Zinswende in den USA Scheinbar paradoxe Börsenreaktionen
Erstmals seit 2018 hat die US-Notenbank den Leitzins angehoben. Rund um die Welt reagieren die Börsen mit steigenden Kursen. Wie kommt das?
Weltweit sind die Aktienindizes nach der Fed-Entscheidung nach oben geklettert. Die Nasdaq um 3,7 Prozent, der japanische Nikkei gut drei Prozent, der Hang Seng Index in Hongkong sogar um fast 6,5 Prozent. Auch der DAX ist zunächst positiv gestartet. Und das, obwohl steigende Zinsen gemeinhin als Gift für den Aktienmarkt gelten.
Die erste von mehreren Zinserhöhungen
Dass die US-Notenbank jetzt die Zinsen anhebe, zeige auch, "dass die amerikanische Wirtschaft läuft", erklärt Kapitalmarktstratege Stefan Riße von der privaten Vermögensverwaltung Acatis diese scheinbar paradoxen Reaktionen. "Es wird zu keiner Rezession durch den Krieg in der Ukraine kommen. Und das ist ein positives Signal, denn eine wachsende Wirtschaft bedeutet wachsende Unternehmensgewinne und damit mehr Erträge für Aktionäre."
Zudem ist es zunächst nur ein sehr kleiner Zinsschritt, gerade einmal um 0,25 Prozent wird das Geld durch die Notenbank verteuert. Allerdings ist das erst der Beginn einer Reihe von Zinserhöhungen: Bis zum Ende des Jahres rechnet die Fed nach ihren jüngsten Prognosen mit einem Anstieg des Leitzinses bis auf 1,9 Prozent.
Der Schritt kam für niemanden überraschend
Dennoch bleiben die Anleger gelassen. "Die amerikanische Notenbank hatte diesen Zinsschritt ja schon angekündigt, und zwar in ungewöhnlich klarer Form", sagt der Chef-Volkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. Zudem hätten die Marktteilnehmer gewusst, dass sich die Federal Reserve Sorgen macht wegen der Inflation. Von daher sei die Anhebung des Leitzinses keine negative Überraschung, sondern ein erwarteter und aus Sicht vieler Experten längst überfälliger Schritt.
"Wir haben in Amerika eine Inflationsrate von fast acht Prozent, und den Höhepunkt haben wir noch nicht gesehen", so der Commerzbank-Ökonom. "Je länger die Inflation oben bleibt, desto mehr gehen auch die Inflationserwartungen der Unternehmen und der Bürger hoch. Und dann ist es für die Unternehmen einfacher, die Preise weiter anzuheben, wenn die Menschen das sowieso schon erwarten." Sie forderten dann höhere Löhne, was zu einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale führen könne.
Es bleibt das große Schulden-Problem
Mit der Anhebung der Zinsen will die US-Notenbank also einer heiß laufenden Inflation entgegentreten. Nur die Frage ist: Kann sie das? Eine Inflation von fast acht Prozent mit einem Zins von fast 0,25 Prozent zu bremsen, sei natürlich unmöglich, sagt Vermögensverwalter Riße. "Die Notenbanken stecken in einem Dilemma: Die ganze Welt ist sehr verschuldet. In Amerika nicht nur die Unternehmen und der Staat, auch die Bürger. Wenn man die Zinsen richtig stark erhöhen würde, um die Inflation auszubremsen, dann gingen große Teile der amerikanischen Wirtschaft einfach Pleite."
In einer ähnlichen Zwickmühle steckt die Europäische Zentralbank (EZB), die sich bislang noch nicht zu einer Anhebung der Zinsen durchringen konnte. In Europa würden steigende Zinsen den hoch verschuldeten südlichen Mitgliedsstaaten schaden. Doch die Stimmen aus der Wirtschaft werden lauter, dass die EZB der Fed folgen möge. Nach Einschätzung der Deutschen Industrie und Handelskammer (DIHK) werden höhere US-Zinsen Kapital in die Vereinigten Staaten locken und den Dollarkurs nach oben ziehen. Das wiederum würde den Euro schwächen und die Inflation weiter anfachen.
Ein weiteres Problem: Die Gründe für die Teuerung liegen überwiegend in äußeren Faktoren wie etwa den Lieferengpässen und den dadurch steigenden Preisen, vor allem bei Rohstoffe und Energie. DIHK-Außenwirtschaftsexperte Treier spricht daher auch von "importierten Preistreibern".