Eine Arbeiterin arbeitet an einer Produktionslinie in einem Verpackungsunternehmen in der Stadt Lianyungang.
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Chinas Wachstumspläne Große Ziele, große Probleme

Stand: 05.03.2024 16:18 Uhr

China hat sich stark gewandelt, aber Pleiten im Immobiliensektor, schwache Exportnachfrage und Kaufzurückhaltung in der Bevölkerung machen der Wirtschaft zu schaffen. Kann das Land sein Wachstumsziel für 2024 erreichen?

Von Thomas Spinnler, ARD-Finanzredaktion

Chinas Wirtschaft hat große Probleme - vor diesem Hintergrund sind sich Experten keineswegs sicher, ob das Land seine aktuellen Wachstumziele erreichen kann. Fünf Prozent hatte zum Auftakt des Volkskongresses der chinesische Ministerpräsident Li Qiang in seinem Rechenschaftsbericht genannt.

Seit dem Ende der Corona-Maßnahmen Ende 2022 tut sich China schwer, die wirtschaftliche Stärke von vor der Pandemie zurückzugewinnen. Die Volksrepublik übertraf im vergangenen Jahr zwar das offizielle Wachstumsziel von rund fünf Prozent mit einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 5,2 Prozent.

Doch China hat unter anderem mit großen Problemen im Immobiliensektor zu kämpfen. Die Preise für Neubauten gingen im Jahr 2023 so stark zurück wie zuletzt vor neun Jahren, viele Immobilienkonzerne sind hoch verschuldet oder mittlerweile pleite. Der Immobiliensektor fällt also als Wachstumsmotor aus.

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Keine Trendwende im Immobiliensektor absehbar

Zwei Drittel des Vermögens chinesischer Haushalte seien in Immobilien gebunden. Häuser und Wohnungen würden nicht nur als Wertanlage dienen, sondern auch als Altersvorsorge, stellt Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International fest. Chinas Konjunktur hänge zu großen Teilen vom Aufschwung dieser Branche ab, und sogar die Weltwirtschaft baue zu einem gewissen Teil auf Chinas Immobilienboom, so der Experte.

"Ein in der Vergangenheit zentraler Treiber des Wachstums bremst", schreibt Helaba-Ökonom Patrick Franke dazu in einer Länderanalyse. "Zwar steuert die Regierung mit verschiedenen Maßnahmen dagegen, aber eine echte Trendwende zeichnet sich 2024 hier nicht ab." Bereits eine Stabilisierung in diesem Sektor wäre laut Franke wohl ein politischer Erfolg.

Kaufzurückhaltung, Verschuldung, Deflation

Hinzu kommt, dass viele chinesische Regionalregierungen massiv verschuldet sind, weil sie in den Ausbau der Infrastruktur des Landes investiert haben. Ein weiteres Problem sind die deflationären Tendenzen. Während bei einem Großteil der Industrieländer die hohe Inflation die Kaufkraft der Verbraucher schrumpfen lässt, begünstigt die Deflation in der Volksrepublik die Konsumzurückhaltung. Das könnte eine konjunkturell verheerende Abwärtsspirale in Gang setzen. Verbraucher reagieren auf sinkende Preise häufig mit Kaufzurückhaltung - es könnte ja noch günstiger werden.

"Chinas Probleme im Immobilienmarkt und die schwächere Nachfrage nach chinesischen Exporten belasten, genau wie eine schwache Produktivität und die Bevölkerungsalterung", fasst Angelika Millendorfer, Leiterin des Teams Emerging Markets Aktien bei Raiffeisen Capital Management die Situation in China zusammen Unterdessen würden Verbraucher- und Produzentenpreise sinken.

"Das ist ungefähr das Letzte, was eine stark verschuldete Volkswirtschaft wie China gebrauchen kann, weil die Schuldenrückzahlung damit tendenziell schwieriger wird", so Millendorfer. Das ist ein weiterer negativer Aspekt der Deflation: Schulden werden, anders als bei einer Inflation, teurer.  

Probleme beim Außenhandel

Beim ökonomischen Blick auf China ist die exportorientierte Wirtschaft ebenfalls ein wichtiges Thema: "Neben den binnenwirtschaftlichen Schwierigkeiten hat China aber auch mit Problemen im Außenhandel zu kämpfen", schreibt Helaba-Fachmann Franke. Einerseits normalisiere sich die Nachfrage im Rest der Welt nach chinesischen Produkten, die in der Pandemie geradezu explodiert war, graduell weiter. "Andererseits bremsen politische Versuche in den Industrieländern, China zunehmend von westlichen HighTech-Produkten abzuschneiden", warnt der Helaba-Experte.  

Angesichts dieser Risiken ist Bastian Hepperle Ökonom bei der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank skeptisch und hält das Wachstumsziel für ehrgeizig: "Zu erreichen ist das nur mit weiteren Stützmaßnahmen der Regierung und Zentralbank. Die grundsätzlichen Probleme wie die Immobilienkrise und die Risiken aus der hohen Verschuldung bleiben jedoch ungelöst", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Es werde ein schwieriger Weg sein, das Wachstum von fünf Prozent im Jahr 2024 zu wiederholen, zitiert die Financial Times Analysten von ING.  

Chinas Wirtschaft im Wandel

Allerdings liegen die Konsenschätzungen der Ökonomen bezüglich des chinesischen Wachstums in diesem Jahr auch nicht wirklich weit entfernt vom aktuellen Wachstumsziel. Analysten prognostizieren in einer Umfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg, dass die Wirtschaft in diesem Jahr wahrscheinlich um immerhin 4,6 Prozent wachsen werde.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht ebenfalls davon aus, dass Chinas Wirtschaftswachstum in diesem Jahr bei 4,6 Prozent liegen werde. Mittelfristig soll es sich nach Ansicht der IWF-Ökonomen auf rund 3,5 Prozent im Jahr 2028 abschwächen.    

Aus der Werkbank wird ein Technologiestandort

Es sollte indes nicht übersehen werden, dass sich Chinas Volkswirtschaft verändert. "Das Streben nach Geschwindigkeit ist einem Wandel im Wachstumsmodell gewichen", sagte Hu Yuexiao, Chefökonom bei Shanghai Securities ebenfalls zu Reuters. Aus der einstigen Werkbank der Welt, die billige Massenprodukte exportiert, ist längst ein Technologiestandort geworden.

Jian Shi Cortesi, Expertin für Asia und China bei GAM Investments, unterstreicht Chinas "beeindruckenden Fortschritte in den Bereichen Technologie und Innovation". Historisch gesehen würden Nationen, die der technologischen Entwicklung aktiv Priorität einräumen, selten einen wirtschaftlichen Niedergang erleben, unterstreicht Cortesi. Chinas Fokus auf Innovation und Technologieführerschaft positioniere das Land für nachhaltiges Wachstum.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. März 2024 um 16:55 Uhr.