Wall Street fällt weiter Zinssorgen belasten erneut die Börsen
Die anhaltend hohe Inflation beunruhigt die Anleger. Sie befürchten noch stärkere Zinserhöhungen in den USA, die die Wirtschaft schwächen könnten. Die Wall Street setzte ihre Talfahrt fort.
Wie tief geht es noch an den US-Börsen? Die Indizes befinden sich weiter im Rückwärtsgang. Der Dow Jones rutschte heute auf den niedrigsten Stand seit März 2021. Am Ende dämmte er seine Verluste aber deutlich ein und schloss nur nur noch 0,2 Prozent tiefer. Der Nasdaq 100 fiel um 0,3 Prozent auf ein neues Eineinhalb-Jahres-Tief.
Aus Furcht vor drastischen Zinserhöhungen zogen sich die Anleger zurück. "Es gibt die Befürchtung, dass der Leitzinsanstieg zu rasch erfolgen und die Wirtschaft dadurch in eine Rezession gestürzt wird", meinte Volkswirt Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank. Die Konjunkturdaten aus den USA gäben zwar noch keinen Anlass zur Sorge. Der jüngste Einbruch an den Aktienmärkten könne aber "als Hinweis gedeutet werden, dass die Anleger schlechtere Zeiten erwarten und daher Aktien verkaufen".
Die jüngsten Inflations- und Erzeugerpreis-Daten fielen ernüchternd aus. Zwar sanken die Teuerungsrate und die Erzeugerpreise in den USA, aber weniger stark als erhofft. Die neuen Konjunkturdaten erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer starken US-Zinserhöhung im Juni von 0,75 Prozent. Die Notenbank hat bisher nur einen Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkten signalisiert. Anlagestratege Lyn Graham-Taylor von der Rabobank rechnet mit einer entschlossenen Inflationsbekämpfung durch die Fed. Dadurch sinke die Chance für eine "weiche Landung" der Konjunktur. "Insgesamt verschlechtern sich die Aussichten für die Wirtschaft."
Manche Experten sehen bereits die Gefahr einer Rezession. Denn in China könnte sich die Konjunktur weiter abschwächen - wegen Covid-19. In zuvor als "Covid-frei" ausgewiesenen Bezirken der chinesischen Wirtschaftsmetropole Shanghai wurden neue Corona-Fälle gemeldet. Das deute darauf hin, dass der dortige Lockdown aufrecht erhalten und das Wirtschaftsleben stark eingeschränkt bleibe, glaubt Commerzbank-Analyst Daniel Briesemann.
Die Zins- und Konjunktursorgen drückten auch die europäischen Börsen ins Minus. Der DAX beendete seine zweitägige Erholungstour und fiel um 0,6 Prozent auf 13.739 Punkte. Zeitweise war das Minus noch viel größer. Gestern hatte sich der deutsche Leitindex noch der runden 14.000er Marke genähert. Seit Anfang Mai hat der DAX rund 500 Zähler eingebüßt.
Anleger flüchteten in sichere Häfen wie den US-Dollar. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, stieg heute um bis zu 0,5 Prozent auf 104,72 Punkten. Das ist das höchste Niveau seit fast 20 Jahren. Selbst die "Anti-Krisen-Währung" Gold gab um 0,3 Prozent auf 1845 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) nach. Ihr macht die Dollar-Rally zu schaffen, die das Edelmetall für Investoren außerhalb der USA unattraktiver macht.
Wegen der Rezessionssorgen fielen die Ölpreise wieder. Die Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um zwei Prozent auf 105,41 Dollar je Barrel (159 Liter). Marktteilnehmer erklärten die Preisabschläge zum einen mit dem festeren US-Dollar, der Rohöl für Interessenten außerhalb des Dollarraums verteuert und damit deren Nachfrage dämpft. Ein weiterer Grund sind die anhaltenden Konjunktursorgen.
