EU-weites Verbrenner-Aus Rom will Ausnahmen für Biokraftstoffe
Nach langem Ringen schien das EU-weite Aus des Verbrennungsmotors besiegelt - doch nun kommt Widerstand aus Italien. Die Regierung will das Paket aufschnüren. Wie viel Druck macht die Wirtschaft?
Jeden Morgen wird den Italienerinnen und Italienern politisch der Puls gemessen. Dann schaltet das erste Hörfunkprogramm der RAI in der Sendung "Radio anch'io" (zu Deutsch: "Radio, ich auch") seine Leitungen frei, damit die Hörerinnen und Hörer ihre Meinung zum Thema des Tages loswerden können. Emotionen sind dabei garantiert. Selten aber schwappte so viel Empörung aus dem Radio wie nach dem von der Europäischen Union beschlossenen Aus für Autos mit Verbrenner-Motor, trotz der am Ende eingearbeiteten Kompromisse - Stichwort: E-Fuels.
In Sachen E-Mobilität ein Entwicklungsland
"Also, hört mal her", sagt ein Mann, der sich als "Maurizio aus der Provinz Ancona" vorstellt. Alle würden "von diesen Elektroautos" reden, aber "ich fahre jetzt einen Panda, ein Elektroauto würde mich in der Anschaffung dreimal so viel kosten". Davide aus Mailand dagegen beklagt, wie "Europa darauf kommen" könne, "Benzinautos zu verbieten, wenn China, Indien, die USA so viel verschmutzen wie sie wollen". Und eine Frau schimpft über die wenigen Ladestationen im Land, die Elektromobilität in Italien bislang unmöglich machten.
In Italien trifft der Brüsseler Beschluss für neue Autos ab 2035 auf eine Nation, die in Sachen E-Mobilität noch Entwicklungsland ist. Mit einem Anteil an Elektroautos von nur 0,3 Prozent erreicht Italien derzeit nicht einmal die Hälfte des europäischen Durchschnitts. Beim Netz an Ladestationen sieht es ähnlich schlecht aus.
Rom setzt auf "Nachspielzeit"
Angesichts des jetzigen Aufschreis hat die Regierung in Rom den Landsleuten eilig versprochen, den gerade getroffenen Beschluss noch einmal nachzubessern. Stoßrichtung laut Umweltminister Gilberto Pichetto Fratin: Nachdem die Deutschen ein Zugeständnis bekommen haben in Sachen E-Fuels, will Italien auch eine Ausnahme für Biokraftstoffe.
Von Seiten der Europäischen Kommission und des Rats habe es, so die Interpretation Pichetto Fratins, bereits eine Öffnung "in Sachen technologischer Neutralität" gegeben. Speziell beim Thema Biokraftstoffe möchte Italien dies nun "in den nächsten Monaten vertiefen". Klarer ausgedrückt: Italiens Regierung will in der Debatte über das Verbrenner-Aus eine "Nachspielzeit", um grünes Licht auch für Biosprit zu bekommen.
Umweltschützer haben kein Verständnis
Die Umweltschützer im Land schütteln darüber den Kopf. Federico Spadini von Greenpeace Italien kritisiert: "Die Regierungen, und besonders unsere in Italien, versuchen alles, um auf Zeit zu spielen und Schlupflöcher zu schaffen und so einen wirklichen Wandel der Automobilindustrie zu bremsen."
Auch in der Sache stellt sich der italienische Umweltaktivist Spadini gegen das Drängen der Regierung in Rom auf eine weitere Ausnahme beim angestrebten Verbrenner-Aus. Biokraftstoffe, meint Spadini, würden Feinstaub freisetzen, der gesundheitsschädlich sei. Zudem gebe es "ganz wenig Biokraftstoffe, die wirklich nachhaltig sind". Sie würden in der Regel produziert durch Pflanzenanbau, was Auswirkungen auf den Boden und das Klima habe. Vor allem aber würden sie, sagt Spadini, "der Lebensmittelproduktion Konkurrenz machen und damit Menschen Möglichkeiten nehmen, sich zu ernähren".
Machen ENI, Fiat & Co. Druck?
Ein Grund, warum Italiens Regierung beim Verbrenner-Verbot jetzt auch eine Ausnahme für Biokraftstoffe will, sieht Spadini im Staatskonzern ENI. Italiens größtes Energieunternehmen hat in den vergangenen Jahren viel Geld in die Entwicklung von Biokraftstoffen gesteckt. Und Italien ist nicht nur Standort von Fiat, sondern auch Heimat wichtiger Zulieferer für die Verbrennerauto-Industrie weltweit.
Umweltschützer Spadini aber sagt, Italien sollte, statt auf neue Schlupflöcher zu hoffen, endlich mehr tun, um den Umstieg zur E-Mobilität zu unterstützen. Dass es im Land einen so niedrigen Anteil an E-Autos gebe, meint der Greenpeace-Aktivist, "liegt auch daran, dass Italien als eines der wenigen Länder alle möglichen Autos fördert, auch schadstoffreiche". Die Politik aber, sagt Spadini, müsse beim Umstieg auf Elektroautos die Richtung vorgeben, damit neue Mobilitätsmodelle Fuß fassen können.