Silhouette einer Ölpumpe auf einem Ölfeld.

Übernahmen in der Ölbranche Warum Konzerne noch auf fossile Energie setzen

Stand: 06.11.2023 08:12 Uhr

Weltweit haben sich Staaten und Unternehmen bis 2050 zur Klimaneutralität verschrieben - so auch die USA und deren großen Ölkonzerne. Doch warum wettet die Industrie dann weiter auf fossile Energieträger?

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

In der US-Ölbranche häufen sich derzeit die milliardenschweren Übernahmen. Nachdem vor ein paar Wochen ExxonMobil den Kauf des Fracking-Spezialisten Pioneer Natural Resources für fast 60 Milliarden Dollar angekündigt hatte, folgte kurz darauf Chevron. Der Konzern will den Konkurrenten Hess für 53 Milliarden Dollar übernehmen - laut Analysten aus strategischen Gründen. Dabei plant nicht nur die USA bis 2050 klimaneutral zu sein, sondern auch die beiden Ölriesen wollen bis dahin Netto-Null-Emissionen erreichen. Wie passt das zusammen?

Rendite höher als bei Erneuerbaren Energien

"Die eindeutige Antwort ist Rendite", sagt Andreas Schröder, Leiter der Energieanalyse beim Energiemarktforscher ICIS, im Gespräch mit tagesschau.de. "Sowohl die Windkraftindustrie als auch die Wärmepumpenindustrie befinden sich in einem schwierigen Markt mit hohem Kostendruck." Ein Beispiel sei der Energiekonzern Siemens Energy, der mit der Bundesregierung schon über staatliche Garantien verhandelt. Beim Öl dagegen sei die Rendite weitaus höher - auch wegen der gestiegenen Preise.

Seit Monaten klettern die Rohölpreise wegen der Förderkürzungen von Produzenten wie Saudi-Arabien und Russland nach oben. Im Sommer hatte die Internationale Energieagentur (IEA) daher vor einem zu geringen Ölangebot im Jahresverlauf gewarnt. Unter anderem deshalb waren die Preise im September zeitweise auf 100 Dollar pro Barrel gestiegen. Auch wenn sie seitdem wieder etwas gesunken sind, bleiben sie auf einem hohen Niveau. Denn auch der Krieg zwischen Israel und der Hamas sorgt für Unsicherheit auf dem Ölmarkt.

Zwar waren die Ölkonzerne zuletzt nicht so erfolgreich wie im vergangenen Jahr, als die Preise wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Corona-Pandemie zeitweise mehr als 120 Dollar pro Barrel erreichten. Doch sie machen weiterhin Milliardengewinne und haben dank der Rekordergebnisse 2022 enorme Bargeldreserven angehäuft. "Das zahlen sie einerseits in Boni und Dividenden aus, schlucken aber andererseits Konkurrenten, die ihnen gefährlich werden könnten", erklärt Schröder.

Nachfrage nach Öl hält weiter an

"Das Öl ist ein attraktives Geschäft geworden beziehungsweise ist es immer noch", sagt auch Andreas Löschel, Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomik sowie Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum, gegenüber tagesschau.de. Die Preissprünge während der Energiekrise hätten das Geschäftsmodell in den Augen vieler noch einmal um ein oder zwei Jahrzehnte verlängert. "Wir sehen, dass nicht nur die Investitionen in Erneuerbare Energien massiv gewachsen sind, sondern auch die Investitionen in die Öl- und Gas-Infrastruktur wieder gestiegen sind."

"Die aktuell gestiegenen Ölpreise haben keinen signifikanten Einfluss auf die Strategie", meint dagegen der Leiter der Redaktionsgruppe "Energie für Deutschland" des Berliner Weltenergierats, Hans-Wilhelm Schiffer. Vielmehr sei es die prognostizierte Nachfrage nach Öl, die die Konzerne bei den Übernahmen antreibe. "ExxonMobil etwa rechnet damit, dass im Jahr 2050 mehr Öl und Erdgas verbraucht wird als heute und der Anteil allein dieser beiden fossilen Energieträger noch mehr als 50 Prozent des gesamten Primärenergieverbrauchs ausmacht", erklärt der Experte.

Auch Schiffer selbst schätzt, dass der weltweite Verbrauch an Öl - anders als bei Kohle - zunächst noch ansteigt. Allerdings könnte der Höchststand noch vor dem Jahr 2030 erreicht werden. Ab dann sei eher mit einem Rückgang der globalen Nachfrage zu rechnen. "Mit dem Ergebnis, dass sich der Anteil fossiler Energien am globalen Primärenergieverbrauch von heute 80 Prozent bis 2050 auf 40 bis 45 Prozent verringern dürfte."

