Folgen des Brexit EZB kommt Banken entgegen
Mit dem Brexit könnten Londons Banken den "europäischen Pass" und damit den Zugang zum europäischen Markt verlieren - das "Worst-Case-Szenario". Doch die EZB will den Banken entgegenkommen - stellt aber Forderungen.
Es ist ihr tägliches Geschäft, Risiken abzuschätzen, die die Banken Europas ins Straucheln bringen könnten. Für die Vize-Chefin der europäischen Bankenaufsicht, Sabine Lautenschläger, wird es aktuell besonders knifflig, denn die Kontrolleure müssen die Folgen des Brexit kalkulieren. Schon übermorgen will Großbritannien den Antrag auf den EU-Austritt stellen. Der ist dann unwiderruflich.
Die Bedingungen für die Trennung müssen zwischen den Regierungen ausgehandelt werden. Noch gibt es keine konkreten Absprachen. Aber: Die Auswirkungen auf die Bankenbranche werden gravierend sein. Denn verlässt Großbritannien den EU-Binnenmarkt, müssen in London angesiedelte Banken rechtlich selbstständige Töchter mit Sitz in einem EU-Staat haben.
Harter Brexit heißt: Keine Banklizenz
Denn im Falle eines harten Brexits würden die Banken von der Themse ihren sogenannten europäischen Pass verlieren - und damit den Zugang zum europäischen Markt. Das wäre in der Sprache der Bankenaufsicht das "Worst-Case-Szenario", also der schlimmste denkbare Fall. "Wir werden nur gut kapitalisierten und gut geführten Banken Lizenzen gewähren", sagt Lautenschläger.
Briefkastenfirmen, bei denen die Geschäfte weiter aus Großbritannien heraus geführt würden, wolle die EZB nicht akzeptieren. Es müssten ausreichend Mitarbeiter vor Ort arbeiten.
Laxere Finanzaufsicht als Lockstoff?
Auf gar keinen Fall werde man einen Unterbietungswettlauf bei der Bankenregulierung hinnehmen. Denn die Aufseher der EZB wissen ganz genau, dass der Wettbewerb um wechselwillige Banken entfesselt ist. Frankfurt am Main werden gute Chancen eingeräumt, nicht zuletzt wegen der Nähe zur EZB - aber Paris und Dublin kämpfen mit harten Bandagen.
In Finanzkreisen munkelt man, dass als Lockstoff zuweilen auch eine laxere Finanzaufsicht eingesetzt wird. Das kann nicht im Sinne der EZB-Bankenaufsicht sein. Sie beaufsichtigt nur die größten 126 Banken, die anderen werden von den jeweiligen nationalen Bankenaufsichten kontrolliert. Außereuropäische Banken könnten sich also durchaus die unterschiedlichen Aufsichtsregeln zunutze machen und Standorte gegeneinander ausspielen.
Ein gewisses Entgegenkommen wird es aber geben: Um die Anforderungen der EZB zu erfüllen, werde es Übergangsfristen geben - das könnten, je nach Bank, Monate oder Jahre sein, so Lautenschläger.
Rund 900 Milliarden faule Kredite
Sorgen bereitet den Aufsehern auch ein anders großes Thema: die faulen Kredite. Auf über 900 Milliarden Euro beziffert die Chefin der europäischen Bankenaufsicht, Danièle Nouy, das Volumen der ausfallgefährdeten Kredite im Euroraum.
Das Problem ballt sich in einigen Ländern, Deutschland gehört nicht dazu. Besonders viele faule Kredite gibt es in Italien. Schmallippig wird Nouy, wenn Journalisten konkret nach strauchelnden Banken wie der Monte dei Paschi fragen. Die Traditionsbank befindet sich in kritischer Lage und musste vom italienischen Staat mit Milliarden gestützt werden.
Und das, obwohl die EU-Regeln eigentlich vorsehen, im Krisenfall zunächst die Gläubiger der Bank zur Kasse zu bitten. Nur mit Hilfe eines Kniffs konnte Italien letztlich verhindern, dass Anleger der Bank einspringen mussten. "Vorsorgliche Rekapitalisierung" nennt man die umstrittene Rettungsaktion im Fachjargon.
Die Chefin der EZB-Bankenaufsicht äußert sich dazu nur distanziert und vorsichtig: "Die vorsorgliche Rekapitalisierung sei nur bei solventen Banken möglich, die Solvenz sei offensichtlich festgestellt worden", so Nouy.
Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel
Die Krisenintervention durch den Steuerzahler sehen Ökonomen wie Isabel Schnabel sehr kritisch. Es gehe dabei auch um die Glaubwürdigkeit der EZB-Bankenaufsicht, wenn gleich im ersten Krisenfall von den mühsam erarbeiteten Regeln abgewichen wird. Die Aufseher wissen, dass es ein hohes Risiko ist, eine Bank wie die Monte dei Paschi als tatsächlich solvent einzuschätzen.
Die Wirtschaftsweise sieht die Gefahr einer neuen Finanzkrise aber aus ganz anderer Richtung. Das Problem von über 900 Milliarden faulen Krediten sei zwar besorgniserregend, deshalb drohe aber keine neue Systemkrise. "Die notleidenden Kredite hindern uns daran, aus der Krise herauszukommen, sie bedrohen aber nicht die Stabilität des Bankensektors insgesamt."
Bankenpleiten vorstellbar - neue Finanzkrise?
Ausgerechnet in der EZB selbst sieht Schnabel eine Gefahr für die Finanzstabilität. Je länger die EZB den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik verzögere, desto größer sei das Risiko, dass die extrem niedrigen Zinsen abrupt wieder steigen könnten. Das könne zu erheblichen Verwerfungen führen. Sowohl bei den Staaten, die sich derzeit extrem günstig verschulden könnten, als auch bei den Banken.
Gerade kleinere Banken könnten dann vor der Pleite stehen. "Dieses Zinsänderungsrisiko trifft alle Banken gleichzeitig. Wenn es eintritt, ist es automatisch ein Systemrisiko. Dann droht eine neue Finanzkrise, ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber das ist eben das Risiko, das im Raum steht. Die EZB hätte die Verantwortung, dieses Risiko mit einzubeziehen und das heißt aus meiner Sicht, die Anleihekäufe bald herunterzufahren."