Positionen der WTO-Kritiker Interview: "Ein Scheitern wäre ein Erfolg"
Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal – das ist das Motto von globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisationen wie Attac oder Weed für die WTO-Konferenz in Hongkong. Hier erklärt der Handelsexperte Alexis Passadakis von Weed (das steht für Wirtschaft, Ökologie und Entwicklung), warum das so ist und wie fairer Handel seiner Ansicht nach aussehen müsste.
tagesschau.de: Wie ist Ihre Prognose für den Ausgang der WTO-Verhandlungen in Hongkong?
Alexis Passadakis: Regierungs- wie auch Konzernträume sind längst geplatzt. Denn eigentlich wollte man bei den Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt schon viel weiter sein. Deshalb könnte man bereits von einem Scheitern sprechen. Ich denke, in Hongkong wird es eine Abschlusserklärung geben, damit die Verhandlungen irgendwie weiter gehen können. Substanzielle Ergebnisse gibt es hoffentlich nicht.
tagesschau.de: Warum hoffen Sie das?
Passadakis: Wir sind für ein Scheitern der Verhandlungen, weil es in allen Handelsbereichen – egal ob Landwirtschaft, Dienstleistungen oder Industriegüter - um weitere Zollsenkungen geht, sprich um Marktöffnung zugunsten der großen, transnationalen Konzerne. Die WTO verspricht mehr Wohlstand für alle und mehr Beschäftigung durch Handelsliberalisierung. Wenn man sich aber anguckt, was tatsächlich in den letzten Jahrezehnten passiert ist, dann muss man feststellen, dass je mehr der Welthandel liberalisiert wurde, es desto weniger Wachstum gab. Desto stärker hat die Arbeitslosigkeit zugenommen.
tagesschau.de: Die Idee der WTO ist ja, dass arme Länder künftig ihre Produkte auf Märkten verkaufen können, die ihnen bisher verschlossen sind. Warum sollten die armen Ländern davon nicht profitieren?
Passadakis: Solche Exportmöglichkeiten könnten interessant sein, ja. Aber darum geht es ja bei den Verhandlungen gar nicht, das ist ein Irrtum. Es geht vielmehr darum, dass die Entwicklungsländer und die Schwellenländer ihre Märkte für Produkte aus dem Norden öffnen sollen. Bloß im Agrarbereich ist es etwas komplizierter. Da gibt es tatsächlich einige Schwellenländer, wie zum Beispiel Brasilien, die Zollsenkungen von der EU fordern. Das würde die brasilianischen Exportmöglichkeiten verbessern, das ist unbestritten. Davon profitieren aber nicht die brasilianischen Kleinbauern, sondern die großen Unternehmen. Und außerdem geraten auch die kleinen Bauern in der EU unter Druck.
Kein Platz für Träume?
tagesschau.de: Wovon träumen sie, was sollte die WTO beschließen?
Passadakis: Zweck der Organisation ist es, Märkte zu liberalisieren. Und das ist grundsätzlich die falsche Richtung. Ihr Zweck ist eben nicht, Entwicklung zu fördern und dafür zu sorgen, dass ökologische und soziale Standards eingehalten werden. All diese Dinge stehen nicht auf der Agenda – es sei denn vielleicht rhetorisch. Deshalb kann ich mir da nichts erträumen. Die WTO ist eher ein Albtraum.
tagesschau.de: Jedes Land hat doch in der WTO eine Stimme, da kann doch gar nicht alles so verkehrt laufen, wie Sie es schildern...
Passadakis: Formell stimmt das: Jedes Land hat eine Stimme, wenn abgestimmt wird. Und genau das ist das Problem. Tatsächlich wird in der WTO nämlich grundsätzlich nie abgestimmt. Stattdessen werden so genannte Konsense hergestellt: Kleine Gruppen von Staaten – meist die EU-Staaten, die USA, Indien und Brasilien – beschließen etwas und setzten andere Staaten unter Druck zuzustimmen. Deshalb müsste auch der Verhandlungsmodus dringend reformiert werden, es müsste tatsächlich abgestimmt werden.
Entwicklung hinter Zollmauern
tagesschau.de: Womit wäre armen Ländern am besten geholfen?
Passadakis: Sie bräuchten Spielräume, eine eigenständige Wirtschaftspolitik zu machen, die sich an den jeweiligen Stärken und Schwächen des Landes orientiert. Wichtig wäre etwa ein effizienter Schutz ihrer Agrarmärkte vor Billigimporten zum Beispiel aus den USA oder aus Europa. Aber das können sie nur sehr begrenzt, denn es gab ja schon viele Zollsenkungen in den letzten Jahren, die WTO-Regeln oder auch Weltbank und Internationaler Währungsfonds verlangen. Deshalb sind die Agrarmärkte der armen Staaten sehr offen.
Ein Paradebeispiel ist Kamerun. WTO-Regeln verlangten niedrigere Zölle auf Geflügelfleisch. Daraufhin wurde der Geflügelmarkt in Kamerun mit billigem Fleisch aus der EU überschwemmt, Tausende von Bauern, auch Futtermittelproduzenten, in Kamerun mussten ihre Arbeit einstellen. Solche Beispiele gibt es aus vielen Ländern. Etwa auch aus Südkorea, wo der Markt mit billigem Gemüse aus China überschwemmt wird. Auch dort sind keine Schutzmechanismen mehr möglich.
tagesschau.de: Was schlagen Sie also vor?
Passadakis: Wir schlagen eine Internationale Konvention über Ernährungssouveränität vor. Also eine Konvention, die erlaubt, dass arme Länder ihre Agrarmärkte schützen, um ihre Landwirtschaft entwickeln zu können. Das hieße, dass man die Agrarverhandlungen komplett aus der WTO herausnehmen müsste.
Die Fragen stellte Claudia Witte, tagesschau.de