Personalnot im Gesundheitswesen Indische Pflegekräfte kommen an deutsche Kliniken
Deutsche Kliniken suchen dringend nach Pflegekräften. Daher hat die Bundesagentur für Arbeit vor zwei Jahren einen Kooperation mit dem indischen Bundesstaat Kerala geschlossen. Nun kommt das erste Pflegepersonal.
Ein halbes Jahr lang hat sich die 26-jährige Jeenamo Thomas auf diesen Tag vorbereitet. Fünf Tage die Woche, vier Stunden lang hat sie in Trivandrum, der Hauptstadt des südindischen Bundesstaates Kerala, Deutsch gelernt. Nun wird die junge Inderin in wenigen Tagen ihre Heimat verlassen und im Tausende Kilometer entfernten Hamburg ein neues Leben beginnen.
"Ich bin Krankenschwester. Ich arbeite im Krankenhaus", sagt sie stolz auf Deutsch. Die wichtigsten Vokabeln sitzen. Jeenamo gehört zu den 200 jungen Menschen, die im vergangenen Jahr mit dem sogenannten "Triple-Win"-Programm begonnen haben - eine Kooperation der Bundesagentur für Arbeit und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Das Programm existiert bereits seit 2013. Seitdem wurden mehr als 5700 ausgebildete Pflegekräfte im Auftrag deutscher Kliniken und Pflegeeinrichtungen gewonnen - etwa aus Bosnien-Herzegowina oder den Philippinen. Und jetzt eben auch aus Indien.
Beide Seiten profitieren
Entscheidend sei, dass alle Seiten profitieren, sagt Liju George, der das Programm für die GIZ in Trivandrum koordiniert. In Kerala gebe es mehr Krankenschwestern als Jobmöglichkeiten. "Aus Sicht des Staates Kerala ist es ein Gewinn, dass die Kandidatinnen und Kandidaten eine sinnvolle Beschäftigung finden." Und natürlich profitierten auch die jungen Leute von dem Programm. Sie bekämen einen Arbeitsplatz, der ihren Wünschen und Träumen entspreche, "in einem Land, das sie sich ausgesucht haben".
Auch Lijo Joseph hat sich bewusst für Deutschland entschieden. Der junge Mann hat einen Arbeitsvertrag beim Klinikverbund Kempten vorliegen. Seit 2006 arbeitet der 37-Jährige aus Trivandrum als Krankenpfleger. Als einem seiner Patienten die Weiterbehandlung in Deutschland nahegelegt worden sei, sei ihm klar geworden, dass er dort in seinem Beruf viel mehr lernen könne.
Konkurrenz mit englischsprachigen Ländern
Viele Inderinnen und Inder sprechen gut Englisch. Extra eine neue Sprache zu lernen ist eine große Hürde. Deshalb konkurriere Deutschland mit englischsprachigen Ländern wie Irland, England oder Kanada um die jungen Fachkräfte, sagt George.
Auch Jeenamo wäre an ihrem ersten Tag im Sprachkurs fast weinend davongelaufen, erinnert sie sich. Inzwischen kann sie auf Deutsch einfache Konversationen führen, hat die Mittelstufe B1 in der Tasche und einen viertägigen deutschen Pflegekurs absolviert. Der große Wunsch, bald Geld nach Hause senden zu können, ließ sie durchhalten: "Ich muss auf jeden Fall meine Familie unterstützen, auch Freunden von mir geht es finanziell nicht so gut".
Von Kerala nach Hamburg: Die 26-jährige Jeenamo Thomas fängt einen neuen Job in Norddeutschland an.
Drei Jahre lang hat die 26-Jährige zuvor in einem indischen Krankenhaus als Krankenschwester gearbeitet. Die Arbeit hier ist hart, das Gehalt klein. 25.000 Rupees habe sie im Monat verdient, umgerechnet etwa 280 Euro. Wenn alles glatt läuft, kann es in Deutschland später das Zehnfache sein. Laut GIZ bekommen die indischen Pflegekräfte mindestens 2800 Euro brutto. Allerdings müssen sie sich dafür weiter fortbilden.
