November 2011 Griechenland schockiert die EU und die Märkte
Mit den Beschlüssen des EU-Gipfels war die Hoffnung verbunden, dass zumindest vorerst in Sachen Schuldenkrise Ruhe einkehrt. Doch das überraschend angekündigte Referendum in Griechenland stellt alles wieder in Frage - und stürzt das Land und die gesamte Eurozone, trotz der späteren Rücknahme der Pläne, noch tiefer in die Krise.
01. November 2011: Griechenlands Pläne für ein Referendum über die Euro-Hilfen löst Kursstürze an den Börsen aus. Europas Regierungen reagieren zunächst gar nicht und dann ratlos. Das Vorhaben stößt auch in Griechenland auf Kritik; die Mehrheit von Ministerpräsident Papandreou im Parlament schrumpft. Die HRE-Bad-Bank ist mit ihren Rechenproblemen nicht allein - auch Irland hat weniger Schulden als bisher kalkuliert.
02. November 2011: Zumindest in seinem Kabinett erhält Griechenlands Premier Papandreou Rückendeckung für die Referendumspläne. International sieht das ganz anders aus. In Deutschland sinkt die Zahl der Arbeitslosen weiter und Finanzminister Schäuble nennt die Milliardenpanne bei der HRE-Bad-Bank "ziemlich ärgerlich". Personelle Konsequenzen gibt es aber nicht.
03. November 2011: Die Euro-Staaten stoppen die Hilfskredite für Griechenland; die Ergebnisse des Krisentreffens mit den Euro-Staaten treiben Griechenlands Ministerpräsident Papandreou innenpolitisch in die Enge. Am Abend erklärt er, auf das Referendum verzichten zu wollen - doch das beendet das politische Chaos in Griechenland nicht. Auch Italien rückt wieder in den Fokus: Vor dem G20-Gipfel kann Premier Berlusconi in seinem Kabinett lediglich eher unverbindliche Sparpläne durchsetzen - und kündigt die inzwischen 52. Vertrauensfrage im Parlament an. Die Euro-Schuldenkrise ist inzwischen auch Thema in den USA - und überlagert den G20-Gipfel in Cannes völlig. In Frankfurt überrascht der neue EZB-Präsident Draghi die Märkte mit einer unerwarteten Leitzinssenkung.
04. November 2011: Italiens Regierungschef Berlusconi verliert offenbar die Mehrheit - ist aber davon gänzlich unbeeindruckt. Beim G20-Gipfel muss sein Land zusagen, die Finanzen nicht nur von der EU, sondern auch vom IWF überwachen zu lassen. Der G20-Gipfel beschließt eine Überwachung sogenannter Schattenbanken und mehr Kapital für wichtige Banken vorzuschreiben.
05. November 2011: Regierungschef Papandreou übersteht eine Vertrauensabstimmung, zeigt sich aber bereit, den Weg für eine Übergangsregierung frei zu machen. Der TUI-Konzern bereitet sich auf eine Währungsreform vor - der Reiseanbieter forderte griechische Hoteliers auf, Verträge für den Fall der Wiedereinführung der Drachme zu unterzeichnen. Die Ratingagentur Moody's senkt die Kreditwürdigkeit Zyperns erneut.
06. November 2011: Deutsche-Bank-Chef Ackermann macht sich für einen Marshall-Plan für das überschuldete Griechenland stark.
07. November 2011: Der neue EZB-Präsident Draghi lässt offenbar massiv Staatsanleihen aus Euro-Krisenländern kaufen. Die Euro-Finanzminister erhöhen den Druck auf Athen und Rom.
08. November 2011: Die deutschen Exporte legen im September überraschend zu.
09. November 2011: Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sagt 2012 eine konjunkturelle Abkühlung voraus - im günstigsten Fall soll die deutsche Wirtschaft noch um 0,9 Prozent wachsen. Italien muss an den Kapitalmärkten immer höhere Zinsen zahlen. Der griechische Ministerpräsident Papandreou verkündet seinen Rücktritt. Die Renditen italienischer Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit stiegen erstmals seit der Euro-Einführung auf mehr als sieben Prozent.
