Börsenphänomen unter der Lupe Kommt jetzt die Weihnachtsrally?
Die Weihnachtsrally an der Börse ist kein Mythos, sondern statistisch hervorragend belegt. Doch wie stehen dieses Jahr die Chancen auf Kursgeschenke unterm Weihnachtsbaum?
Sie ist der Klassiker unter den saisonalen Mustern an den Börse: die Weihnachtsrally. Alle Jahre wieder lockt der Aktienmarkt nach einer kurzen Schwächephase Anfang Dezember zum Jahresende hin mit überdurchschnittlich hohen Gewinnen. Zur Begründung verweisen Börsen-Experten häufig auf das so genannte "Windowdressing": Fondsmanager wollen ihre Bilanz zum Jahresende hin aufhübschen und kaufen die zuvor gut gelaufenen Aktien.
Dimitri Speck, Gründer und Chefanalytiker von Seasonax, führt aber auch emotionale Gründe an: "So ist die Stimmung um Weihnachten tendenziell festlich." Dank der Geschenke zum Fest seien die meisten Menschen in Kauflaune - das übertrage sich auch auf Aktien.
Hohe Wahrscheinlichkeit für Kursgewinne zum Jahresende
Wann genau der Startschuss für dieses populäre Börsenphänomen fällt, darüber sind sich die Experten nicht ganz einig. Einer gängigen Definition zufolge beginnt die Weihnachtsrally Mitte Dezember und dauert bis Anfang Januar.
"Unter den saisonalen Mustern für den gesamten Aktienmarkt gehört sie zu den profitabelsten. Ihr guter Ruf ist somit berechtigt", betont Seasonax-Experte Speck. Die Wahrscheinlichkeit einer positiven Bewegung zum Jahresschluss sei sehr hoch.
"Ein wahres Weihnachtsgeschenk" für Anleger
Die Weihnachtsrally ist - wegen der längeren Börsenhistorie - vor allem für die US-Aktienindizes Dow Jones Industrial Average und S&P 500 statistisch gut belegt. In den vergangenen 125 Jahren verlief die saisonale Phase zwischen dem 14. Dezember und dem 3. Januar für den Dow Jones in 88 Fällen positiv, wie Speck erklärt.
Der durchschnittliche Anstieg betrug 1,5 Prozent. "Die Weihnachtsrally erzielte somit in nur zwölf Handelstagen über ein Viertel des gesamten Jahresgewinns - ein wahres Weihnachtsgeschenk!"
Aber auch der deutsche Leitindex DAX kann sich dem Phänomen Weihnachtsrally anscheinend nicht entziehen - im Gegenteil: "In der Vergangenheit konnte das heimische Börsenbarometer in etwa 71 Prozent der Fälle um durchschnittlich 2,5 Prozent zulegen und den Anlegern Kursgeschenke unter den Weihnachtsbaum legen", erklärt IG-Analyst Christian Henke.
Sieben Handelstage, die es in sich haben
Die Weihnachtsrally im engeren Sinne, wie sie auch im renommierten Stock Trader's Almanac - der "Bibel" für saisonale Börsenphänomene - als "Santa Claus Rally" beschrieben ist, dauert derweil nur sieben Tage. Sie umfasst die letzten fünf Handelstage des alten und die ersten zwei Handelstage des neuen Jahres.
Legt man diese Definition zugrunde, war auch die jüngste Weihnachtsrally ein voller Erfolg gewesen: Trotz der erhöhten Unsicherheit an den Aktienmärkten zu Jahresbeginn beendete der marktbreite S&P 500 die siebentägige Handelsspanne mit einem Gewinn von 1,4 Prozent. Damit wurde sogar der Durchschnittswert für die vergangenen 50 Jahre von 1,3 Prozent übertroffen.
Viel Positives in den Kursen schon enthalten
Doch bei aller Begeisterung für die Statistik ist die interessante Frage für Anleger doch: Wie stehen die Chancen auf eine Weihnachtsrally konkret in diesem Jahr? Die Antwort auf diese Frage fällt Marktbeobachtern schon weitaus schwerer. Fakt ist: An den Aktienmärkten wurde zuletzt schon viel vorweggenommen. Viel Positives ist in den Kursen bereits eingepreist.
So stellt etwa die Meldung, dass die deutsche Wirtschaft trotz Energiekrise glimpflich davonkommen und nur eine milde Rezession im Winterhalbjahr erleben dürfte, an der Börse keine große Neuigkeit mehr dar. Die Aussicht auf weiter sinkende Inflationsraten ist ebenfalls schlichtweg Marktkonsens.
Auch die Geldpolitik entbehrt zunehmend positives Überraschungspotenzial. Dass die Notenbanken ihr Zinstempo drosseln werden, hatte bereits im Vorfeld der Sitzungen von Federal Reserve und Europäischer Zentralbank in dieser Woche die Kurse an den Aktienmärkten dies- wie jenseits des Atlantik beflügelt.
Fed und EZB im Fokus der Anleger
Gut möglich, dass mit den Zins-Entscheiden gestern und heute erst einmal Ernüchterung an den Märkten eintritt in Form eines "fait accompli"-Effekts.
Sollten Fed-Chef Jerome Powell und EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf den Pressekonferenzen nach den Notenbanksitzungen nicht extrem taubenhaft argumentieren - womit kaum zu rechnen ist -, entfiele nämlich der positive Überraschungseffekt, den es braucht, um die Kurse weiter anzutreiben.
Weihnachtsrally steht unter Vorbehalt
Auch aus technischer Perspektive ist die Ausgangslage im DAX angesichts der jüngsten Kursgewinne gut. Am Dienstag scheiterte das deutsche Börsenbarometer allerdings daran, das Verlaufshoch vom 1. Dezember (14.608 Punkte) per Tagesschlusskurs zurückzuerobern. "Diese Hürde sollte jedoch überwunden werden, um das Hoch bei 14.712 Punkten von Anfang Juni und anschließend die untere Begrenzung der oft genannten Handelsspanne bei 14.800 Zählern anzusteuern", betont IG-Analyst Henke.
Fazit: Der Boden für eine Weihnachtsrally scheint auch dieses Jahr an den Börsen bereitet. Doch es braucht frische positive Impulse, damit Anleger einmal mehr auf Kursgeschenke unterm Weihnachtsbaum hoffen dürfen.