"Vertical Farming" Erdbeeren, die in den Himmel wachsen
Die Idee des Vertical Farming, also des Obst- und Gemüseanbaus in die Höhe, stammt ursprünglich aus den USA und verbreitet sich weltweit. Eine besonders große Farm steht nahe New York.
"Hören Sie das?", fragt Henry Sztul. Eine Farm kann sich nach Natur anhören. Sie kann aber auch klingen wie eine Klimaanlage. Die Bowery Farm vor den Toren der Millionenmetropole New York ist nicht nur zu hören, meint Chef-Wissenschaftler Sztul. "Das erste, was du merkst, ist der Geruch. Du merkst, dass das hier eine Farm ist." Allerdings kann man das erst riechen, wenn man von draußen in die große Halle tritt, in der sich die Bowery Farm am Rande eines Industriegebiets erstreckt: und zwar in die Höhe.
Erdbeeren, Salate und Kräuter wachsen in bis unter die Decke, unter einem Himmel von LED-Leuchten, sorgsam belüftet - im Etagenbeet. Die mobilen Lagerregale gelenkt von künstlicher Intelligenz, erklärt Sztul. "Wo züchtest du den Kopfsalat, wo den Rucola? Auf welcher Höhe wächst das Basilikum am besten? Da kommt unsere Technologie dann ins Spiel - und hilft uns, diese Entscheidungen zu treffen."
Weniger Fläche, weniger Wasser - aber mehr Energie
Gehegt und geerntet werden die Pflänzchen von Menschen in Laborkitteln, mit Gummihandschuhen und Hauben. Denn so eine Hochbeet-Farm muss keimfrei sein. Sie kommt ohne Pestizide aus. Seine Nährstoffe bekommt das Bio-Grünzeug in der Vertikalen über das Wasser. Davon braucht es 90 Prozent weniger als auf dem Feld. "In dieser vertikalen Farm können wir auf derselben Landfläche hundertmal so produktiv sein wie eine herkömmliche Farm", sagt Sztul. "Auch unser Wasserverbrauch ist viel geringer als auf einer Outdoor-Farm."
Mehr mit weniger zu produzieren - das sei das Ziel einer vertikalen Farm, sagt der Chef-Forscher. Die Erntezyklen seien völlig ausgehebelt: "Auf einem traditionellen Feld hast du vielleicht drei oder vier Zyklen im Jahr. Wir pflanzen und ernten hier jeden Tag. Auf eine Weise sind wir mehr eine Fabrik als eine Farm", so Sztul. Mehr als fünfeinhalb Tonnen Gemüse pro Tag erzeugen die bald fünf Farmen, die Bowery bereits an der Ostküste hat.
Ein Problem: Vertical farming ist energieintensiv. Hier vor den Toren von New York aber kommt der Strom in der Regel aus erneuerbarer Energie: ein unschlagbarer ökologischer Fußabruck, meint Sztul. Die Produkte landeten wenige Stunden nach der Ernte in einem der nahegelegenen New Yorker Lebensmittelmärkte. "Unsere Produkte schaffen es noch am Tag der Ernte bis in den Kühlschrank unserer Kundschaft. Damit kürzen wir die Versorgungskette um Wochen ab." 90 Prozent des Salats würden normalerweise aus Kaliornien, Arizona und New Mexico herangekarrt. Dieser hier werde direkt vor der Haustür der New Yorker gezüchtet.
"Das erste, was du merkst, ist der Geruch": Chef-Wissenschaftler Henry Sztul findet, dass seine vertikal angebauten Erdbeeren besonders gut schmecken.
Ein Zukunftskonzept für mehr Autarkie
Bowery ist nicht die erste Vertikale Farm in den USA - aber in den sieben Jahren, seit es sie gibt, ist sie zur größten gewachsen. Ihre Produkte landen in mehr als 1400 Läden entlang der Ostküste. Der Markt nehme seit drei Jahren auch in Europa und Asien mächtig an Fahrt auf, sagt die Vorstandsvorsitzende des globalen Verbands für Vertikale Landwirtschaft, Christine Zimmermann-Lössl. "Jetzt hat man es halt viel mehr nachvollziehen und verstehen können, wie wenig sicher unsere Versorgungsketten sind und jetzt will man lokale Produktion", erklärt sie.
Farm-Fabriken statt Bauernhöfe - 1935 gab es noch knapp sieben Millionen Farmen in den USA. Vor zwei Jahren waren es noch zwei Millionen. Für einige ist das eine gespenstische Vorstellung. Doch Indoor-Farmen könnten die regulären ohnehin nie ganz ersetzen, sagt die Münchnerin Zimmermann-Lössl. "Es ist ein Teil der Zukunft der Landwirtschaft und nicht nur in Millionenstädten. Auch in Gegenden mit harschem Klima", sagt sie und nennt Dubai und Singapur als Beispiel. Dort wachse einfach nicht viel, und es sei viel zu wenig Fläche für landwirtschaftliche Produktion da, um sich unabhängig zu machen. "Ein Umbruch", sagt daher auch Wissenschaftler Sztul. Er könne den Unterschied schmecken. "Super knackiger, leckerer Salat!"