10. November 2011: Das Wachstum ist nahe Null, das Risiko einer Rezession besteht: Die EU-Kommission sagt für 2012 einen Absturz der Konjunktur in der EU voraus. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso warnt mit ungewöhnlich offenen Worten vor einer Spaltung der EU in die Eurozone und die zehn Nicht-Euro-Staaten. Trotz Krise und trotz einer Verspätung bei seinem Modell A350 boomt Airbus - und damit auch der Mutterkonzern EADS.
11. November 2011: Das auf Druck der EU zustande gekommene italienische Sparpaket nimmt eine wichtige Hürde: Der Senat, eine von zwei Parlamentskammern, stimmte der Gesetzesvorlage mit 156 zu zwölf Stimmen zu. Der Chef des Rettungsschirms EFSF mahnt Italien zur Eile. Das Land müsse schnellstmöglich eine funktionierende Regierung auf die Beine stellen, um die Märkte zu beruhigen, sagte Regling. Der EFSF sei bereit, Italien mit Krediten zu unterstützen. Der Italiener Lorenzo Bini Smaghi gibt seinen Posten im Direktorium der Europäischen Zentralbank vorzeitig ab und macht Platz für einen Franzosen. Der Ratingagentur S&P unterläuft Inmitten der europäischen Schuldenkrise ein kapitaler Fehler: Die Ratingagentur verschickte irrtümlich eine Mitteilung an einige Kunden, laut der Frankreich seine Top-Bonität verloren habe. Eine griechische Übergangsregierung unter Ministerpräsident Papademos wird vereidigt.
12. November 2011: Auch das italienische Abgeordnetenhaus billigt die von der EU geforderten Wirtschaftsreformen und macht so den Weg frei für den Rücktritt von Ministerpräsident Berlusconi.
14. November 2011: Italiens designierter Ministerpräsident Mario Monti kündigt an, den maroden Staatshaushalt zu sanieren. Eine Auktion italienischer Staatsanleihen scheitert zwar nicht - aber das Land muss Rekordzinsen anbieten. Bei der "Euro Finance Week" warnt Bundesbankpräsident Weidmann, es sei "keine Zeit mehr zu verlieren"; Finanzstaatssekretär Asmussen hält den Bankern vor: "Die Menschen trauen Ihnen nicht mehr." In den USA bricht ein ganzer Landkreis unter seiner Schuldenlast zusammen.
15. November 2011: Die Deutsche Bank akzeptiert im Streit um die Mitschuld an der Pleite von fünf US-Genossenschaftsbanken einen Vergleich: Sie zahlt den US-Behörden 145 Millionen Dollar. Die deutsche Wirtschaft wächst im dritten Quartal sogar wieder stärker - die EU-Wirtschaft nicht. Die EU nimmt Ratingagenturen und Spekulanten ins Visier. Erstmals werden auch AAA-Staaten der Eurozone mit steigenden Zinsen konfrontiert - die Märkte scheinen das Vertrauen mehr und mehr zu verlieren.
16. November 2011: Nachdem auch die Anleihen stabiler AAA-Staaten wie Österreich und Finnland unter Druck geraten sind, ist die Ratlosigkeit groß - EU-Kommissionspräsident Barroso sieht eine "systemische Krise" auf die Eurozone zukommen. Das Europaparlament warnt vor einer Spaltung der EU. Italiens neuer Premier Monti stellt sein Kabinett vor - die Regierung, die nicht scheitern darf. Hoffnungszeichen in der Krise kommen aus Irland - das Land, das als erstes unter den Rettungsschirm EFSF schlüpfen musste, ist auf gutem Weg. Das griechische Parlament spricht dem neuen Ministerpräsidenten Papademos das Vertrauen aus.
17. November 2011: Der griechische Staat wartet auf 60 Milliarden Euro nicht gezahlter Abgaben - diese Zahl geht aus dem ersten Bericht der EU-Taskforce hervor, den deren Leiter Reichenbach vorstellt. Die US-Ratingagentur Moody's senkt die Bewertung von zehn deutschen Landesbanken zum Teil deutlich. Um Anleger für spanische und französische Staatsanleihen zu finden, müssen die beiden Staaten erneut höhere Zinsen bezahlen.
