Neuer Gewerkschaftschef hält Grundsatzrede "Huber macht die IG Metall wieder politikfähig"
In Leipzig feiert sich die IG Metall: Dass sie erstmals seit 15 Jahren keine Mitglieder mehr verliert, verkauft der neue Chef Huber als Erfolg. Was wird er anders machen als sein Vorgänger? Und hat die IG Metall die Krise tatsächlich überwunden? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Experten Müller.
In Leipzig feiert sich die IG Metall: Dass die Gewerkschaft erstmals seit 15 Jahren keine Mitglieder mehr verliert, verkauft der neue Vorsitzende Berthold Huber als Erfolg. Mit Spannung warten die Delegierten auf seine heutige Grundsatzrede. Was wird er anders machen als sein Vorgänger Jürgen Peters? tagesschau.de sprach darüber mit dem Gewerkschaftsexperten Hans-Peter Müller.
tagesschau.de Auf dem Gewerkschaftstag in Leipzig feiert sich die IG Metall. Ex-Chef Jürgen Peters sprach in seiner Rede davon, dass die IG Metall "wieder da" sei. Aber die Gewerkschaft hat seit 1992 mehr als eine Million Mitglieder verloren. Ist das ein Grund zum Feiern?
Hans-Peter Müller: Ich habe die Ausführungen von Herrn Peters auch mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Dass derjenige, der der IG Metall die größte Niederlage seit der Wiedervereinigung eingebrockt hat, jetzt die Auferstehung feiert, das hat schon eine gewisse Ironie - und auch eine gewisse Dreistigkeit.
tagesschau.de: Der neue Vorsitzende Berthold Huber rechnet für Ende des Jahres damit, dass die Zahl der Anmeldungen die Zahl der Austritte ausgleicht. Er spricht von einer „schwarzen Null“ bei den Mitgliederzahlen und verkauft das als Erfolg. Haben sich die Dinge für die IG Metall wirklich zum Guten gewendet?
Müller: Fakt ist tatsächlich, dass der Mitgliederschwund erst einmal gestoppt ist. Aber was wichtiger ist: Die IG Metall hat 2004 mit dem so genannten Pforzheimer Abkommen ein wichtiges Signal gesetzt. Firmen können danach – natürlich nur mit Zustimmung der Belegschaft – vom Flächentarifvertrag abweichen und etwa Urlaubs- oder Weihnachtsgeld streichen oder ihre Beschäftigten ohne Lohnausgleich länger arbeiten lassen. Das wirklich Innovative daran ist, dass die Vereinbarung nicht nur für Betriebe gilt, die in Not sind. Sie gilt auch für solche, denen es gut geht und die investieren wollen, um ihre Firmen wettbewerbsfähig zu halten. Die IG Metall unterstützt also erstmals eine vernünftige betriebliche Innovationsstrategie. Das ist gute, moderne Tarifpolitik. Dazu kann man sie nur beglückwünschen.
tagesschau.de Und das hat bei den Metallern Erfolg?
Müller: Ja. Es kommt hinzu, dass die Zentrale den Betriebsräten vor Ort viel mehr Spielraum lässt als früher, um die speziellen Belange in ihrer Firma zu regeln. Das macht die Betriebsräte zufriedener, sie werben mehr Mitglieder, weil sie vielleicht auch bessere Argumente haben. Außerdem kommt es bei der Belegschaft von Mittelständlern gut an, dass die Betriebe durch das Pforzheimer Abkommen Hilfe von der IG Metall bekommen, um Möglichkeiten wahrzunehmen. Viele Arbeitnehmer wünschen, dass ihre Firma gute Chancen am Markt hat und sind bereit, dafür auch zeitweise Opfer zu bringen. Dieser Klientel hat sich die IG Metall mit dem Pforzheimer Abkommen angenähert.
tagesschau.de: Ver.di hat im Zeitraum zwischen 2005 und 2006 doppelt so viele Mitglieder verloren als die IG Metall. Was macht die IG Metall besser?
Müller: Die IG Metall ist natürlich längst nicht so zersplittert wie ver.di. Ver.di fasst derartig viele Branchen und Wirtschaftszweige zusammen, dass die Gewerkschaft kaum noch eine vernünftige Tarifpolitik machen kann.
"Der IG Metall drohen keine Abspaltungen"
tagesschau.de: Aber auch die IG Metall hat Mitglieder aus ganz verschiedenen Berufsbereichen – vom Ingenieur bis zum Fließbandarbeiter. Droht der IG Metall nicht, ähnlich wie ver.di, die Gründung einzelner berufsständischer Gewerkschaften?
Müller: Das denke ich nicht. Die Tarife in der Industrie sind viel flexibler als die Tarife, die noch vom öffentlichen Dienst gezeichnet sind – und ich sage bewusst "gezeichnet". Aufstiegsmöglichkeiten sind in der Industrie viel leichter gegeben als im öffentlichen Dienst. Auch deswegen sehe ich bei der IG Metall überhaupt keine Tendenz zur Abspaltung von berufsständischen Einzelgewerkschaften.
tagesschau.de: Die Themen der Gewerkschaften haben zur Zeit Konjunktur: Verlängerung des ALG I, Verhinderung der Rente mit 67. Wird das der IG Metall auch auf Dauer nutzen?
Müller: Besonders die Industriegewerkschaften sind ja abhängig von der Konjunktur. In Zeiten wie diesen, in denen es wieder etwas zu verteilen gibt, ist es natürlich leichter. Wenn es nichts zu verteilen gibt, reagieren Industriegewerkschaften traditionell mit Umverteilung von oben nach unten innerhalb ihrer eigenen Klientel. Also: Die Ansprüche der gering Verdienenden werden auf Kosten der Besserverdienenden durchgesetzt. Und das kann ins Auge gehen, wie wir jetzt im Bahn-Tarifkonflikt sehen. Ob die Konjunktur so stabil ist, dass sie die Krise der Gewerkschaften generell überwinden hilft, werden wir erst in ein paar Jahren sehen.
tagesschau.de: Vom neuen IG-Metall-Chef Berthold Huber wird gesagt, er sei ein Modernisierer. Was wird er anders machen als sein Vorgänger?
Müller: Ich glaube, Huber wird die IG Metall wieder politikfähiger machen. Peters hat die Gewerkschaft auf eine Art Sozialoppositionskurs ausgerichtet. In der Praxis bedeutet das, wenn die Gesprächsfäden zur Politik durchschnitten sind, muss die IG Metall mobilisieren und von der Straße Druck ausüben. Das ist ein sehr antiquiertes Konzept. Diese Option wird die IG Metall natürlich nie aufgeben, aber Huber wird gesprächsfähiger sein. Das heißt nicht, dass er weniger beharrlich ist, aber er wird leisere Töne anschlagen. Ich glaube auch, dass die aggressive Unterstützung der Linkspartei nachlassen wird. Die IG Metall wird mehr in die Mitte rücken.
Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de