Einstweilige Verfügung gegen Lokführerstreik ''Entscheidung gegen die GDL wird nicht halten"
"Die Entscheidung gegen den Streik der Lokführer ist hochproblematisch", sagt Arbeitsrechtler Lobinger im tagesschau.de-Interview. Das Argument, der Arbeitskampf schade der Volkswirtschaft, greife nicht bei einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen wie der Bahn.
"Die Entscheidung gegen den Streik der Lokführer ist hochproblematisch", sagt Arbeitsrechtler Thomas Lobinger im tagesschau.de-Interview. Vor der nächsten Instanz werde sie keinen Bestand haben. In der Begründung, ein Streik schade der Volkswirtschaft unverhältnismäßig, sieht er auch eine Kritik an der Privatisierung der Bahn.
tagesschau.de: Das Nürnberger Arbeitsgericht hat in einem Eilverfahren einen Streik der Lokführer bis zum 30. September untersagt, mit der Begründung, ein Arbeitskampf würde der deutschen Volkswirtschaft einen enormen Schaden zufügen. Kann man einen Streik denn einfach so verbieten?
Thomas Lobinger: Für mich kommt die Entscheidung auch ziemlich überraschend. Der Grund, dass der Volkswirtschaft immense Schäden drohen würden, zielt auf den Aspekt der Unverhältnismäßigkeit ab. Das ist als Begründung relativ ungewöhnlich.
tagesschau.de: Was bedeutet denn das Prinzip der Unverhältnimäßigkeit?
Lobinger: Das bedeutet, dass die Schäden, die jetzt nach Auffassung des Gerichts der Volkswirtschaft drohen, völlig unverhältnismäßig zu dem sind, was der Streik für die Lokführer bringen könnte. Das Gericht geht von Milliardenschäden aus, und stellt dem die Forderung der Lokführer nach 31 Prozent mehr Lohn gegenüber, die sie wahrscheinlich ohnehin nicht durchsetzen können.
"Ein Kern Privatisierungskritik"
tagesschau.de. Aber wir haben doch in der Bundesrepublik ein Streikrecht. Und bei den in der GDL organisierten Lokführern handelt es sich nicht um streikende Beamte. Außerdem ist die Friedenspflicht ausgelaufen, denn im Moment wird nicht verhandelt. Der Streik ist doch eigentlich rechtmäßig.
Lobinger: Das würde ich auch sagen. Ich halte das Argument der Unverhältnismäßigkeit auch für hoch problematisch. Denn: Jeder Streik hat so genannte externe Kosten - das ist das Wesen eines Streiks. Er soll ja gerade Schäden anrichten, das ist das Druckmittel der Arbeitnehmer. Aber das Gericht argumentiert hier ja gerade nicht mit den Schäden, die dem Unternehmen entstehen, sondern mit den Schäden für die Volkswirtschaft. Und das ist in der Tat problematisch. Denn, wenn man der Ansicht ist, dass es sich bei der Bahn um ein für die Volkswirtschaft so hoch bedeutsames Unternehmen handelt, dann wird man sich überlegen müssen, ob man sich in dem Fall privatwirtschaftliche Zustände, zu denen ein Streik nun mal gehört, leisten kann. Und dann muss man auch überlegen, ob die Privatisierung der Bahn richtig war. In dieser Entscheidung steckt, wenn auch sicherlich unbewusst, ein Kern Privatisierungskritik.
Thomas Lobinger ist Professor für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Handelsrecht. Seit 2003 lehrt er an der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg.
tagesschau.de: Die GDL hat schon angekündigt, das Urteil anfechten zu wollen. Wie beurteilen Sie die Chance, dass die Entscheidung des Arbeitgsgerichts Nürnberg kippt?
Lobinger: Ich bin sicher, dass die Begründung vor der nächsthöheren Instanz, das wäre in diesem Fall das Landesarbeitsgericht Nürnberg, nicht halten wird. Sollte diese Entscheidung dann wieder angefochten werden, würde die Sache wohl vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Bei einem Verfahren wie diesem, in dem es um eine einstweilige Verfügung geht, also um ein schnelles Verfahren, gibt es kein Rechtsmittel zum Bundesarbeitsgericht.
Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de