ESM-Chef Regling "Die Eurozone muss robuster werden"
Deutschland und Frankreich wollen den EU-Rettungsschirm ESM ausbauen. Im Interview mit tagesschau.de plädiert ESM-Chef Regling dafür, die Eurozone robuster zu machen - und schlägt konkrete Instrumente vor.
tagesschau.de: Der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel wollen den Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) zu einem Europäischen Währungsfonds ausbauen. Was könnte der leisten?
Klaus Regling: Es geht um die Frage: Wie können wir weiter helfen, die Eurozone robuster zu machen und weniger krisenanfällig? Dafür sind neue Instrumente vorstellbar, die bereits diskutiert werden, wie der sogenannte "Backstop", die letzte Absicherung für den Bankenfonds. Und wir sollten dafür sorgen, dass die Bankenunion generell vervollkommnet wird. Das sind Dinge, die ein erweiterter ESM tun könnte - den Mechanismus einfach nur auszubauen, ist kein Ziel an sich.
tagesschau.de: Was ist notwendig aus Ihrer Sicht?
Regling: Die makroökonomische Stabilisierung ist ein Schlagwort, das oft missverstanden wird. Sie dient dazu, dass kleine Krisen, die es nun mal gibt in einem großen Währungsraum, sich nicht zu einer größeren Krise weiterentwickeln. Für große Krisen haben wir das bewährte Instrumentarium ESM. Das ist gut, aber es geht auch darum, dass man kleine Krisen schon im Ansatz angeht.
Der ESM soll in Not geratenen Ländern, die sich nicht mehr am Finanzmarkt finanzieren können, helfen. Wertpapierhändler aus aller Welt arbeiten dort, eine ihrer Hauptaufgaben ist, Anleihen aufzulegen. Pensionsfonds oder Banken investieren in solche Anleihen, die als besonders sicher gelten, weil die Eurostaaten dafür als Sicherheit 80 Milliarden Euro Cash als Garantie hinterlegt haben. Wegen dieser Sicherheit bekommen die Investoren relativ niedrige Zinsen, zum Beispiel nur 0,75 Prozent. Der ESM gibt die Einnahmen und den niedrigen Zinssatz im Wesentlichen an den notleidenden Staat weiter, der sich so extrem günstig finanzieren kann.
In Zukunft soll der ESM deutlich mehr Aufgaben übernehmen. Dazu soll gehören, die Entwicklung in den Ländern zu überwachen und u.a. bei kleineren oder auch unverschuldeten Krisen mit kurzfristigen und günstigen Krediten helfen können.
tagesschau.de: Viele kritisieren ja, dass in die Rettung der Krisenländer Südeuropas unheimlich viel Geld gesteckt wurde.
Regling: Das stimmt natürlich, es ist in der Tat viel Geld geflossen. Aber das geschah ohne Belastung der deutschen und der europäischen Steuerzahler - es gibt keine "Transferunion". Denn es handelt sich um Kredite, die zurückgezahlt werden müssen und einige haben auch bereits angefangen, diese vorzeitig zurückzuzahlen. Spanien hat beispielsweise bereits ein Drittel seines Kredits an den ESM vorzeitig zurückgezahlt.
Hätte es diese Rettungsschirme nicht gegeben, hätten vermutlich zwei oder drei Länder aus dem Euroraum austreten müssen. Wenn dies geschehen wäre, würde Europa heute anders aussehen.
Regling war oft zu Gast in Griechenland - hier bei Ministerpräsident Tsipras -, das besonders vom ESM unterstützt wurde.
tagesschau.de: Sie sind ja schon lange in verschiedenen Funktionen an der Entwicklung der Währungsunion beteiligt. Wenn Sie heute den Zustand Europas bewerten: Wie steht die Union im Verhältnis zu den Anfängen? Wo sind wir angekommen?
Regling: Wir hatten durch die Eurokrise eine schwierige Situation und wir müssen uns ändern. Ich erinnere mich gut an die politischen und die Währungskrisen in Europa in den frühen 1980er-Jahren, wo zum Beispiel durch eine Krise in Mexiko - die sogenannte Tequila-Krise - die Wechselkurse in Europa kräftig durcheinandergewirbelt wurden.
Innerhalb von Wochen wertete die D-Mark gegenüber der italienischen Lira um 25 Prozent auf. Da konnte VW keine Autos mehr in Italien verkaufen, weil Fiat einfach günstiger war. Und die bayerischen Milchbauern konnten nicht mehr konkurrieren mit den süditalienischen Milchbauern. Das ist alles ein bisschen in Vergessenheit geraten.
In den frühen 1990er-Jahren hat die Bundesbank mit zehn Milliarden D-Mark interveniert, um den französischen Franc im Wechselkursmechanismus zu halten. Wer glaubt, wir haben nur Krisen, seit es den Euro gibt, und davor war alles eitel Sonnenschein, der irrt sich gewaltig. Manchmal vergisst man das Unangenehme auch leichter als das Angenehme. Es gab auch früher schon Krisen und ich denke, dass wir heute mit dem Euro besser da stehen als früher.
Das Interview führte Michael Grytz, ARD-Studio Brüssel