EZB-Direktorin Schnabel Europäische Zinswende im Sommer?
Lange hatte die EZB gezaudert. Nun will sie offenbar endlich handeln. Angesichts der hohen Inflation plädiert die deutsche Ratsvertreterin Schnabel für eine Zinserhöhung im Juli.
Im Frankfurter EZB-Tower geht die Angst um - vor einer Lohn-Preis-Spirale und einer Stagflation, also einer fatalen Mischung aus hoher Inflation und Rezession. "Viele fürchten, dass es jetzt zu einer Stagflation kommt", sagt EZB-Direktorin Isabel Schnabel in einem Interview mit dem "Handelsblatt". Vor allem dann, wenn der Ukraine-Krieg eskaliere.
"Sehen eine Verbreiterung des Inflationsdrucks"
Nachdem die wichtigste deutsche Vertreterin im EZB-Rat die Inflationsgefahren lange eher weniger kritisch zu sehen schien, zeigt sie sich nun besorgt über den Anstieg der Verbraucherpreise, der sich inzwischen nicht mehr nur auf Energie und Lebensmitteln beschränke. So habe die Kerninflation, bei der Energie und Lebensmittel nicht eingerechnet werden, deutlich angezogen und liege nun bei 3,5 Prozent. "Wir sehen eine Verbreiterung des Inflationsdrucks", warnt Schnabel.
Sie befürchtet eine Lohn-Preis-Spirale. Es stehe außer Zweifel, dass höhere Lohnforderungen kommen würden, wenn die Inflation längere Zeit hoch bleibe, meint Schnabel. Deshalb "müssen wir verhindern, dass sich die hohe Inflation in den Erwartungen festsetzt", betont sie.
"Wir müssen handeln"
"Jetzt reicht es nicht mehr zu reden, wir müssen handeln", fordert Schnabel im Interview mit dem "Handelsblatt". Konkret: Im Sommer sollten die Zinsen angehoben werden. "Aus heutiger Sicht halte ich eine Zinserhöhung im Juli für möglich", erklärt die EZB-Direktorin. Zuvor sollten die Nettozukäufe von Anleihen eingestellt werden, voraussichtlich Ende Juni.
Es wäre die erste Zinsanhebung im Euro-Raum seit 2011. Damals hatten die Währungshüter die Leitzinsen leicht angehoben, den Schritt aber rasch wieder korrigiert. In der Corona-Krise hatte die EZB die Leitzinsen dann bis auf null Prozent gedrückt.
Rekord-Inflation bringt EZB unter Druck
Angesichts der steigenden Inflation, die im April in der Eurozone ein Rekordniveau von 7,5 Prozent erreichte, steigt der Druck auf die EZB zu handeln. Viele Ökonomen und auch Politiker hatten in den letzten Wochen die Zentralbank dazu gedrängt, endlich die Zinsen zu erhöhen. Bisher hat sich EZB-Chefin Christine Lagarde dagegen gesträubt und erklärt, man wolle weitere Daten abwarten.
"Die EZB hat sich der neuen Realität bislang trotzig verweigert", kritisiert der frühere Präsident des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. Mit ihren fadenscheinigen Stellungnahmen riskiere sie nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sie erwecke sogar den Eindruck, die Kontrolle über das Preisniveau verloren zu haben.
Zuletzt preschten aber ein paar Notenbanker vor, jetzt rasch zu handeln. So sprach sich der österreichische Notenbankchef Robert Holzmann für bis zu drei Zinserhöhungen in diesem Jahr aus. Auch Bundesbank-Chef Joachim Nagel plädiert für baldige Zinsanhebungen.
In den USA hat Zinswende schon begonnen
Andere Notenbanken haben längst auf die galoppierende Inflation reagiert. Die Fed hatte vor wenigen Wochen die Leitzinsen angehoben, heute erhöhte sie sie abermals - und zwar deutlich um 0,5 Prozentpunkte. Auch die britische Notenbank hat die Zinswende eingeläutet.