Lagarde im ARD-Interview "Deutschland soll Teamplayer sein"
Deutschlands Handelsüberschuss hält sie für zu hoch, die Investitionen für zu niedrig: Im ARD-Interview begründet IWF-Chefin Lagarde ihre Position - unter Verweis auf Ex-Minister Schäuble und den FC Bayern.
ARD: US-Präsident Trump kritisierte mehrfach den deutschen Handelsüberschuss, auch Sie halten ihn für zu hoch. Warum?
Christine Lagarde: Ich glaube nicht, dass wir die Einzigen sind, die den Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands als zu hoch betrachten. Wir sind nicht der Auffassung, dass es keinerlei Überschuss geben darf: Einen Teil des Überschusses halten wir durchaus für gerechtfertigt, wenn man sich die Fundamentaldaten Deutschlands anschaut - dazu zählt auch die Alterung der Gesellschaft.
Das momentane Überschussniveau ist aber nicht gerechtfertigt. Insofern sind wir der Meinung, dass das eines der Instrumente ist, die Deutschland künftig nutzen kann, um seine Wirtschaft voranzubringen, um ein guter globaler Teamplayer zu sein und um Ungleichgewichte zu reduzieren. Um es mit einer Fußball-Analogie zu sagen: Ich erinnere mich an eine Diskussion mit meinem guten Freund Wolfgang Schäuble. Wolfgang sagte zu mir: "Verlangst du von mir etwa, Bayern München zu sagen, sie sollten nicht gut spielen, so dass Olympique Lyon das Spiel gewinnen kann?" Ich sagte: "Nein. Es geht nicht darum, die Wettbewerbsfähigkeit zu reduzieren. Es geht darum, den Fiskalüberschuss, der vorhanden ist, zu nutzen, um Politik zu machen, die Anreize für Investitionen schafft."
Es geht darum, dass Bayern München starke junge Spieler hat, die besser ausgebildet sind, in deren Ausbildung investiert wurde - und die die neueste Ausrüstung haben, um ihre etwas älteren Spieler trainieren zu können. Mit anderen Worten: Investition in Innovation.
Risiken ins Auge schauen
ARD: Bundesbank-Präsident Weidmann sieht das anders, Kritik an der deutschen Handelsbilanz lässt er nicht gelten. Liegt er falsch?
Lagarde: Ich glaube nicht, dass er mir in der Einschätzung widersprechen würde, dass der Leistungsbilanzüberschuss zu hoch ist. Das Argument einiger Leute, die mir da widersprechen, ist vielmehr: Ja, der Überschuss ist zu hoch. Aber das ist nur vorübergehend so. Die Marktkräfte werden es regeln. Und der Überschuss wird automatisch auf ein vernünftigeres Niveau sinken. In einer globalen Marktwirtschaft, in der Deutschland ein wichtiger großer Spieler ist, wäre es klug, sich darüber im Klaren zu sein, dass es potenzielle protektionistische Risiken gibt - und man deswegen anstreben sollte, ein guter Teamplayer auf weltwirtschaftlicher Ebene zu sein und diese massiven Überschüsse vermeiden sollte.
ARD: Weidmann ist nicht der einzige deutsche Kritiker der Nullzinspolitik und der Anleihenkäufe der EZB. Können Sie das nachvollziehen?
Lagarde: Wir beim IWF sind der Meinung, dass die EZB, dass jede Zentralbank unterstützend wirken sollte, solange das Inflationsziel nicht erreicht ist. So lange sollte sie ihre lockere Geldpolitik beibehalten. Nicht für immer. Wenn das Inflationsziel erst einmal in Reichweite ist, wenn die Wirtschaft besser läuft - dann spricht natürlich nichts dagegen, zu einer traditionelleren Geldpolitik zurückzukehren, so wie es zum Beispiel die US-Notenbank gerade macht, weil sich in den USA zeigt, dass die zwei Ziele - Inflation und Beschäftigung - in Reichweite oder sogar schon erreicht sind.
ARD: Der Brexit ist für März 2019 vorgesehen. Was meinen sie, wie gefährlich er wird?
Lagarde: Er wird auf jeden Fall die Landkarte Europas verändern. Er wird eine Phase einläuten, die hoffentlich nicht von allzu viel Unsicherheit geprägt sein wird, weil sich die verschiedenen Parteien auf eine großzügige Übergangsphase geeinigt haben werden, so dass sich der Industrie-Sektor mit seinen Lieferketten vergleichsweise gut auf die Veränderungen einstellen kann, so dass sich auch die Finanzindustrie entsprechend anpassen kann. Ein großer Teil dieser Industrie sitzt momentan ja noch in der Londoner City. Ich hoffe eben einfach, dass es in allen Wirtschaftsbereichen so wenig Erschütterung wie möglich gibt.
Das Interview führte Markus Gürne, ARD-Börsenredaktion.