Untersuchungsausschuss tagt HRE-Aufklärer in Zeitnot
Es ist die mit Abstand größte staatliche Rettungsaktion im Bankenwesen: Über 100 Milliarden Euro hat die Regierung eingesetzt, um die strauchelnde Hypo Real Estate vor dem Kollaps zu bewahren. Inzwischen ist die Pleitebank nahezu vollständig verstaatlicht. Mit der Befragung von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann geht heute die Aufarbeitung des Desasters vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages weiter. Die Opposition erhebt dabei vor allem schwere Vorwürfe gegen einen Staatssekretär.
Von Ulrich Bentele, tagesschau.de
Der Bundestag macht Sommerferien. Viele Abgeordnetenbüros sind verwaist - nur der Untersuchungsausschuss zur Rettung der Hypo Real Estate (HRE) tagt auch in der parlamentarischen Sommerpause. Die elf Ausschussmitglieder wollen nachvollziehen und aufklären, wie es dazu kommen konnte, dass die Hypo Real Estate unbemerkt von der staatlichen Bankenaufsicht im Zuge der Finanzkrise im Herbst vergangenen Jahres derart in Schieflage geraten konnte, so dass nur staatliche Bürgschaften und Garantien in Milliardenhöhe den Kollaps der Bank verhindern konnten. Der mit mehr als 100 Milliarden Euro gerettete Immobilienfinanzierer ist inzwischen fast vollständig in Bundeshand. Am 23. April hatte der Bundestag den von der Opposition initiierten parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur HRE-Rettung eingesetzt.
Heute versuchen die Ausschussmitglieder bei ihrer Aufklärungsarbeit ein gutes Stück voranzukommen. Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann ist ebenso vorgeladen wie HRE-Vorstandschef Axel Wieandt.
Sitzungsmarathon in der Sommerpause
Allein drei Sitzungstermine gibt es in dieser Woche, drei weitere im August: Warum die Mitglieder des Ausschusses auch im Hochsommer so fleißig sind, liegt auf der Hand: Da der Ausschuss nur bis zum Ende der Legislaturperiode eingesetzt ist, drängt die Zeit. Die Beweisaufnahme muss bereits am 20. August abgeschlossen sein, um noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl Ergebnisse präsentieren zu können.
Die Zeit läuft vor allen den Oppositionsabgeordneten von FDP, Grünen und Linken davon, welche die Untersuchung zum Milliardenskandal der HRE durchgesetzt haben. "Einen Abschlussbericht wird es keinen mehr geben", sagt FDP-Obmann Volker Wissing im Gespräch mit tagesschau.de. Dafür sei die Zeit zu knapp. Dennoch werde man in einem Sachstandsbericht versuchen zumindest die wesentlichen Punkte zu klären.
Der Ausschuss hat bislang 22 Zeugen befragt, sich meterweise durch hochkomplexe und "geheime" Aktenberge aus Behörden und Ministerien gewühlt. Eine mühsame Arbeit, es geht aber auch nicht um "Peanuts": Der Steuerzahler steht für Staatsgarantien in Höhe von 94 Milliarden Euro gerade. Inzwischen hält der deutsche Staat 90 Prozent an der maroden HRE, mehr als drei Milliarden Euro sind im Zuge der Übernahme bisher geflossen.
War der GAU absehbar?
Doch war der drohende Zusammenbruch der Münchner Immobilienbank HRE tatsächlich absehbar und hätte er von Bankenaufsicht und Bundesfinanzministerium verhindert werden können? Für die Opposition liegt der Fall klar: Über Monate hinweg habe die Regierung Alarmsignale missachtet oder übersehen.
Die Bankenaufsicht war schon frühzeitig auf hochriskante Pfandbrief-Geschäfte der irischen HRE-Tochter Depfa aufmerksam geworden, hatte die HRE mehrfach überprüft und Zweifel an deren Seriosität erstmals im März des vergangenen Jahres an das Bankenreferat im Bundesfinanzministerium gemeldet.
Kritik an Staatssekretär
Wie Befragungen im Untersuchungsausschuss laut Oppositionspolitikern ergaben, war der zuständige und jetzt immer mehr in den Fokus der Kritik geratene Staatssekretär im Finanzministerium, Jörg Asmussen, zu diesem Zeitpunkt allerdings im Urlaub und wurde auch später nicht informiert.
