Teure Elektroautos Große Reichweite nur mit viel PS?
Elektroautos haben zuletzt einen Boom erlebt. Doch wer mit ihnen viele Kilometer schaffen will, muss tief in die Tasche greifen. Betreiben die Hersteller eine falsche Modellpolitik?
Der Bürgermeister von Dormagen, Erik Lierenfeld (SPD), ist seit Kurzem mit einem Mercedes EQS 450+ unterwegs. Der Kaufpreis für das E-Auto liegt bei fast 130.000 Euro. Viele Bürger sind entsetzt. "Es musste ein Fahrzeug sein, was rund 500 Kilometer Reichweite hat", erklärt Lierenfeld gegenüber dem WDR. Autos mit großen Reichweiten seien kaum in kleineren und günstigeren Ausführungen zu haben. Stimmt das?
Mit 783 Kilometern gehört der Mercedes auf dem Markt der Elektroautos zu den Fahrzeugen mit der größten Reichweite. Doch auch andere Modelle - etwa von BMW, Hyundai, Tesla und Ford - versprechen mehr als 600 Kilometer Reichweite. Das Problem: Sie alle sind verhältnismäßig teuer. Zwischen 49.000 und 143.000 Euro müssen Käufer für die sieben reichweitenstärksten E-Autos bezahlen.
44 Prozent der zugelassenen E-Autos sind SUV
An der Modellpolitik der Hersteller gibt es Kritik. "Es ist ein großer Fehler, wenn die Automobilindustrie nicht Angebote von bezahlbaren, ressourcenleichten und klimafreundlichen Autos macht", sagt Winfried Hermann, grüner Verkehrsminister in Baden-Württemberg, gegenüber dem ARD-Magazin Plusminus. Es brauche mehr bezahlbare E-Autos, ansonsten verhindere die Industrie den Wechsel zur Klimaneutralität.
Dass viele Elektroautos in Deutschland so teuer sind, liegt auch am Nachfrageverhalten der Deutschen. Zwar wurden Jahr 2022 mehr kleine E-Autos zugelassen als Mittelklassewagen. Doch der Anteil von Elektro-SUV war am größten. Das geht aus Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) hervor. Laut einer Studie des Center of Automotive Management (CAM) waren im vergangenen Jahr 44 Prozent aller neuzugelassenen E-Autos SUV.
Autohersteller stärken das Luxussegment
Das liegt teilweise auch am Produktangebot. "Wir sehen eine klare Tendenz, dass die Automobilhersteller eher auf größere Fahrzeuge setzen, auf spezielle Modesegmente wie SUV, die teuer sind", sagt Stefan Bratzel, Direktor des CAM. Denn dort sei die Marge besonders hoch.
Aus Sicht der Hersteller rechnet sich diese Strategie. Mercedes-Benz hat beispielsweise im vergangenen Jahr rund 14,8 Milliarden Euro verdient - rund ein Drittel mehr als im Vorjahr. "Wir wollten das Luxusgeschäft stärken. Bei den Top-Modellen hatten wir ein erhebliches Wachstum", sagt Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender bei Mercedes.
PS-Stärke als Klimabelastung
Wer viel Reichweite haben möchte, muss auch viel PS in Kauf nehmen. Zwischen 231 und 544 PS haben die sechs E-Autos mit der größten Reichweite auf dem Markt. Lediglich ein Modell von Hyundai liegt mit 151 PS bei einer Reichweite von über 600 Kilometern darunter.
Die PS-starken Autos sind nicht nur teuer, sondern auch klimaschädlich, behauptet Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann: "Die Herausforderung besteht deshalb darin, dass man einfachere und klimaneutrale Autos herstellt." Nicht jedes Auto müsse 200 Kilometer pro Stunde fahren können.
Schwere Autos haben höheren Stromverbrauch
Und: Elektro-SUV sind ökologisch nicht wirklich effizient. "Je schwerer das Auto ist, umso größer ist der Stromverbrauch", sagt Sven Bauer, Chef des deutschen Batterieherstellers BMZ. Idealerweise nehme man ein kleines Auto und eine Batterie, mit der man sicher 500 Kilometer fahren könne. "Aber der Deutsche mag gar keine kleinen Autos. Er will immer größer und größer", so Bauer.
Die Reichweite von E-Autos wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Die Geschwindigkeit, die Fahrweise und die Temperatur haben großen Einfluss. Auch die Größe und das Gewicht des Autos wirken sich auf die Reichweite aus. In der Realität weichen die Reichweiten oft von denen ab, die der Hersteller angibt. Die offiziellen Reichweiten-Angaben seien wenig wert, bestätigt auch der ADAC.
Rund ein Drittel mehr Elektro-Zulassungen
Trotz immer noch vorhandener Skepsis in der Bevölkerung gab es im vergangenen Jahr einen Elektro-Boom. Knapp 470.000 E-Autos wurden neu zugelassen. Das sind so viele wie nie zuvor - ein Plus von mehr als 30 Prozent im Vergleich zu 2021.
Zwischen Berlin und Brüssel wird derweil über die Frage gerungen, ob Autos mit einem Verbrennermotor nach 2035 in der EU überhaupt noch neu zugelassen werden dürfen. Bis dahin wird sich viel auf dem E-Automarkt verändern. Vielleicht gibt es dann auch günstigere Autos, die hohe Reichweiten schaffen.
Über dieses Thema berichtete das Erste in "Plusminus" am 22. März 2023 um 21.45 Uhr.