EU-Steuerentscheidung "Der Druck auf die Konzerne steigt"
Die EU hat die Steuervorteile von Konzernen in Luxemburg oder den Niederlanden für illegal erklärt. Als "großen Schritt" bezeichnet Steuerrechtler Achim Doerfer im tagesschau.de-Interview die Entscheidung - und prophezeit: "Das ist erst der Anfang."
tagesschau.de: Die EU-Kommission hat Starbucks und Fiat verurteilt, in Luxemburg beziehungsweise den Niederlanden Steuern in zweistelliger Millionenhöhe nachzuzahlen. Das ist allein deswegen bemerkenswert, weil Brüssel für Steuerfragen eigentlich gar nicht zuständig ist ...
Achim Doerfer: Genau. Die EU-Kommission bedient sich darum des Wettbewerbsrechts. Sie argumentiert, übrigens völlig zu Recht, dass sich Starbucks und Fiat durch die Steuerersparnisse einen Vorteil gegenüber anderen Unternehmen verschafft hätten. Durch die Nachzahlungen soll dieser Vorteil nun ausgeglichen werden.
tagesschau.de: Beobachter bezeichnen die Entscheidung als "wegweisend" und "einschneidend". Was sagen Sie? Ist das wirklich ein historischer Schlag gegen Unternehmen, die versuchen, ihre Steuerlast durch Tricksereien gen Null herunterzufahren? Oder ist es nicht doch eher ein kleiner Schritt in die richtige Richtung?
Doerfer: Ich würde zumindest von einem großen Schritt sprechen.
Achim Doerfer ist promovierter Rechtsphilosoph und Rechtsanwalt für Wirtschaft und Steuern. Bekannt wurde er mit seinem Buch "Die Steuervermeider - Wie wir um Milliarden betrogen werden", das 2014 bei Hoffmann und Campe erschien.
tagesschau.de: Wirklich? Die Summen, um die es geht, sind ja vergleichsweise überschaubar, 20 bis 30 Millionen Euro.
Doerfer: Ja, aber das ist erst der Anfang. Jetzt geht es weiter! Bei der Kommission sind noch weitere Fälle anhängig, einmal geht es um Apple in Irland, einmal um Amazon wiederum Luxemburg. Da dürften die Summen bereits deutlich höher liegen. Und das wird nicht das Ende sein. Wir kennen inzwischen ja unzählige Beispiele von Unternehmen, die ähnliche Praktiken wie Starbucks oder Fiat angewendet haben. Darf ich das Ganze mal auf eine grundsätzlichere Ebene heben?
tagesschau.de: Ja, bitte!
Es geht darum, dass auch die Amazons dieser Welt ihren fairen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens zahlen. Schließlich gehört Amazon ja auch zu den großen Profiteuren dieses Gemeinwesens. Denn, ganz banal, wer bezahlt die Straßen, die Amazon braucht, um seine Bücher auszuliefern? Der Steuerzahler! Und der ist als Bürger in der Demokratie ja auch gleichzeitig der Souverän - und nicht irgendwelche Beamte, die in Hinterzimmern Steuerdeals aushandeln.
tagesschau.de: Und von solchen Argumenten lässt Amazon sich beeindrucken?
Doerfer: Für die Unternehmen geht es letztlich um eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Die irren Konstruktionen, die da teilweise geschaffen wurden, um die Steuerlast zu minimieren - die kosten ja ihrerseits viel Geld. Wenn die Politik den Unternehmen klarmacht, dass sich solche Konstruktionen in Zukunft nicht mehr lohnen, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
tagesschau.de: Als Laie blickt man bei vielen dieser Steuersparmodelle kaum durch. Helfen Sie uns.
Doerfer: Im Detail sind die Tricks in der Tat komplex. Im Grunde läuft es aber immer darauf hinaus, Gelder zwischen verschiedenen Konzerngesellschaften so lange hin- und herzuschieben, bis die Gewinne da anfallen, wo sie am niedrigsten besteuert werden. Staaten wie die Niederlande, Irland oder Luxemburg haben die Unternehmen dabei unterstützt.
tagesschau.de: Dabei wurden sogenannte "Tax Rulings" angewandt - also Steuerbescheide, die offenbar speziell auf die Bedürfnisse einzelner Unternehmen zugeschnitten wurden. In der EU-Entscheidung heißt es nun, diese "Tax Rulings" seien "absolut legal". Wie passt das zusammen?
Doerfer: Die EU will die "Tax Rulings" nicht grundsätzlich verbieten. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie das gar nicht dürfte - denn ein solcher Schritt würde vom Wettbewerbsrecht tatsächlich nicht mehr gedeckt. Zum zweiten gibt es aber auch inhaltliche Argumente für die Existenz solcher Steuerbescheide. Denn sauber angewandt, geht es zunächst um nichts anderes, als dass sich ein Unternehmen beim Fiskus vergewissert, welcher Besteuerung es unterliegt. Angesichts der komplexen Struktur gerade großer Konzerne ist es legitim, dass sich das Management auf diese Weise Rechtssicherheit verschafft. Was allerdings nicht sein darf: dass die "Tax Rulings“ nur auf den Einzelfall zugeschnittene Sonderrechte schaffen, die es Unternehmen ermöglichen, ihre Steuerlast künstlich zu verringern. Genau das hat die EU jetzt klargestellt.
tagesschau.de: Besteht aber nicht trotzdem die Gefahr, dass Multis wie Apple, Amazon oder Ikea einfach neue Schlupflöcher finden?
Doerfer: Die Gefahr besteht immer. Allerdings darf man die Symbolkraft der EU-Entscheidung nicht außer Acht lassen. Der Druck auf die Unternehmen steigt, er kommt von Verbrauchern, er kommt von NGOs, er kommt auch von den Medien, die den Stein zum Beispiel mit "Luxleaks" erst ins Rollen gebracht haben. Und: Der Druck kommt inzwischen auch vonseiten der Politik, die sich nicht länger hinter dem Argument verschanzt, man sei gegen gewisse Formen der Steuerflucht ohnehin machtlos. Ein Beispiel: Als die Vorwürfe gegen Starbucks, Apple und Google publik wurden, da hat das britische Parlament die Vertreter diese Unternehmen in einer öffentlichen Anhörung regelrecht gegrillt.
tagesschau.de: Wo wird der Weg hingehen? Brauchen wir am Ende eine EU-weite Harmonisierung des Steuersätze?
Doerfer: Nein! Im Gegenteil, ich bin sogar sehr dafür, den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten zu erhalten. Allerdings braucht dieser Wettbewerb klare Regeln und vor allem Transparenz. Wenn der einfache Buchhändler von nebenan, der 28 Prozent seiner Gewinne versteuert, wüsste, wie hoch die Steuern von Amazon sind - dann hätte er die Möglichkeit, gegen eine mögliche Ungleichbehandlung vorzugehen.
Die Fragen stellte: Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de