Atomkraft und Gas Ökolabel - Übergang oder Irrweg?
Wer in grüne Fonds oder Anleihen investiert, könnte künftig damit auch Kernkraft und Gas finanzieren - beides gilt in der EU nun als nachhaltig. Für die einen ein Fehler - für andere eine Brücke zur klimafreundlichen Stromversorgung.
Wer Geld in grünen Fonds anlegen möchte, muss künftig noch genauer hinschauen: Ab dem kommenden Jahr gelten Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke in der EU unter bestimmten Auflagen als nachhaltig. Im EU-Parlament kam nicht die erforderliche absolute Mehrheit zusammen, um den entsprechenden Vorschlag der Kommission abzulehnen. Statt der nötigen 353 Parlamentarier votierten im Plenum nur 278 gegen den Rechtsakt zur sogenannten Taxonomie. Das ist ein von Brüssel entwickeltes System, um festzulegen, welche wirtschaftlichen Handlungen klima- und umweltfreundlich sind.
Ziel: Mehr privates Kapital
Die Behörde empfiehlt in ihrem Regelbuch Finanzprodukte, die Umwelt und Ressourcen schonen. Dazu zählen bald auch Investitionen in Kernkraft und Erdgas - jedenfalls solange, bis in Europa der Strom ganz aus Sonne, Wind und Wasser kommt. Das Ziel ist, mehr privates Kapital aufzubringen für Europas nachhaltigen Umbau. Der wird nach Schätzungen der Kommission rund 350 Milliarden Euro jährlich kosten.
Die Taxonomie ist also ein Instrument der Finanzpolitik, und Regeln für deren Gebrauch stellt die Kommission auf. Dagegen ist und bleibt es Sache der Mitgliedsstaaten, ob sie ihre Energie aus Kohle, Atom oder erneuerbaren Quellen gewinnen. Da hat Brüssel weiter nichts mitzureden.
Strenge Auflagen
Ab 2023 können Stadtwerke oder Energiekonzerne grüne Anleihen herausgeben, um Geld für neue Gas- oder Kernkraftwerke zu sammeln. Für das Öko-Siegel müssen neue Atomanlagen vor 2045 eine Baugenehmigung bekommen. Auch die Nachrüstung alter Meiler bis 2040 ist laut dem Rechtsakt nachhaltig. Für die Zeit ab 2050 braucht es einen Plan zur Endlagerung des strahlenden Abfalls.
Hier sieht die Kommission Finnland, Schweden und Frankreich auf gutem Weg. Gaskraftwerke dürfen bestimmte CO2-Grenzwerte nicht überschreiten. Außerdem müssen sie noch klimaschädlichere Kohlekraftwerke ersetzen, und die Betreiber müssen bis 2035 auf klimafreundlichere Energieträger wie Wasserstoff oder Biogas umsteigen. Die Kommission wertet Atom und Gas als Brücke für den Übergang zur klimafreundlichen Stromversorgung.
Und scharfe Kritik
Nach Ansicht von Kritikern stellt die Aufnahme dieser beiden Energieformen die Glaubwürdigkeit des gesamten Regelwerkes in Frage: Anstatt für mehr Klarheit bei nachhaltigen Geldanlagen zu sorgen, würden Verbraucherinnen und Verbraucher verunsichert.
Die EU-Kommission hatte ihren Entwurf zur Taxonomie knapp drei Monate vor dem russischen Überfall auf die Ukraine veröffentlicht. Trotzdem sehen Gegner einen Zusammenhang: Wenn durch neue Öko-Labels mehr Geld in Gaskraftwerke fließt, zementiert das ihrer Ansicht nach die Abhängigkeit von Russland. Die Kommission hält dagegen: Gerade die Taxonomie ermögliche den schnellen Weg aus der Abhängigkeit.
Wenig Widerstand der Mitgliedsstaaten
Ihren Entwurf dazu hat die Kommission am Silvestertag vorgelegt. Im Vorfeld hatten Fachleute der Behörde ausgiebig mit den Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten diskutiert. Frankreich, das seinen Strom zu 70 Prozent aus Kernkraft gewinnt, und Finnland sind zufrieden mit der neuen Regelung. Auch osteuropäische Länder setzen auf Atomkraft und Erdgas, um mittelfristig aus der noch klimaschädlicheren Kohleverstromung auszusteigen.
Die Bundesregierung bewertet zwar Nuklearenergie nicht als nachhaltig, hält aber Erdgas für eine notwendige Übergangstechnologie. Dagegen haben Österreich und Luxemburg Klagen gegen den Rechtsakt der Kommission angekündigt. Die Erfolgsaussichten sind nach Ansicht von Fachleuten allerdings gering. Nachdem das EU-Parlament grünes Licht gegeben hat, müssten 20 der 27 Mitgliedsstaaten widersprechen, um die Kommissionsvorlage noch zu blockieren. Das ist höchst unwahrscheinlich.
Was machen Anleger?
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen, nämlich gut 80 Prozent, hält Geldanlagen in Atomkraft nicht für nachhaltig. Das ergibt eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Bürgerbewegung Finanzwende vom August 2021. Ob künftig mehr Geld von Anlegerinnen und Anlegern in Nuklearenergie fließt, ist deshalb offen.
Jedenfalls wollen Vermögensverwalter ihren Kundinnen und Kunden die Entscheidung für nachhaltige Finanzprodukte erleichtern. So plant die DWS Group nach eigenen Angaben, Emittenten oder Portfoliounternehmen kenntlich zu machen, die ihren Umsatz aus Atomenergie und Erdgas gewinnen. Viele Fondshäuser haben selbst Standards in Sachen Nachhaltigkeit gesetzt.
Manche Fondsanbieter schätzen die Bedeutung der Neuregelung für die Finanzmärkte zunächst als gering ein und wollen ihre Nachhaltigkeits-Kriterien nicht nachjustieren. Außerdem müssen sich Banken nicht an die Brüsseler Einstufung halten. So will die Europäische Investitionsbank EIB auch künftig nicht in Projekte investieren, die Atomkraft enthalten. Die deutsche Förderbank KfW schließt solche Vorhaben ebenfalls weiter aus.
Mogelpackung oder Weg frei für einen Übergang?
Die EU-Kommission begrüßt den Parlamentsbeschluss als wichtige Anerkennung ihres pragmatischen und realistischen Ansatzes.
Abgeordnete von Grünen und Sozialdemokraten sprechen dagegen von einer verpassten Chance - die neue Einstufung von nachhaltigen Finanzprodukten werde zur Mogelpackung, bevor sie gestartet sei. Auch Europaparlamentarier von CDU und CSU lehnen es ab, Investitionen in Atomkraft und Gas als nachhaltig zu werten. Sie sprechen von einem Fehler und von einem falschen Signal für die Zukunft.
Aber die Mehrheit der christdemokratischen EVP-Fraktion im Parlament hat den Einspruch gegen die Kommissionsvorlage abgewiesen, ebenso die Mehrheit der Liberalen. 353 Abgeordnete hätten gegen den Vorschlag stimmen müssen, um ihn zu blockieren - am Ende waren es 278. Die AfD begrüßt das und spricht von einem Sieg der Vernunft.
Die Klimabewegung Fridays for Future beklagt, dass jeder Euro für Kernkraft und Erdgas beim Ausbau der Erneuerbaren Energien fehle. Der Industrieverband BDI lobt, dass nun der Weg frei sei für Finanzströme in den Übergang von Kohle und Erdgas zu erneuerbaren und alternativen Gasen - das gebe der Industrie Planungssicherheit.