Asmussen sei auch bis zum drohenden Konkurs der HRE Ende September 2008 nicht über die Lage der Bank im Bilde gewesen, kritisieren Oppositionspolitiker. So habe der Staatssekretär zunächst den Angaben der HRE vertraut, wonach zur Rettung etwa 35 Milliarden Euro genügten. Die Opposition wirft Asmussen vor, seine Sorgfaltspflicht verletzt zu haben.
Zum entscheidenden Krisentreffen sei er völlig unvorbereitet "hinein gestolpert" und zudem noch alleine erschienen, empört sich der FDP-Abgeordnete Wissing im Gespräch mit tagesschau.de: "Wenn es um Milliarden geht und man nicht professionell agiert, dann ist man dem Steuerzahler schlicht und einfach nicht mehr zumutbar." Auch Gerhard Schick, Obmann der Grünen im Ausschuss fordert den Rücktritt des Staatssekretärs und konstatiert bitter: "Die Folge ist ein Milliardenschaden für den Steuerzahler."
In den Verhandlungen fungierte Deutsche Bank-Chef Ackermann als informelles Sprachrohr der Bankenwirtschaft, die nach Meinung Wissings "wesentlich besser" vorbereitet in die Gespräche mit der Bundesregierung gegangen sei.
Komplexe Materie, gelassener Finanzminister
Die Materie ist komplex, die Finanzwelt verschwiegen, die Liste der noch zu vernehmenden Zeugen prominent: In dieser Woche werden unter anderem noch Commerzbank-Chef Martin Blessing, Bundesbank-Präsident Axel Weber und der Chef der BaFin, Jochen Sanio, vom Ausschuss befragt. Asmussen soll im August nochmals vom Ausschuss vernommen werden, ehe die Zeugenbefragung voraussichtlich mit einer Vernehmung von Bundesfinanzminister Steinbrück beendet wird.
Auch Finanzminister Steinbrück steht auf der Liste der möglichen Zeugen.
Der sieht seiner Vernehmung gelassen entgegen. Nach Ansicht des Finanzministers funktionierte die staatliche Bankenaufsicht - auch bei der Rettung der HRE. Von Regierungsseite heißt es, Schuld am HRE-GAU sei allein die unerwartete Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers Mitte September 2008 gewesen. Die Ausschuss-Arbeit diene der Opposition vor allem als Wahlkampfinstrument.
Fehlende Akten, wortkarge Zeugen
Doch die Arbeit wird den Abgeordneten von den geladenen Zeugen nicht immer einfach gemacht: So beklagt der der Linkspartei-Abgeordnete Axel Troost, dem Ausschuss seien 300 angeforderte Akten der Finanzaufsicht noch immer nicht vorgelegt worden. Das Finanzministerium schaffe es nicht, wichtige Akten schnell genug an den nötigen Stellen zu schwärzen. "Das ist ein Skandal, wie hier mit uns umgesprungen wird", so Troost.
Auch die Befragungen geraten mitunter zum Geduldspiel. Immer wieder versuchten Zeugen einem pünktlichen Erscheinen vor dem Ausschuss zu entgehen oder gaben sich ziemlich wortkarg. "Gerade viele Behördenvertreter haben uns durch mangelnde Auskunftsbereitschaft unnötig viel Zeit weggenommen", krititisiert FDP-Mann Wissing.
So zeigte sich etwa Dietrich Schilling, Regierungsdirektor der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, vor einigen Wochen ziemlich lustlos, vor dem parlamentarischen Gremium zu erscheinen. Die schriftliche Ladung kommentierte er handschriftlich: "Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass ich am 18. Juni in Österreich (Neusiedlersee) an einer lang geplanten Segelregatta teilnehme."
Fass ohne Boden?
Völlig unabhängig von den Bemühungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses steht eines fest: Die Rettung der Bank kann nach wie vor zum Fass ohne Boden werden - erst kürzlich hatte HRE-Aufsichtsratschef Michael Endres angedeutet, dass die bisherigen staatlichen Hilfen wohl nicht ausreichen würden.