Der lange Streit ums Agrarbudget Warum die EU so viel für die Landwirtschaft ausgibt
Fast die Hälfte ihres gesamten Budgets gibt die EU für die Landwirtschaft aus - dabei hat auch die Union schon lange erkannt, dass sie sehr viel mehr für Forschung und Bildung tun muss, wenn sie ihre ehrgeizigen Ziele erreichen will. Warum fällt es der EU so schwer, ihre Agrarausgaben zu kürzen? Eine Erklärung.
Von Claudia Witte, tagesschau.de
Viele Ökonomen schütteln beim Blick auf den EU-Haushalt nur noch mit dem Kopf. Fast die Hälfte ihres Geldes steckt die Union in die Landwirtschaft. Im Jahr 2004 wurden 45,7 Milliarden Euro dafür ausgegeben, das waren 45,8 Prozent des Budgets. In strukturpolitische Maßnahmen, die benachteiligte Regionen fördern sollen, flossen 30,8 Milliarden Euro aus EU-Kassen. Diese beiden Posten machten im vergangnen Jahr knapp 77 Prozent aller Ausgaben aus.
Ökonomen monieren seit Jahren, dass die EU ihr Geld schlecht einsetzt. Die Agrar- und Strukturpolitik sei ein Relikt, längst nicht mehr zeitgemäß. Vor allem mit den Landwirtschaftssubventionen werde ein sterbender Wirtschaftszweig unterstützt, in dem nur noch vier Prozent der Beschäftigten in Europa arbeiteten. Druck kommt auch von außen: Europas Bauern müssten sich in einer globalisierten Welt endlich dem Wettbewerb stellen, Europa müsse seine Agrarmärkte öffnen. Das fordert etwa die Welthandelsorganisation WTO. Aber auch viele Bürger der EU haben große Zweifel: Ist ihr Geld – in diesem Jahr kostet der EU-Haushalt jeden von ihnen 232 Euro – gut angelegt? Warum nur haben die Agrarausgaben ein solches Übergewicht? Kann es sinnvoll sein, dass von den knapp 100 Milliarden Euro in der EU-Kasse nur rund 7,5 Milliarden Euro für Bildung, Forschung und Umwelt bleiben?
Wie es dazu kam
Verstehen kann das nur, wer sich die Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedern anguckt. "Die EU ist nur für bestimmte Politikbereiche zuständig, und dann ist es kein Wunder, dass sie dafür das Geld ausgibt", sagt der EU-Haushalts- und Finanzexperte Roman Maruhn vom Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München. Landwirtschaft gehört zu den Aufgaben, die die Mitgliedsstaaten komplett an die Union abgegeben haben, Beihilfen für Europas Bauern stammen zu 100 Prozent aus EU-Töpfen. In Bereichen wie Inneres, Justiz und Sicherheit dagegen hat die EU kaum Kompetenzen und keine eigenen Strukturen – und deshalb auch kaum Geld auszugeben. „Ein Staatshaushalt macht in der Regel auch ökonomisch Sinn. Man darf aber nicht vergessen, dass der EU-Haushalt kein Staatshaushalt ist", sagt Maruhn. Die Aufgaben der Union sind, so steht es in den Verträgen, weit weniger umfassend als die eines Staates.
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist einer der ältesten Politikbereiche der Europäischen Union. Ziel dieser Politik ist es, den Verbrauchern angemessene Preise und den Landwirten ein gerechtes Einkommen zu garantieren. In den 50er Jahren hatte die EU-Agrarpolitik sogar strategische Bedeutung. Schließlich lagen die Zeiten, in denen es in Europa Hunger gegeben hatte, noch nicht allzu weit zurück - mit der EU-Agrarpolitik sollte "Ernährungssicherheit" hergestellt werden. Damals konnten die Mitgliedsstaaten ihren Bedarf an Lebensmitteln noch nicht selbst decken, die Steigerung der Produktion war die wichtigste Zielsetzung. Heute hat die Landwirtschaft längst nicht mehr diese zentrale Bedeutung. "Der EU-Haushalt kann aber nur den vertraglichen Grundlagen folgen. Die zu ändern, ist eine politische Frage", sagt Maruhn.
Warum das (erst einmal) so bleibt
Hinter dem Streit ums Geld steht also in Wirklichkeit die Grundsatzfrage, was die Europäer mit der EU eigentlich bezwecken, also welche Politikbereiche sie gemeinsam angehen und dann auch mit EU-Geldern ausstatten wollen. An der Struktur des Haushalts wird sich auch deshalb wohl so leicht nichts ändern, weil beim Streit ums Geld niemand etwas abgeben will. Vor allem Frankreich beharrt auf den Agrarsubventionen. Das Land bekommt mit 21,6 Prozent des EU-Landwirtschaftsbudgets die höchsten Beihilfen ausgezahlt. Zudem stehen die Agrarausgaben felsenfest: Denn mit dem 2002 vereinbarten EU-Agrarkompromiss, auf den vor allem Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac drängte, wurde dieser Posten im Haushalt zementiert: Die direkten Beihilfen wurden bis 2013 eingefroren.
Der Haushaltsexperte Maruhn bewertet den Agrarkompromiss allerdings durchaus auch positiv: "Eingefroren heißt schließlich auch gedeckelt", sagt er. Und laut dieser Vereinbarung sinken die Agrarausgaben inflationsbereinigt sogar ein wenig. Darin erkennt Maruhn "den langsamen Ausstieg aus der fragwürdig gewordenen Subventionspolitik". Das allerdings sei ein jahrzehntelanger Prozess.
Was besser wäre
Was aber wäre ein sinnvoller Haushalt? "Investitionen in Wissenschaft und Forschung würden sich ganz gut rechnen", meint Maruhn. Von einer europäischen Forschungslandschaft könnte Europa profitieren. Auch der Ausbau der Infrastruktur würde sich auszahlen. Ob es dafür EU-Gelder gibt, wird aber nicht nach ökonomischen Kriterien entschieden, sondern von Politikern ausgehandelt.