Dagegen hat sich Erdgas an den Terminmärkten weiter drastisch verteuert. Der europäische Erdgas-Future zog um 18,5 Prozent auf 111 Euro je Megawattstunde an. Für Unruhe sorgte Russlands Stopp von Gaslieferungen an einige deutsche Gas-Firmen. Das treffe Europa zu einem heiklen Zeitpunkt, sagte Analyst Ole Hvalbye von der Bank SEB.
Die Inflations- und Zinsfurcht wird von aktuellen Konjunkturdaten befeuert: Die Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte haben ihre Preise im ersten Monat nach Kriegsbeginn in der Ukraine im Rekordtempo angehoben. Sie stiegen im März um durchschnittlich 34,7 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. "Dies ist der höchste Preisanstieg gegenüber einem Vorjahresmonat seit Beginn der Erhebung im Jahr 1961", hieß es dazu. Es ist damit zu rechnen, dass die explodierenden Erzeugerpreise letztlich beim Verbraucher ankommen werden und die Teuerung damit weiter antreiben.
Die Talfahrt am Kryptomarkt geht weiter. Erneut mussten viele Digitalwährungen, darunter der bekannteste Digitalwert Bitcoin, erhebliche Kursverluste hinnehmen. Bitcoin fiel auf der Handelsplattform Bitfinex mit 26.591 US-Dollar auf den tiefsten Stand seit Ende 2020. Allein auf Sicht eines Monats hat der Bitcoin ein Drittel seines Werts eingebüßt. Seit Jahresanfang sind es gut 40 Prozent.
Auch andere Digitalwerte gaben im Kurs weiter nach. Der nach Bitcoin zweitgrößte Digitalwert Ether fiel deutlich unter die Marke von 2000 US-Dollar. Ether hat seit Jahresbeginn etwa die Hälfte seines Werts verloren. Der Marktwert aller rund 19.400 Kryptoanlagen beträgt derzeit rund 1,1 Billionen Dollar. Der Rekordwert von fast drei Billionen Dollar stammt aus dem November vergangenen Jahres.
Die Talfahrt der Technologiewerte rund um den Globus hat den weltgrößten Technologieinvestor Softbank tief in die roten Zahlen gedrückt. Im Geschäftsjahr 2021/22 zu Ende März sei ein Verlust in Höhe von 12,5 Milliarden Euro (1,7 Billionen Yen) angefallen nach einem Rekordgewinn von 36,7 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum. Für den Einbruch sorgte vor allem der die Geschäftsaktivitäten dominierende 100 Milliarden Dollar schwere Vision Fund, der allein auf einen Fehlbetrag von zuvor nie erreichten fast 25 Milliarden Euro kam.
Der japanische Renault-Partner Nissan ist trotz der Halbleiter-Engpässe im vergangenen Geschäftsjahr in die Gewinnzone zurückgekehrt. Zum Bilanzstichtag am 31. März fiel ein Nettogewinn von 215 Milliarden Yen (1,6 Milliarden Euro) an. Der Konzern hatte zwei Jahre in Folge Verluste geschrieben. Auch dank des schwachen Yen sowie Kostensenkungen konnte Nissan im vergangenen Jahr wieder schwarze Zahlen ausweisen. Doch im laufenden Geschäftsjahr dürfte der Gewinn deutlich um 30,4 Prozent auf 150 Milliarden Yen abschmelzen.
Am Frankfurter Flughafen hat der Passagierverkehr im April den höchsten Wert seit Beginn der Corona-Pandemie erreicht. Der Betreiber Fraport zählt an Deutschlands größtem Airport knapp vier Millionen Passagiere und damit über eine Million mehr als im März. Das waren etwa viermal so viele Fluggäste wie ein Jahr zuvor, aber immer noch rund ein Drittel weniger als vor der Corona-Pandemie im April 2019. Im Cargo-Geschäft verbuchte der Flughafen erneut einen Rückgang.
Der Wind- und Solarparkbetreiber Encavis hat im ersten Quartal kräftig zugelegt. Der Umsatz schnellte um 53 Prozent auf 90,4 Millionen Euro und das operative Ergebnis (Ebitda) um 64 Prozent auf 64,4 Millionen Euro nach oben. Encavis habe in den ersten drei Monaten auch von günstigen Wetterbedingungen profitiert.