18. November 2011: Die neue griechische Regierung setzt sich ehrgeizige Ziele: Im nächsten Jahr will sie laut Haushaltsentwurf das Defizit auf 5,4 Prozent drücken. Bundesbank und EZB stemmen sich gegen wachsenden Druck, die Schuldenkrise mithilfe der Notenpresse einzudämmen.
20. November 2011: Zwei Pensionsfonds reichen Klage gegen die Deutsche Bank und sechs weitere Banken ein. Sie werfen ihnen vor, falsche Angaben über den Zustand der Investmentbank MF Global gemacht zu haben, bevor diese Anfang November pleite ging.
21. November 2011: Die Ratingagentur Moody's droht Frankreich mit einer Abstufung der Bonitätsnote. Die EU-Kommission plädiert für Eurobonds, um die hohen Zinsen für einzelne Eurostaaten in den Griff zu bekommen. In den USA steht das Superkomitee, das einen Kompromiss im Schuldenstreit erarbeiten sollte, vor dem Scheitern.
22. November 2011: Das US-Superkomitee gibt endgültig auf. Arbeitgeberpräsident Hundt warnt vor einem "Herbeireden" einer Rezession. E.ON bleibt bei seinen Plänen, weltweit 11.000 Stellen zu streichen.
23. November 2011: Kanzlerin Merkel bekräftigte ihr Nein zu Eurobonds und kritisierte die EU-Kommission für ihre Vorschläge. EU-Kommissionspräsident Barroso stellt die Vorstellungen der Kommission für eine verschärfte Haushaltsüberwachung und die Einführung von Eurobonds vor und kritisiert Merkel ungewöhnlich deutlich. Deutschland bleibt bei einer Emission auf mehr als einem Drittel der Anleihen sitzen. Nach langem Weigern verpflichtet sich auch der griechische Konservative Samaras schriftlich, den Sparkurs der Regierung zu unterstützen. In den USA müssen sich die größten Banken erneut einem Stresstest unterziehen. Unerwünschte Rettung: Der Gründer des inzwischen verstaatlichten US-Rückversicherungskonzerns AIG verklagt die USA auf Schadensersatz. Der angeschlagene Netzwerkausrüster Nokia Siemens Networks will bis Ende 2013 ungefähr 17.000 Stellen abbauen.
24. November 2011: Frankreichs Präsident Sarkozy und Kanzlerin Merkel kündigen einen gemeinsamen Vorschlag zur Änderung der EU-Verträge an, um künftig Defizitsünder wirksam zu bestrafen. Die Ratingagentur Fitch stuft die Kreditwürdigkeit Portugals auf Ramschniveau herab. Die Ratingagentur Moody's stuft Ungarns Kreditwürdigkeit auf Ramschniveau herunter.
25. November 2011: Italien muss für neu ausgegebene Staatsanleihen Rekordzinsen zahlen. Die Ratingagentur Standard & Poor's stuft die Kreditwürdigkeit Belgiens herunter. Der drittgrößte Druckmaschinenhersteller der Welt, der deutsche Konzern Manroland, meldet Insolvenz an.
28. November 2011: Die Bundesregierung dementiert Pläne für gemeinsame Anleihen der sechs Euro-Staaten mit der besten Bonität (AAA), sogenannte Elite-Bonds. Die Inflationsrate sinkt im November leicht auf 2,4 Prozent.
29. November 2011: Die Ratingagentur Fitch nimmt die Kreditwürdigkeit der USA ins Visier. Italien bekommt neue Kredite, muss aber den Investoren sehr hohe Zinsen anbieten. Das Bundesverfassungsgericht berät über die Rolle des umstrittenen Sondergremiums, das für den Bundestag Entscheidungen über Eurohilfen treffen soll. Die Euro-Finanzminister billigen die Stärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF einschließlich der Hebelung. American Airlines beantragt Gläubigerschutz. Die Ratingagentur Standard & Poor's stuft die Kreditwürdigkeit zahlreicher Banken in den USA und Europa herab.
30. November 2011: Die Europäische Zentralbank beschließt gemeinsam mit anderen führenden Notenbanken ein Hilfsprogramm für die Finanzmärkte, das vor allem die Versorgung europäischer Banken mit Dollar-Liquidität sicherstellen soll. Das portugiesische Parlament billigt den Sparhaushalt 2012. In Deutschland sinkt die Arbeitslosenzahl auch im November.