Interview

Großfusion bei Buchverlagen "Die Buchbranche ist aufgewacht"

Stand: 29.10.2012 17:43 Uhr

Die Fusion der Verlage Random House und Penguin kommt in einer Zeit, in der die Branche ohnehin im Umbruch ist. Sie muss sich dem technischen Wandel anpassen – welche Schritte sie unternimmt erklärt Stephan Lohr, Literaturchef bei NDRKultur, im Gespräch mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Die Fusion zwischen Random House und Penguin betrifft zwar nur den englischsprachigen Markt – hat sie trotzdem Auswirkungen auf den hiesigen Buchmarkt?

Stephan Lohr: Natürlich internationalisiert sich das Verlagswesen, sofern es sich um solche Größen handelt. Bücher werden heute in Indien gesetzt und in China gebunden, dann sind womöglich die Transportkosten der teuerste Faktor. Sollte die Fusion Bewegungen auf dem Buchmarkt auslösen, dann höchstens in diesem Bereich der Buchherstellung. Dass sich aber für den Endverbraucher, als den Buchkäufer spürbar etwas verändert, glaube ich nicht.

Zur Person

Stephan Lohr, Jahrgang 1950, leitet die Literaturredaktion von NDRKultur. Der studierte Germanist und Soziologe arbeitet seit 25 Jahren beim NDR. In diesem Jahr war er Mitglied der Jury des Deutschen Buchpreises.

tagesschau.de: Zu Random House gehören ja zahlreiche kleinere Unterverlage, beispielsweise Heyne, btb oder Goldmann. Bleibt denn deren Eigenständigkeit nach der Fusion gewahrt?

Lohr: Viele der klassischen deutschen Verlagsnamen, Rowohlt, Fischer, Kiepenheuer & Witsch, gehören zum Holtzbrink-Konzern. Sie sind trotzdem Verlage, die eigenständig geführt werden, sie haben eine eigene Verlagsleitung und sind autonom in ihrem Programm. Nur ganz wenige deutsche Verlage sind frei von solchen Konzernen, der CH Beck-Verlag beispielsweise, der Wagenbach-Verlag oder der Hanser-Verlag. Genau so ist es auch mit den Verlagen, die zum Bertelsmann-Konzern gehören. Ich gehe nicht davon aus, dass sich an deren Autonomie durch die Fusion etwas ändern wird.

Durch die Zugehörigkeit zu einem Konzern bekommen die Verlage aber eine ökonomische Sicherheit und bessere Konditionen bei der Herstellung der Bücher. Das ist in der Buchproduktionen nicht anders als bei Autokonzernen: Die Produktion wird günstiger, wenn man sie breiter aufstellt. Da werden in den großen Konzernen natürlich Synergien genutzt. Das halte ich auch für den Hauptgrund dieser Fusion.

Torsten Huhn, T. Huhn, NDR London, 29.10.2012 10:45 Uhr

"Die neue Ware heißt Content"

tagesschau.de: Zittert die Branche vor dem neuen Riesen?

Lohr: Ich glaube, der Buchhandel zittert nicht, sondern er wartet ab. Insgesamt gibt es aber eine generelle Entwicklung, die durch die Fusion verstärkt werden könnte. Auf den Buchmessen in Frankfurt oder Leipzig ist die eigentliche Ware nicht mehr das Buch selbst. Sondern dort geht es inzwischen vielmehr darum, den Content zu verkaufen, den Inhalt. Und zwar nicht mehr bloß als Buch, sondern er soll optimal vermarktet werden – als Serie oder als Film. Solche Strategien der Contentvermarktung haben international zugenommen. Diese Tendenz ist noch in den Anfängen, könnte sich durch einen Konzern wie Penguin House international verstärken, was man dann auch auf dem deutschen Markt spüren würde.

tagesschau.de: Kann diese Entwicklung einen Verdrängungseffekt haben, beispielsweise auf Stoffe, die sich eben weniger für eine solche Verwertung eignen?

Lohr: Bisher haben wir, bei allen Verdrängungen und Entwicklungen, die es gibt – und die unbestritten zu der Schließung mancher kleinerer Buchläden geführt hat – immer noch eine sehr lebendige Branche.

"Der Buchhandel als ganzes ist nicht hinreichend vorbereitet"

tagesschau.de: Vor welchen weiteren Herausforderungen steht denn der Buchmarkt in Deutschland?

Lohr: Der Buchmarkt steht vor allem vor zwei von der Technik vorgegebenen Herausforderungen. Von denen ist der Handel aber mehr betroffen als die Verlage. Das eine ist ein deutlicher Wandel vom gedruckten Buch zum E-Book. Im deutschsprachigen Bereich spielt dies zwar mit rund zwei Prozent der verkauften Werke noch keine nennenswerte Rolle, doch die Tendenz ist auch hier spürbar.

Das andere ist eine deutliche Verlagerung des Buchhandels ins Internet: Mehr als 15 Prozent aller verkauften Bücher werden online gekauft und nicht im Buchladen. Diese zwei Elemente bestimmen das Buchmarktgeschehen in Deutschland wesentlich. Das bedeutet Herausforderungen besonders für die Buchhandlungen, also sich selbst elektronisch so auszurüsten, dass sie selbst auch Verkäufer von E-Books werden können.

tagesschau.de: Ist der hiesige Buchhandel auf den technischen Wandel vorbereitet?

Lohr: Alle wissen, dass der Wandel stattfindet. Aber wahrscheinlich ist der Buchhandel als Ganzes nicht hinreichend vorbereitet. Es ist allerdings auch nicht ganz einfach, sich darauf richtig vorzubereiten. Wir beobachten im Moment, dass der klassische, gut sortierte Buchhandel kultureller Prägung aus den erstklassigen Einkaufslagen der Großstädte verschwindet, weil dort die Mieten zu teuer sind – wenn es sich nicht um eine der großen Ketten handelt.

Der Buchhandel muss sich über ein sehr gutes Angebot und durch hervorragende Beratung profilieren, damit die Leute weiterhin kommen. Es gibt dabei eine Entwicklung in Kooperation mit den Verlagen, die bisher noch mehr erhofft wird als dass sie tatsächlich bereits stattfindet: Der Buchladen soll zu einem Ort mit Eventcharakter werden – und von den Verlagen wird erwartet, dass sie künftig Titel veröffentlichen, die über ihre literarische oder informierende Qualität hinaus Publikum anziehen.

tagesschau.de: So wie beispielsweise Harry Potter?

Lohr: Das kann das Erscheinen eines Harry-Potter-Bandes sein, aber auch Autorenlesungen oder Buchpräsentationen. Der Eventcharakter als einzige Veränderung wird nicht reichen, um den Buchhandel zu retten. Aber man sieht an solchen Überlegungen, dass die Branche aufgewacht ist um wenigstens den Kern des sogenannten stationären Buchhandels zu retten. Der splittet sich aber auf in kleine Läden und große Ketten.

tagesschau.de: Stellen denn die großen Ketten eine echte Bedrohung für den mittelständischen Handel dar?

Lohr: Es ist so: Jede deutsche Buchhandlung ist unabhängig von ihrer Größe an die Buchpreisbindung gebunden. Außerdem können auch kleine Geschäfte über das gesamte Angebot der Literatur verfügen: Über den Zwischenbuchhandel ist jedes Buch von jedem Buchladen innerhalb eines Tages bestellbar – egal, ob in einer Kette oder in einem kleinen Laden. Mit diesen Instrumenten steht auch der kleine Buchladen um die Ecke im Vergleich zu den Ketten gut da.

Das Gespräch führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de