Börsenweisheit "Sell in May" Sollte man im Mai wirklich Kasse machen?
Eine der gängigsten Börsenweisheiten lautet: "Sell in May and go away". Aber ist es wirklich sinnvoll, im Mai Aktien zu verkaufen und später wieder an die Börsen zurückzukehren?
Ein Börsenjahr ist zweigeteilt: Von Oktober bis zum Frühjahr laufen die Börsen im Durchschnitt besser als von Mai bis September. Das belegt die Statistik. Daraus ergibt sich eine der meistzitierten Börsenweisheiten: "Sell in May and go away" - verkaufe deine Aktien und kehre der Börse erst einmal den Rücken.
Doch keine Regel ohne Ausnahme. Die Entwicklungen im vergangenen Jahr zeigen: 2023 wäre "Sell in Summer" besser gewesen, statt sich im Mai von seinen Aktien zu trennen.
Vor zwei Jahren, 2022, ergab die Weisheit dagegen durchaus Sinn: Ab Ende Mai bröckelten die Kurse - bis zum 30. September. Doch das Börsenjahr 2022 war ein besonderes - mit Zinserhöhungen der Notenbanken gegen die hohe Inflation und mit vielen Unwägbarkeiten durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Kein Jahr ist wie das andere
Allein diese Beispiele zeigen: Kein Jahr gleicht dem anderen, die Voraussetzungen ändern sich. "Sell in May" ist eine Börsenweisheit, die "keineswegs jedes Jahr stimmen muss", bestätigt Ascan Iredi, Leiter des Portfolio-Managements der Plutos Vermögensverwaltung AG, bei tagesschau24.
Dennoch gebe es eine Saisonalität, die auch die Unterscheidung einzelner Monate, Woche, sogar Tage kenne. Danach sei schon der April kein sehr guter Monat, der Sommer manchmal eine "Durststrecke".
"Come back in September"?
Die Fortsetzung der Börsenweisheit "Sell in May" lautet "Remember to come back in September". Denn erst im Herbst soll es dieser Weisheit zufolge an den Börsen wieder besser laufen. Iredi betont trotzdem: "Grundsätzlich sind die Daten mit Vorsicht zu betrachten, es sei eine Zahlenreihe über viele Jahre, die nicht jedes Jahr gilt."
Nach Einschätzung von Iredi sei der saisonale Verlauf 2024 aber am deutschen Aktienmarkt "sehr typisch". Das spreche dafür, dass der Mai tatsächlich "eine Verkaufsgelegenheit" sei.
Deutsche Bank nimmt Index unter die Lupe
Eine Analyse der Deutschen Bank für den europäischen Aktienmarkt zeigt: Über einen langen Zeitraum betrachtet war "Sell in May" eine solide Entscheidung. Die Bank schaute sich den STOXX Europe 600, der Index der 600 größten europäischen Unternehmen, genauer an.
Ergebnis: Von 1987 bis jetzt hätten Anleger mit der Strategie "Sell in May" durchschnittlich 9,1 Prozent Kursperformance auf ein Jahr hochgerechnet erzielt. Hätten sie dagegen ihre Aktien auch über den Sommer gehalten, wäre die Veränderung mit einem Plus von 7,4 Prozent geringer ausgefallen.
Drei Jahre retten die "Sell-in-May"-Bilanz
Allerdings: Dieses Ergebnis kam nur durch Sondereffekte zustande. Verstärkt wurde die Tendenz nämlich vor allem durch die großen Einbrüche an den Aktienmärkten 1998, 2001 und 2008. Sie fielen jeweils in das Zeitfenster Frühjahr bis Herbst. Diese Einbrüche besserten die "Sell-in-May"-Bilanz also auf.
Wären diese außergewöhnlichen Marktereignisse nicht eingetreten, hätten die "Sell in May"-Anleger in 23 von 37 Jahren unterdurchschnittlich abgeschnitten. Auch das zeigt die Analyse.
US-Aktienmarkt widerlegt die Weisheit
Dass Anleger möglicherweise doch nicht so gut beraten sind, nach der Devise "Sell in May" zu verfahren, zeigt auch eine Langzeit-Betrachtung von US-Aktien im S&P 500:
Dort hat sich über gut 50 Jahre der Verkauf im Frühjahr weniger gut ausgezahlt. Verkäufer im Mai haben seit 1973 im Schnitt weniger Kursplus (9,4 Prozent pro Jahr) eingefahren als die, die durchgehalten haben (10,1 Prozent).
"Man kann auch eine Münze werfen"
Analysten der Deutschen Bank ziehen folgendes Fazit: "Man könnte argumentieren, dass die "Sell in May"-Strategie im Grunde so vielversprechend ist wie das Werfen einer Münze".
Anders ausgedrückt: Börsenweisheiten können - ähnlich wie Bauernregeln - durchaus einen wahren Kern haben. Teilweise sorgen sie aber für Verwirrung - oder sie sind sogar widersprüchlich. Und: Seit man Aktien immer, überall und günstig handeln kann, verlieren saisonale Effekte ohnehin immer mehr an Bedeutung.