Institute stellen Herbstgutachten vor Wirtschaftsforscher befürchten Vollbremsung
Nach zwei Jahren Aufschwung muss sich die deutsche Wirtschaft 2012 auf einen Rückschlag einstellen: Die führenden Forschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognose von zwei auf 0,8 Prozent nach unten revidiert. Grund dafür sei die Schuldenkrise. Dabei kritisierten die Gutachter die Entscheidungen von Politik und EZB.
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr leicht erhöht - und für das kommende Jahr deutlich gesenkt. In ihrem Herbstgutachten sagen sie für dieses Jahr ein Plus von 2,9 Prozent voraus, für kommendes Jahr sehen sie nur noch 0,8 Prozent Wachstum. Im Frühjahr hatten die Institute noch mit 2,8 Prozent beziehungsweise zwei Prozent gerechnet.
Grund dafür sei, dass sich die Schulden- zu einer Bankenkrise auszuweiten drohe. "Dies belastet zunehmend auch die deutsche Konjunktur", warnen die Experten. "Die stark erhöhte Unsicherheit wird die inländische Nachfrage dämpfen, und der Außenhandel dürfte aufgrund der schwierigen Krise wichtiger Handelspartner nicht mehr zur Expansion beitragen." Kritik übten sie am Euro-Krisenmanagement der Politik. Sie forderten, endlich einheitliche Verfahren für den Umgang mit Staats- und Bankenpleiten durchzusetzen.
Trotze Flaute: Mehr Arbeitsplätze, höhere Löhne
Trotz der befürchteten Konjunkturflaute sagen die führenden Wirtschaftsinstitute gute Zeiten für Arbeitnehmer voraus. Die Löhne dürften im kommenden Jahr kräftiger steigen und die Beschäftigung einen Rekordwert erreichen. Die tariflichen Stundenlöhne dürften um 2,5 Prozent zulegen und damit stärker als in diesem Jahr mit 1,8 Prozent. "Die Lohn- und Gehaltsrunde 2011 ist weitgehend abgeschlossen, mit vielen Vereinbarungen, die auch das Jahr 2012 betreffen", schrieben die Institute. "Dabei zeigt sich, dass angesichts der günstigeren gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich höhere Abschlüsse getätigt wurden als in den Vorjahren."
Der Arbeitsmarkt wird der Prognose zufolge von der Flaute kaum berührt. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen wird demnach im kommenden Jahr um 153.000 auf rund 2,8 Millionen sinken, die Zahl der Beschäftigten um fast 200.000 auf den Rekordwert von knapp 41,3 Millionen steigen. Die Unternehmen würden zur Überbrückung der konjunkturellen Schwächephase zunächst auf flexible Arbeitszeitinstrumente zurückgreifen statt auf Arbeitsplatzabbau, prognostizierten die Institute.
Kritik an EZB - und Forderung nach Zinssenkung
Die Inflationsrate wird laut Gutachten von 2,3 auf 1,8 Prozent fallen und damit wieder unter der Zwei-Prozent-Marke liegen, bis zu der die Europäische Zentralbank von stabilen Preisen spricht. "Ausschlaggebend hierfür dürfte der geringere Anstieg der Importpreise sein", erwarten die Institute. Daher und wegen des Konjunktureinbruchs im Euroraum raten die Institute der EZB zu einer Zinssenkung. Die wirtschaftliche und monetäre Analyse der Lage und der Aussichten für den Euroraum sprächen dafür, den Schlüsselzins von 1,5 auf 1,0 Prozent zu senken. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte die Zinsen in diesem Jahr im Kampf gegen die anziehende Inflation zwei Mal erhöht.
Eine Mehrheit der Gutachter kritisierte die Praxis der EZB, Staatstitel von Schuldenländern aufzukaufen. Der fortgesetzte Kauf von Staatsanleihen durch die EZB sei "eine Überdehnung ihres Mandats". Dies gelte auch für andere unkonventionelle Maßnahmen. So akzeptiere die EZB Staatsanleihen Griechenlands, Portugals und Irlands trotz fehlender Bonität als Sicherheiten für Refinanzierungsgeschäfte. Mit ihrer unkonventionellen Geldpolitik verletze die Zentralbank "bisher gültige, zentrale geldpolitische Prinzipien". Das habe die "Berechenbarkeit und die bisher sehr hohe Glaubwürdigkeit der EZB beschädigt". Dieser Ansicht schlossen sich allerdings die Forscher des IWH Halle nicht an.
Basis für Steuerschätzung
Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose wird erstellt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) Essen, dem Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) München, dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel und dem Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) Halle.
Das Gutachten dient der Bundesregierung als Grundlage für ihre eigene Konjunkturprognose am 20. Oktober. Diese Zahlen wiederum sind die Basis für die Steuerschätzung im November und damit für die weitere Ausgabenplanung. Überraschend dürften für die Bundesregierung die Ergebnisse der Institute nicht kommen: Wirtschaftsminister Philipp Rösler war bereits davon ausgegangen, "dass die Wachstumsprognosen, die wir im Mai herausgegeben haben, wahrscheinlich nach unten korrigiert werden".