Wohnraum stellt der Arbeitgeber
Sind die in Deutschland angekommen, durchlaufen die Teilnehmenden ein einjähriges Anerkennungsverfahren, erklärt George: "Sie müssen das Sprachniveau B2 abschließen. Außerdem werden sie bei ihrem Arbeitgeber weiter ausgebildet." Jetzt fangen sie erst einmal als Krankenpflegehelfer an, später dann gelten sie als examinierte Pflegefachkräfte.
Nach ihrer Ankunft in Deutschland seien die jungen Frauen und Männer aber nicht auf sich allein gestellt, betont die GIZ. Für die Dauer des Anerkennungsverfahren und bei Bedarf auch darüber hinaus würden sie weiter betreut - etwa bei Behördengängen oder der Eröffnung eines Kontos. Auch sei der Arbeitgeber für den Wohnraum verantwortlich.
Hoher Bildungsstandard
Kerala, Indiens südlichster Staat an der tropischen Malabar-Küste, hat eine lange Auswanderungsgeschichte - vor allem im Gesundheitswesen. Das liegt auch am hohen Bildungsstandard hier. Der Bundesstaat weist mit 94 Prozent die höchste Alphabetisierungsrate im Land auf. Nirgendwo sonst in Indien können vor allem so viele Frauen lesen und schreiben. Außerdem war es in Kerela schon sehr früh gesellschaftlich akzeptiert, dass Frauen einer Beschäftigung nachgehen.
Doch es gibt nicht nur Erfolgsgeschichten. Erst vor wenigen Tagen machte eine junge indische Frau Schlagzeilen, die in Großbritannien plötzlich ohne Job und mit vielen Schulden dastand. Sie ist kein Einzelfall. Immer wieder gibt es Berichte über gestrandete Krankenschwestern aus Kerala. Oder die Frauen müssen für ihren Traum von einem besseren Leben viel Geld bezahlen. Einige ihrer Freundinnen, erzählt Jeenamo, hätten Zehntausende Euro für Vermittlungsagenturen ausgegeben. Für ihre Ausbildung müsse sie hingegen kaum etwas bezahlen. Laut GIZ übernimmt die knapp 7000 Euro der Arbeitgeber.
Deutschkurs beansprucht viel Zeit
Probleme, für das "Triple-Win"-Programm Kandidaten zu finden, hätten sie nicht, sagt Koordinator George. Im Goethe-Institut in Trivandrum bereiten sich schon die nächsten Inderinnen und Inder auf eine Zukunft in Deutschland vor. Ihre deutsche Lehrerin Kiara übt mit ihnen Verben mit Präpositionen. Der Unterricht sei zwar für viele eine große Umstellung, aber alle kämen hochmotiviert.
Insgesamt 300 vorwiegend junge Frauen hätten sich für die nächste Runde angemeldet, erzählt Liju George. Ab und zu springe jemand ab, weil die Familienplanung dazwischenkomme, räumt er ein. Der Deutschkurs nimmt viel Zeit in Anspruch. Mindestens ein halbes Jahr lang müssen die Teilnehmenden ihn fünf Mal die Woche besuchen. Das sei natürlich auch ein finanzielles Risiko, so George. Schließlich könnten die Männer und Frauen in dieser Zeit nicht arbeiten.
Vorfreude auf die neue Heimat
Doch trotz aller Risiken und Strapazen: die Begeisterung für Deutschland ist bei den meisten nach wie vor ungebrochen. Dabei kennen sie ihre neue Heimat in der Regel nur von Fotos, Bildern und Videos. Auch Jeenamo hat noch nie zuvor Indien verlassen. Dennoch spricht auch sie von Deutschland nur in den höchsten Tönen: "Deutschland ist ein gutes Land. Es bietet für Krankenschwestern viele Möglichkeiten. Die Arbeit ist angenehm und das Leben komfortabel."
Deutschland sei ihr absolutes Traumziel. Sprachbarriere, stressiger Klinikalltag, Kulturschock - all das erwähnt Jeenamo nicht. Ob sich ihre hohen Erwartungen erfüllen, wird die Zukunft zeigen. In wenigen Wochen wird sie in einer Hamburger Klinik ihre neue Stelle anfangen. Die 26-Jährige ist zuversichtlich, dass sie sich schnell einleben wird.