Industrieprozesse teilweise nur schwer elektrifizierbar

Doch bis dahin vergehe noch eine lange Zeit, meint Löschel. "Zwar wachsen die Erneuerbaren Energien sehr schnell. Trotzdem besteht die Gefahr, dass das Niveau beim Öl noch längere Zeit hoch bleibt." Denn die Investitionen in den Klimaschutz beträfen vor allem die Stromerzeugung. Viele Industrieprozesse seien dagegen etwa aufgrund von hohen Temperaturen nur schwer elektrifizierbar, weil alternative Lösungen wie Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe noch in weiter Ferne liegen.

"Auf Grundlage der aktuellen Regierungspolitik und Markttrends" prognostiziert die IEA in ihrem aktuellem Jahresausblick, dass die globale Ölnachfrage bis zum Jahr 2028 noch auf rund 106 Millionen Barrel pro Tag steigen wird. "Wir sind da ganz bei der IEA: Die Ölnachfrage wächst vor 2030 noch an", sagt ICIS-Experte Schröder. Treiber seien vor allem die Luftfahrt, Petrochemie und die Schifffahrt.

Die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) erwartet derweil, dass die weltweite Nachfrage noch bis zum Jahr 2045 auf 116 Millionen Barrel pro Tag ansteigen wird - das wären 16,5 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Das Wachstum dürften dann vor allem Indien, China und andere asiatische Länder sowie Afrika und der Nahe Osten tragen.

Konzerne wollen sich Vorkommen sichern

"Gerade in den Schwellen- und Entwicklungsländern könnte es eine Hinwendung zum Öl geben", erklärt Löschel. Das wäre wohl auch ein Ergebnis der vergangenen Monate, in denen Preise und Verfügbarkeit auf dem globalen Markt anders als beim Gas recht stabil gewesen seien. "Die etwas ärmeren Länder wollen an unserem Wohlstandsmodell partizipieren - und das ist nun einmal energieintensiv", ergänzt Schröder. Um die anhaltende Nachfrage zu bedienen, wollen sich die Konzerne gerade bei den aktuellen Preisen Ölreserven sichern.

Chevron bekommt mit der Übernahme von Hess Zugang zu einem besonders vielversprechenden Vorkommen vor der Küste von Guyana. Der Beratungsfirma Rystad Energy zufolge könnte das südamerikanische Land bis 2030 schneller wachsen als jeder andere Produzent außerhalb der OPEC.

Dazu hat Hess Förderstätten im US-Bundesstaat North Dakota, zwischen Malaysia und Thailand und im Golf von Mexiko. Pioneer wiederum hat Zugriff auf große Vorkommen im texanischen Permbecken, was das Unternehmen zum Ziel von ExxonMobil gemacht haben dürfte.

Was bedeutet das alles nun für den Klimaschutz?

"Meines Erachtens ist die Transformation der Energieversorgung auf einem guten und aussichtsreichen Weg", meint Energieexperte Schiffer. Während in den vergangenen Jahrzehnten die fossilen Energieträger den größten Teil des Zuwachses im globalen Energieverbrauch gedeckt hätten, würden nun die Erneuerbaren Energien ihren Einsatz nach und nach ersetzen. Es bestehe "durchaus die gute Chance, dass der Anstieg der Temperaturen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf weniger als zwei Grad Celsius" begrenzt werden könnte.

Ökonom Löschel ist deutlich skeptischer: "Die Szenarien der IEA auf Basis aktueller Politiken sind nicht in Linie mit dem Netto-Null-Szenario." Eigentlich müsse der Ölverbrauch schon bis Ende des Jahrzehnts um ein Viertel sinken, was augenblicklich nicht der Fall sei - sondern eher das Gegenteil. "In den Industrieländern passiert es nicht so schnell wie erhofft, und in anderen Regionen der Welt schaut es noch einmal ganz anders aus." Diese Länder bräuchten dringend Unterstützung bei der Energiewende.

"Es klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit", resümiert auch ICIS-Fachmann Schröder. Die Klimaambitionen und privaten Investitionen gingen derzeit nicht in die gleiche Richtung. Das liege daran, dass die Unternehmen ihren Aktionären und Angestellten verpflichtet sind und nicht dem Klima. Die Politik müsse es daher schaffen, durch staatliche Lenkung Anreize zu geben: sprich teurere fossile und günstigere Erneuerbare Energie.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. November 2023 um 04:53 Uhr.