Der Versicherungskonzern Allianz sieht sich trotz des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen gegen Russland auf Kurs zu seinem Gewinnziel für das laufende Jahr. Der operative Gewinn solle weiterhin 12,4 bis 14,4 Milliarden Euro erreichen. Im ersten Quartal erzielte die Allianz einen Umsatz von 44 Milliarden Euro, rund sechs Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Unter dem Strich blieb allerdings nur ein Gewinn von 561 Millionen Euro. Denn der Konzern legte für den laufenden Rechtsstreit mit Großkunden seiner Fondstochter Allianz Global Investors (AGI) weitere 1,9 Milliarden Euro zurück, wie er ebenfalls am Mittwoch mitgeteilt hatte.
Das Russland-Geschäft hat Siemens im zweiten Quartal (per Ende März) das Ergebnis verdorben. So verbuchte das Unternehmen eine Belastung unter anderem aus Abschreibungen von 0,6 Milliarden Euro. Sie entfallen hauptsächlich auf das Zuggeschäft. Wegen der Russland-Belastungen sank der Gewinn nach Steuern um fast die Hälfte auf 1,2 Milliarden Euro.
Der Energiekonzern RWE hat im ersten Quartal deutlich mehr verdient, das bereinigte operative Ergebnis (Ebitda) sei um 65 Prozent auf 1,46 Milliarden Euro gestiegen. RWE habe über 20 Prozent mehr Strom aus Wind und Sonne produziert. Da der Konzern infolge britischer Sanktionen keine russische Kohle mehr annimmt, habe er auf den langfristigen Bezugsvertrag 850 Millionen Euro abgeschrieben. RWE bestätigte die Prognosen für das Gesamtjahr, wonach etwa das bereinigten Ebitda auf Konzernebene bei 3,6 bis 4,0 Milliarden Euro liegen soll.
Der Pharma- und Chemiekonzern Merck KGaA steigerte den Konzernumsatz im ersten Quartal um rund zwölf Prozent auf knapp 5,2 Milliarden Euro. Ein Teil davon war positiven Währungseffekten geschuldet, diese herausgerechnet betrug das Plus aus eigener Kraft noch knapp acht Prozent. Unter dem Strich verdiente Merck nach Steuern mit 884 Millionen Euro rund 18 Prozent mehr als im Vorjahr.
Gegenüber dem Vorjahreszeitraum stieg der Ströer-Umsatz im ersten Quartal um fast ein Viertel auf 385 Millionen Euro. Vor allem digitale Werbeformate seien gut angenommen worden. Unter dem Strich schaffte das Unternehmen zudem den Sprung zurück in die Gewinnzone: Häufte sich im vergangenen Erstquartal noch ein Verlust von 9,5 Millionen Euro an, blieben nun elf Millionen bei dem Unternehmen hängen.
Hohe Ausgaben und Kosten haben Walt Disney im ersten Quartal belastet, doch das wichtige Streaming-Geschäft entwickelte sich besser als erwartet. Verglichen mit dem Vorjahreswert brach der Quartalsgewinn um rund die Hälfte auf 470 Millionen Dollar ein. Der Streaming-Service Disney+ gewann im Quartal aber 7,9 Millionen Abonnenten hinzu und übertraf damit die Prognosen der Analysten. Zum Quartalsende hatte der Netflix-Rivale insgesamt schon 137,7 Millionen Kunden. Das ließ die Aktie nachbörslich zunächst deutlich steigen. Auch Disneys weitere Streaming-Dienste Hulu und ESPN+ liefen gut.
Saudi Aramco hat Apple als das wertvollste Unternehmen der Welt überholt. Die teilstaatliche saudi-arabische Gesellschaft, die als größtes ölproduzierendes Unternehmen der Welt gilt, wurde auf der Grundlage des Aktienkurses bei Börsenschluss am Mittwoch mit 2,42 Billionen Dollar bewertet. Der Börsenwert von US-Technologiekonzern Apple sank auf 2,37 Billionen Dollar.