Neuartiges Geothermie-Kraftwerk Energie aus heißem Gestein in der Tiefe
Südlich von München entsteht ein Geothermie-Kraftwerk mit besonderer Bohrtechnik. Aus 4.500 Metern Tiefe soll Energie gewonnen werden. Experten sehen neue Chancen für die Stromerzeugung.
Seit Oktober 2022 laufen im oberbayerischen Geretried die Vorbeitungen für den Bohrplatz. Im Juli beging die kanadische Firma Eavor Technologies dann die sogenannte Meißelweihe zum Start der Bohrungen. Doch begonnen hat es eigentlich noch viel früher: Bis in die Rekordtiefe von 6.000 Metern waren erste Bohrungen auf der Suche nach heißem Wasser bereits vor zehn Jahren vorgedrungen. 2013 war es eines der tiefsten Bohrlöcher Europas. Wasser wurde damals nicht gefunden - aber heißes Gestein.
Heiße Steine erhitzen Wasser
Diese Gesteinsschichten im sogenannten oberbayerischen Molassebecken wolle die Firma jetzt als Tiefen-Wärmetauscher zur umweltfreundlichen Energiegewinnung nutzen, erklärt Daniel Mölk, der Projektleiter für das Geothermie-Kraftwerk. Die Technik ist neu und wurde bisher nur in einer kleinen Versuchsanlage in der Nähe von Calgary in den Rocky Mountains getestet.
Dabei werden in etwa 4.500 Metern Tiefe eine Vielzahl von horizontalen Röhren, die sogenannten Loops, ins Gestein gebohrt. Dann wird Wasser in die Tiefe geleitet. Dieses Wasser erhitzt sich in dem bis zu 170 Grad heißen Gestein und kommt mit einer Temperatur von bis zu 120 Grad Celsius wieder an der Oberfläche an. Möglich wird diese Technik dadurch, dass der Untergrund geologisch bestens erforscht ist. Die Betreiber hoffen, dass an den Schnittstellen der Röhren im Untergrund kein Wasser austritt.
Vielversprechende Technik
Die Anlage soll als grundlastfähiges Kraftwerk zur Stromgewinnung betrieben werden. In einem weiteren Schritt soll die Stadt Geretsried mit ihren 25.000 Einwohnern an die Fernwärme angeschlossen werden. Im Endausbau soll die Anlage 8,2 Megawatt Strom und 64 Megawatt thermische Energie liefern. Die Loops im Gestein bilden ein geschlossenes Röhrensystem von insgesamt 80 Kilometern Länge. Die erste von insgesamt vier geplanten Röhren soll im Herbst 2024 fertiggestellt werden.
Sollte die neue Technik funktionieren, wäre nach Einschätzung von Geowissenschaftlern in vielen Teilen Deutschlands Wärmegewinnung mit dem "Eavor Loop" möglich. Inga Moeck ist eine der führenden Wissenschaftlerinnen für Geohydraulik und Geothermik in Deutschland und lehrt an der Universität in Göttingen. Mit der neuen Technik könne, "wenn sie funktioniert", fast überall in Deutschland Tiefenwärme gewonnen werden, sagt sie. Ausnahmen bildeten der Oberrheingraben oder andere erdbebengefährdete Gebiete. Der Schlüssel für diese Form der Energiegewinnung liege in den neuen Bohrtechniken, die das kanadische Unternehmen entwickelt hat.
Scholz und Söder besuchen die Baustelle
Das Unternehmen Eavor Technologies wurde 2017 in Kanada von Spezialisten aus der Energiewirtschaft gegründet. Zahlreiche Patente in der Bohrtechnik sind die Grundlage für das geschlossene System des "Eavor Loop". Bei einem Besuch der Baustelle wollen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) heute auch kanadische Politiker und Techniker treffen.
Manche Experten glauben, dass diese Technik Lücken bei der Energieversorgung mit sauberer, emissionsfreier Energie schließen könnte. Die Baukosten der Anlage werden auf 250 bis 300 Millionen Euro beziffert. Die Europäische Kommission unterstützt das Vorhaben mit rund 92 Millionen Euro aus einem Innovationsfonds.