "Der Vorschlag ist unrealistisch und für uns einfach nicht akzeptabel." Europa stecke tief in der Krise - viele Länder sähen sich zu schmerzhaften Einsparungen bei der Bildung, der Altenpflege und im Gesundheitswesen gezwungen. "Auch die Europäische Union muss jetzt die nötigen Reformen auf den Weg bringen", meint Ohlsson.
Auch Schweden will den Haushaltsentwurf der EU-Kommission zusammstreichen.
Auf dem Tisch liegt eine Tabelle mit Zahlen, die Unbehagen wecken. Die Ministerin hat von ihren Mitarbeitern ausrechnen lassen, wie teuer der Kompromissvorschlag der zyprischen Ratspräsidentschaft den Nettozahler Schweden zu stehen kommt. Von jeder an die Union überwiesenen Krone würden dem nordischen Land nur 54 Öre aus den diversen EU-Töpfen zurückfließen. Ein gutes Geschäft sieht anders aus.
"Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten, damit Europa stärker wird", sagt Ohlsson, "aber wir wollen nicht für eine Politik zahlen, die wir nicht gutheißen." Der Vorschlag sehe vor, dass rund 40 Prozent der Mittel zur Förderung der Landwirtschaft eingesetzt werden sollen. Dabei trage dieser Sektor in der Union nur zu 1,5 Prozent des Bruttonationalprodukts bei und beschäftige nur fünf Prozent der Bevölkerung. "Das bringt uns nicht weiter", sagt Ohlsson.
Kürzungsgegner verlangen modernes Budget
Schweden gehört mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien zu einer Gruppe von Ländern, die mindestens 100 Milliarden Euro aus dem Haushaltsentwurf der EU-Kommission für die Jahre 2014 bis 2020 kürzen wollen. Sie drängen auf ein modernes Budget.
Ohlsson versteht darunter, weniger Geld zielgenauer für das Wachstum und für die wirklich bedürftigen Länder und Regionen einzusetzen: "Wir brauchen mehr Geld für Forschung, Klimaschutz, Innovationen und auch für Infrastrukturprojekte, die unsere Länder verbinden. Wenn unsere Europäische Union im Wettbewerb mit China, Indien und den USA bestehen soll, dann können wir keinen Haushalt haben, der den Geist der Fünfziger atmet."
Harter Kampf zwischen verschiedenen Interessensgruppen
Die Interessen prallen hart aufeinander, wenn die Europäer alle sieben Jahre um die Verteilung des gemeinsamen Geldes streiten. Rein statistisch profitieren Polen, Griechenland und Ungarn derzeit am stärksten vom Transfer. Vor allem die Länder Ost- und Südosteuropas wollen keine Kürzungen hinnehmen. Die EU-Kommission verlangt sogar mehr Mittel, um ihren Aufgaben künftig gerecht zu werden.
Auf Widerspruch stößt Ohlsson auch bei ihrer liberalen Parteifreundin Cecilia Wikström. Die ist Abgeordnete im Europarlament und sieht die große Gefahr, dass im Zuge immer neuer Streichlisten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. "Im Streit um das Budget geht es auch darum, welches Europa wir in Zukunft haben wollen", meint sie. "Geht es uns um einen stärkeren Zusammenhalt oder wollen wir in eine andere Richtung gehen?" Für die Parlamentarier sei klar, dass es ein starkes Europa geben müssen, um aus der Krise herauszufinden. Zudem müssten die Fundamente gestärkt werden: die Gemeinschaft und die Solidarität zwischen den Mitgliedsländern und ihren gemeinsamen Institutionen.
Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) legt die EU Obergrenzen und Schwerpunkte ihrer Haushalte fest. Für einen Zeitraum von sieben Jahren werden unter anderem die maximalen Gesamtausgaben und die Verteilung auf wichtige Aufgabenbereiche vereinbart. Innerhalb dieser Vorgaben müssen sich später die jährlichen Etats bewegen.
Wie der MFR zustande kommt, ist im Vertrag von Lissabon festgelegt. Es handelt sich im Kern um eine Verordnung. Den Vorschlag dafür legt die EU-Kommission vor. Im nächsten Schritt verhandeln die Regierungen der EU-Staaten über einen Kompromiss, sie können die MFR-Verordnung nur einstimmig beschließen. Zuvor muss aber auch das Europaparlament zustimmen. Wegen des drohenden Vetos beeinflussen die Änderungswünsche der Parlamentarier die Beratungen der Regierungen der EU-Staaten. Kommt es nicht rechtzeitig zu einer Einigung, gelten die Obergrenzen des letzten Jahres aus dem vorangegangenen MFR zunächst weiter.
Drohkulissen vor dem Gipfel
Vor dem entscheidenden Gipfeltreffen Ende November werden bereits die üblichen Drohkulissen aufgebaut.
Der britische Premier David Cameron drohte mit seinem Veto, sollte der Finanzrahmen nicht beschnitten werden. Die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt kündigte ihren Widerstand an, sollten die Steuerzahler ihres Landes für die Rabatte anderer reicher Staaten in die Pflicht genommen werden. Und auch Schwedens Regierungschef Fredrick Reinfeldt warnte eindringlich davor, den mühsam für sein Land ausgehandelten Rabatt anzutasten.
Regierungschef Reinfeldt möchte verhinderm, dass der Rabatt für sein Land angetastet wird.
Schwedens Europaministerin Ohlsson rechnet mit harten Verhandlungen und langen Nächten im Kreise der europäischen Partner: "Uns allen sollte an einer Lösung gelegen sein, aber ich schließe nichts aus. Wir Schweden haben ganz klare Prioritäten."