Diskussion über EWF Ein Fonds für die "Schicksalsgemeinschaft"
Die Idee für einen Europäischen Währungsfonds ist nicht neu: Bereits 1978 hatte der damalige Bundeskanzler Schmidt eine solche Institution vorgeschlagen. Mehr als 30 Jahre später könnte der Fonds Wirklichkeit werden. Er soll, so die Hoffnung von Experten, die ökonomische "Schicksalsgemeinschaft" Europa handlungsfähiger machen - und in Krisenzeiten schützen. Die EU-Kommission bewertet den umstrittenen Vorschlag grundsätzlich positiv.
Von Patrick Gensing, tagesschau.de
Seit Wochen schon versucht die Europäische Union, die Schuldenkrise in Griechenland in den Griff zu bekommen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble brachte nun einen Europäischen Währungsfonds (EWF) in die Debatte ein. Dieser Vorstoß wird von Politikern und Experten kontrovers diskutiert.
Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, erklärte gegenüber tagesschau.de, ein solcher Fonds könne gleich drei Hauptaufgaben erfüllen. Der EWF solle als Instrument beim Krisenmanagement eingesetzt werden, denn die Finanzkrise habe hier deutliche Mängel aufgezeigt. Zudem könne der Fonds die ökonomische Überwachung der Staaten verbessern, sagte Mayer. Außerdem werde durch den EWF bei einer Zahlungsunfähigkeit von Staaten ein geordnetes Verfahren garantiert - wie bei einer Privatinsolvenz. Der IWF könne dies nicht leisten, wie das Beispiel Argentinien gezeigt habe, so Mayer. Ähnlich äußerte sich Gustav Horn, Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, im Gespräch mit tagesschau.de.
So weit dürfte es gar nicht kommen, warnte hingegen Allianz-Volkswirt Rolf Schneider. Künftig sei Krisenprävention durch Schuldenabbau wichtiger als Krisenmanagement. Schneider zeigte sich im Gespräch mit tagesschau.de bezüglich eines Europäischen Währungsfonds skeptisch, da dies eher ein Instrument zum Krisenmanagement sei. Hier werde zudem neue Bürokratie geschaffen. Wichtiger sei es, den Stabilitätspakt zu überarbeiten, damit stärker auf einen Ausgleich der Staatsfinanzen hingearbeitet werde. Der hohe Schuldenstand sei der Grund gewesen, warum Griechenland zum Objekt von Spekulationen geworden sei, betonte Schneider. Ausgeglichene Haushalte seien somit der beste Schutz gegen Spekulationen.
Auch der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, wies den Vorstoß zurück. Jedes Land hafte für seinen öffentlichen Haushalt und damit für seine Schulden selbst, schrieb er in einem Gastkommentar im "Handelsblatt". "Es wäre der Start eines Finanzausgleichs, der sehr teuer werden könnte, die falschen Anreize setzt und letztlich Länder mit solideren öffentlichen Finanzen belasten würde."
Der Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Horn, schlug vor, die Mittel für den Fonds sollten aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten oder einer Euroanleihe auf dem privaten Kapitalmarkt kommen. Außerdem seien Sonderzahlungen der Überschussländer denkbar. Mit dem EWF müssten die Anreize sowohl für Überschussländer als auch für Defizitländer so gesetzt werden, dass sie sich stabilitätsgerecht innerhalb der Eurozone verhielten.
"EU steht noch gut da"
Volkswirt Schneider betonte hingegen, die Allianz-Gruppe sei in einer Studie zu dem Schluss gekommen, die Euro-Zone könne die Schuldenkrise verdauen - auch ohne einen EWF. Der Untersuchung zufolge sind die Probleme anderer europäischer Problemstaaten nicht mit denen Griechenlands zu vergleichen. Die EU stünde zudem mit einer Schuldenstandsquote von 78,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zu Ländern wie Japan mit einer Quote von 190 Prozent noch gut da.
Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Mayer warnte jedoch, eine neue Krise könne nie ganz ausgeschlossen werden - dies hätten die Ereignisse der vergangenen Monate gezeigt. Und durch die Währungsunion befinde sich Europa in einer Art "Schicksalsgemeinschaft", da die Staaten Teile ihrer Souveränität abgegeben hätten. Das ökonomische Schicksal der Staaten sei eng miteinander verbunden, daher seien auch besondere Mechanismen zur Überwachung und zur Krisenintervention nötig, so Mayer weiter.
"Griechenland ist kein Einzelfall"
Auch der französische Wirtschaftswissenschaftler Jean-Paul Fitoussi forderte vehement größeren Einfluss für die EU. Es sei politisch absurd, dass Griechenland beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe anklopfe, so Fitoussi gegenüber der "Frankfurter Rundschau". "Was hat der IWF in Euroland zu suchen?", fragte er. Immerhin sei "die EU, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, die weltweite Nummer eins". Auch andere Experten meinen, IWF-Kredite seien in den Euroländern unerwünscht, da durch die Auflagen indirekt Einfluss auf die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) genommen werden könnte. Wegen solcher Auflagen lehnte Griechenland IWF-Hilfen bisher ab.
Fitoussi forderte daher, die EU müsse "endlich gemeinsame Anleihen ausgeben". Griechenland sei kein Einzelfall, betonte der Wirtschaftsforscher, denn zuvor hatte die EU bereits die osteuropäischen Mitglieder fallengelassen. "Es ist schrecklich!", so Fitoussi, der EU fehle es an Zusammenhalt zwischen den Staaten. Die EU habe sich zudem im Lissabon-Vertrag selbst die Hände gebunden. Tatsächlich verbieten die geltenden EU-Verträge die Übernahme von Schulden eines Mitgliedslandes. Die Europäische Währungsunion müsse daher dringend "in Richtung Vereinigte Staaten von Europa weiterentwickelt werden", empfahl Fitoussi.
Offene Fragen
Wie schnell ein Währungsfonds eingerichtet werden kann, ist allerdings unklar. Fitoussi sprach von einem mittelfristigen Ziel. DB-Chefvolkswirt Mayer meinte hingegen, es dürfte "nicht so fürchterlich lange dauern", einen EWF aufzubauen. Der Prozess sei seit der Krise in Griechenland bereits im Gange, nun müsse das Ganze institutionalisiert werden. Die EU-Kommission selbst rechnet aber nicht mit einer kurzfristigen Umsetzung der Pläne. Denn neben dem rechtlichen Problem durch den Lissabon-Vertrag sind weitere wichtige Fragen bislang noch offen. Neben der ungeklärten Finanzierung bleibt auch noch offen, ob ausschließlich die 16 Euro-Länder Finanzhilfen in Anspruch nehmen könnten - oder alle 27 EU-Staaten.
Die EU-Kommission sei grundsätzlich bereit, einen eigenen Hilfsfonds vorzuschlagen, sagte ein Sprecher in Brüssel. Wegen der rechtlich unklaren Lage sei aber ein langwieriges Prozedere zu befürchten. Auch IMK-Chef Horn unterstrich, dass es "politisch äußerst schwierig" werde, für eine gemeinsame Verantwortung in einem gemeinsamen Binnenmarkt in der Bevölkerung Zustimmung zu gewinnen.
Mehr als 30 Jahre dürften nach dem erneuten Vorstoß in Sachen EWF aber wohl nicht wieder ins Euroland ziehen, bevor eine Entscheidung gefällt wird.